Das Nomadendorf Demo bekommt neue Ziegen.
Alicia Prager

Gumato Fugiche bindet ihrer neuen Ziege einen dünnen Strick um den Hals. Dann treibt sie das Tier zusammen mit den anderen vier Ziegen, die sie gerade geschenkt bekommen hat, durch die karge Steppe in Richtung ihrer Hütte. Vielleicht wird jetzt alles besser, sagt die 22-jährige Nomadin. Endlich hat es geregnet, auf dem bis vor kurzem völlig ausgedorrten Boden wachsen zwischen den vereinzelten Akazienbäumen zumindest stellenweise wieder Gräser. Fugiche hofft, ihre Herde neu aufzubauen. Doch es ist ein langsamer Start. Noch 2019 hatte sie 450 Ziegen, nur 20 von ihnen überlebten die verheerende Dürre der vergangenen drei Jahre und die im März abrupt folgende Überschwemmung.

Ähnliche Geschichten erzählen alle Hirtinnen und Hirten, die im Norden Kenias leben. Wenn ihre Ziegen, Kühe und Kamele sterben, heißt das für die Menschen hier: hungern. Mit der fortschreitenden Klimakrise nehmen die Extreme zu, und je weiter die Erde erhitzt wird, desto schwieriger wird das Überleben in der Region. Einige suchen nach Wegen, um sich anzupassen – wollen Bäume pflanzen, Landwirtschaft betreiben, die Kinder in die Schule schicken, damit sie in Zukunft bessere Chancen haben. Doch an allen Ecken und Enden fehlt das Geld.

Vor der Dürre hatte Gumato Fugiche noch rund 450 Ziegen, nur 20 haben überlebt. Jetzt will sie eine neue Herde aufbauen.
Alicia Prager

Wie also weiter? Einen Teil der Antwort sieht Fugiche von ihrer Hütte aus. Wenige Gehminuten von hier entfernt ragt ein Mobilfunkturm über der Nomadensiedlung Demo. Erst vor vier Monaten hat der kenianische Mobilfunkanbieter Safaricom den rot-weiß-gestreiften Mast aufgebaut. Seither gibt es in der Umgebung erstmals Handy-Empfang – und damit auch Zugang zu Kenias bargeldlosem Zahlungssystem M-Pesa, für das Kundinnen und Kunden nicht einmal ein Bankkonto, sondern bloß ein Mobiltelefon brauchen.

Auch Fugiche hat sich ein kleines Nokia besorgt. Damit konnte ihr die regionale NGO Pacida – kurz für Pastoralist Community Initiative and Development Assistance –, die ihr auch die Ziegen geschenkt hat, eine Hilfszahlung überweisen. In den vergangenen drei Monaten waren es knapp 9.000 kenianischen Schilling, umgerechnet sind das rund 60 Euro.

Fugiche rückt das beige Tuch zurecht, mit dem sie sich ihren sieben Monate alten Sohn Tumi an den Körper gebunden hat. Dann zieht sie den Stoff zur Seite, der vor dem Eingang ihrer Hütte hängt, und tritt ein. Gleich neben dem Eingang steht eine Kartonschachtel, die junge Mutter holt eine Packung Spaghetti heraus. Daneben liegen kleine Tetrapäckchen Milch und einige gelbe Kanister mit Frittieröl.

"Mit dem Geld habe ich begonnen, einige Lebensmittel im Dorf zu verkaufen", erklärt Fugiche. Insgesamt erhalten 60.000 Menschen in Marsabit solche Zahlungen von der NGO Pacida, die Geld wiederum über Caritas-Spenden aus Österreich bekommt. Fugiche wurde ausgesucht, weil ihr Mann vor einem Jahr bei einem Autounfall gestorben ist und sie seither ihre drei Kinder allein versorgen muss. Einfach ist das nicht: Zusätzlich zu der Dürre hat auch der Krieg in der Ukraine die Preise für Lebensmittel in die Höhe klettern lassen.

Neuer Fonds für Klimaschäden

Immer mehr Menschen in Kenias nördlichen und östlichen Bundesstaaten, weit weg von der modernen Metropole Nairobi, werden von solchen Zahlungen abhängig. So schätzt die Uno, dass allein in diesem Jahr 450 Millionen Euro nötig wären, um die schlimmsten Folgen der Dürre abzufedern. Bisher wurden bloß rund 16 Prozent davon aufgestellt.

Genaue Zahlen, wie viele Menschen bisher ihre Heimat verlassen mussten, gibt es nicht, Schätzungen gehen von knapp 300.000 aus. Die Dürre, die sie dazu zwang, wäre ohne die Erderhitzung nicht passiert, ist sich ein Forscherteam der World Weather Attribution Initiative sicher.

