In den 1990er-Jahren robbten Neonazis durch Wälder, exerzierten und trainierten den Nahkampf. Die Zeiten solcher Wehrsportübungen sind mittlerweile passé. "Heute geht man ins Fitnesscenter, lernt Boxen, MMA und so weiter, wir hatten halt damals die Wehrsportgeschichte", erklärte der Alt-Neonazi Gottfried Küssel in einem Interview mit dem Szeneblatt "N.S. Heute". Kampfsport wie Boxen oder Mixed Martial Arts, eine besonders harte Kombination verschiedener Kampfsportarten, gehört mittlerweile seit Jahren zur rechtsextremen Erlebniswelt und verbindet auch Personen der rechtsextremen Szene ungeachtet bestehender Konflikte und Rivalitäten.

Identitäre Aktivisten und Aktivistinnen, Burschenschafter und Neonazis werden ebenso angesprochen wie Hooligans oder Rocker. Sie sehen Kampfsport als Vorbereitung für den Straßenkampf und für den Umsturz, den "Tag X" an. Bei Demonstrationen treten Kampfsportler als Schutztruppe auf, die die Straße "freiräumen" oder Journalisten und Journalistinnen bei ihrer Arbeit behindern sollen. Aufgrund der ideologisch aufgeladenen Bedeutung und besonderen Förderung des Boxsports im historischen Nationalsozialismus sowie der damit in Zusammenhang gebrachten und überhöht dargestellten Tugenden wie Mut, Härte, Disziplin und Tapferkeit gilt Kampfsport auch als Anknüpfungspunkt an den historischen Nationalsozialismus.

Trainiert wird in eigenen Kellern oder bei offiziellen Sportorganisationen. Dass auch Rechtsextreme bei Vereinen aktiv sind, ist allerdings nur selten ein Thema, obwohl bekannte Aktivisten und Aktivistinnen darunter zu finden sind. Etwa die Kickbox-Europameisterin Annika S., die vor Jahren kurzzeitig eines der weiblichen Gesichter der Identitären war. S. war bei Demonstrationen in der ersten Reihe zu finden und initiierte einen explizit antifeministischen Blog. "#supportyourlocalpatriarchy" war einer ihrer Slogans.

Kampfsport hoch im Kurs

Überhaupt steht bei den Identitären Kampfsport hoch im Kurs. Damit will die Bewegung erlebnisorientierte junge "sportliche Männer" ansprechen und die "Wehrhaftigkeit fördern", wie sie auf Telegram schreibt.

An diesem Samstag treten mit Julian H. und Laurenz G. gleich zwei Männer aus den Reihen der rechtsextremen Gruppierung beim "2. Wienerwald Grand Prix des Niederösterreichischen Landesverbands der World Kickboxing Federation" im niederösterreichischen Eichgraben als Kämpfer an. Beide waren im April bei einer Demonstration gegen die Kinderbuchlesung einer Dragqueen in Wien vor der Türkis-Rosa-Lila-Villa dabei. Der ehemalige Soldat G. sorgte im vergangenen Jahr für Aufsehen, als er als Türsteher bei einer FPÖ-Veranstaltung arbeitete und dem ORF-Satiriker Peter Klien den Zutritt verweigerte.

Das Kampfsportevent ist Teil des Programms "100 Jahre Eichgraben", bei dem "Kämpfer aus ganz Europa in den Ring steigen", wie auf der Homepage der Gemeinde zu lesen ist. Unterstützt wird das Event von örtlichen Unternehmen und Banken wie der Sparkasse und der Raiffeisenbank Wienerwald. Der Antritt zweier Identitärer bei den Feierlichkeiten zeigt, wie normal Rechtsextremismus hierzulande ist und dass Veranstalter und Vereine keine klare Haltung gegenüber Rechtsextremen zeigen. Übrigens auch zu den Themen Islamismus und Graue Wölfe, die türkischen Rechtsextremisten betreiben ebenfalls Kampfsport.

Ein weiterer Mann aus dem Umfeld der Identitären war im vergangenen Jahr Mitglied eines österreichischen MMA-Nationalteams, wie der Blog "Österreich Rechtsaußen" dokumentiert hat.

"Sportgemeinschaft Noricum"

Wie die Identitären werden auch Personen der 2018 gegründeten "Sportgemeinschaft Noricum" vom Verfassungsschutz beobachtet. Und zwar nicht nur von den österreichischen Behörden. Mitglieder der Gemeinschaft tauchten in den vergangenen Jahren bei großen neonazistischen Kampfsportevents in Deutschland auf. 2018 marschierten sie etwa in Noricum-Shirts beim Neonazi-Festival "Schild und Schwert" (kurz: "SS“) im sächsischen Ostritz auf, in dessen Rahmen auch der "Kampf der Nibelungen" über die Bühne ging – das einst wichtigste Kampfsportturnier der Szene. 2019 wurde die Veranstaltung verboten, weil sie der "rechtsextremen Kampfertüchtigung" und "damit der Vorbereitung eines politischen Kampfes" diene.

Ein Mann aus der Noricum-Gruppe nahm 2018 auch als Kämpfer am "Kampf der Nibelungen" teil. Bei der 2018 gegründeten "Sportgemeinschaft Noricum" handelt es sich um zum Teil bekannte Hooligans der Wiener Vereine SK Rapid und FK Austria sowie Personen, die seit Jahren in der Wiener Neonaziszene aktiv sind. Darüber hinaus gibt es Kontakte zum Rockermilieu. In den vergangenen Jahren nahmen Noricum-Kämpfer auch an Corona-Demonstrationen teil oder traten 2016 als Schutzgruppe bei Demonstrationen der Identitären auf.

Kampfsportturniere dienen auch der internationalen Vernetzung der Szene. Das zeigte sich im Mai dieses Jahres bei der "European Fight Night" im ungarischen Ort Csókakö. Neben deutschen Neonazis vom "Kampf der Nibelungen" waren auch Rechtsextreme aus Österreich anwesend, wie die Plattform "Exif-Recherche" berichtet. (Markus Sulzbacher, 16.6.2023)