Die dreijährige Dürre in Kenias größtem Bundesstaat Marsabit tötete unzählige Ziegen, Kühe und Kamele. Die Folgen für die Hirtinnen und Hirten in der Region, die von ihren Herden leben, sind fatal.
Alicia Prager

Dürren, Überschwemmungen, Stürme, Meeresspiegelanstieg: Staaten wie Kenia, die heute bereits die höchsten Schäden durch solche Wetterextreme sehen, haben im Vergleich wenig zur Erderhitzung beigetragen. Mit diesem Argument machten Entwicklungsstaaten auf der Klimakonferenz in Ägypten (COP 27) im vergangenen Jahr die Einrichtung eines neuen Fonds zur Bedingung. Dieser soll frisches Geld für Klimaschäden und -verluste aufstellen, im Fachsprech Loss and Damage.

Loss and Damage: Industrieländer sollen Schadenersatz für Klimakatastrophe zahlen (Video von November 2022)
DER STANDARD

In Ägypten blieb es bei einer vagen Einigung. Ein Ausschuss, in dem 24 Industrie- und Entwicklungsstaaten vertreten sind, soll in den kommenden Monaten einige der kontroversesten Fragen beantworten. Wer muss zahlen, und wer hat Anspruch auf das Geld? Wer gilt eigentlich noch als Entwicklungsland? Ist China bereits industrialisiert – also: Muss es beisteuern? Und: Können die Gelder neben Regierungen auch an zivilgesellschaftliche Organisationen gehen? Bis zur nächsten Klimakonferenz im November soll ein grobes Gerüst für den Fonds stehen – bevor dann ein nächster Ausschuss voraussichtlich die Details festzurren wird.

Viele Frauen warten den ganzen Tag, bis sich der Brunnen wieder füllt. Tiefere Bohrlöcher sollen die Lage verbessern.
Alicia Prager

"Die Staaten haben vor allem Lärm gemacht"

Patrick Katelo, Präsident der Organisation Pacida, beobachtet die Verhandlungen mit Skepsis. "Von Geld, das unsere Regierung bekommt, werden wir hier in Marsabit kaum etwas sehen", kritisiert er.

Katelo hat an der Klimakonferenz in Ägypten teilgenommen und sich dort auch für einen neuen Fonds für Klimaschäden ausgesprochen. Doch es sei entscheidend, wie dieser Fonds nun gestaltet werde. Zivilgesellschaftliche Organisationen müssten direkten Zugang zu den Zahlungen bekommen, fordert Katelo, der selbst als Hirte in der nordkenianischen Wüste aufgewachsen ist. "In Ägypten haben die Staaten vor allem Lärm gemacht, statt konkret zu zeigen, wofür sie das Geld einsetzen wollen", sagt er. Die Regierungen, die in der Uno verhandeln, sehen das natürlich anders.

Ideen, wie das Geld im Norden Kenias eingesetzt werden soll, gibt es viele. Einige Gemeinschaften, die hier leben, haben bereits selbst Pläne entwickelt, wie sie auf die Erderhitzung reagieren wollen. Dazu haben viele der Bezirke im Bundesstaat Marsabit kleine Gruppen zusammengestellt, deren Format an den Klimarat in Österreich erinnert: Fachleute halten für sie Workshops und erklären, was die fortschreitende Erderhitzung für die Region bedeuten wird. Dann erarbeiten die Gruppen eigene Strategien, um sich anzupassen. Finanzierung dafür kam über die österreichische Entwicklungshilfe.

"Die Dürre hat es für uns einfacher gemacht, den Leuten hier klarzumachen, dass der Klimawandel echt ist", erzählt die 43-jährige Gallo Ibrahim. Sie sitzt zusammen mit zwei weiteren Mitgliedern ihres Klimaausschusses im Schatten eines kleinen Gebäudes der Tiigo School – eines Internats mitten in der Wüste, rund eineinhalb Stunden Autofahrt über rötliche Sandstraßen entfernt von dem Nomadendorf Demo. 

Gallo Ibrahim pflanzt vor einer Schule einen kleinen Akazienbaum.
Alicia Prager

"Wir fürchten, dass schon morgen die nächste Dürre kommen könnte", sagt Ibrahim weiter. Sie will vorbereitet sein. Deshalb trocknet sie jetzt schon Gras, um es dann den Tieren verfüttern zu können. Gleichzeitig versuchen sie allen Hirten klarzumachen, dass sie nicht mehr so viele Tiere halten können wie früher einmal – und dass sie wo immer möglich auch Landwirtschaft betreiben sollen, statt nur von den Herden zu leben. Außerdem hat die Gruppe entschieden, Bäume in der Umgebung zu pflanzen. Für den Anfang haben sie dazu  1.600 Setzlinge bestellt – für 600 Obstbäume und 1.000 Akazien. Ihr Ausschuss hofft, dass zwischen 30 bis 40 Prozent der Bäume dann tatsächlich wachsen werden. 

Für ihre verschiedenen Projekte bewirbt sich die Gruppe bei NGOs wie auch beim kenianischen Umweltministerium um eine Finanzierung. "Die Regierung sagt uns aber immer, sie hat kein Geld", kritisiert Ibrahim. "Niemand zahlt gerne, aber irgendjemand wird für die Schäden aufkommen müssen." (Alicia Prager aus Marsabit, 15.6.2023)