Traiskirchen Babler Stadtkultur
Kunstintervention auf postindustriellem Boden: Ansicht auf eine Textilcollage der ukrainischen Künstlerin Dariia Kuzmychvor der Fassade des Stadtsaals in Traiskirchen.
Joanna Pianka

Kulturhinweise sind im Stadtbild von Traiskirchen spärlich verteilt. Wer das Zentrum der 20.000-Einwohner-Stadt aufsucht, wird auf eine Reihe ortsüblicher Belustigungen hingewiesen. Die Kapelle Tribuswinkel stellt ein gut mit Blech bestücktes Blaskonzert in Aussicht. Hingegen verheißt das Plakat des Feuerwehrfestes den "Wiener Wahnsinn". Gemeint ist ein ohrenbetäubendes Rock-'n'-Roll-Importgut aus der rund 20 Kilometer entfernten Bundeshauptstadt.

Traiskirchen, die Heimatgemeinde von Neo-SPÖ-Chef Andreas Babler, wuchert gegenüber Ausflüglern mit keinem seiner Pfunde. Zäh fließt der Verkehr zwischen Oeynhausen und Pfaffstätten am Hauptplatz vorüber. Gleich neben der Schaltzentrale von Bürgermeister Babler findet man das Parteilokal der Traiskirchner Roten. Im La Rossa feiert die ortsansässige Sozialdemokratie regelmäßig Triumphe. Ergebnisse von weit über 70 Prozentpunkten bilden hierorts nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Eine schlackenschwarze Victor-Adler-Büste blickt wohlwollend von der Theke herab auf die Vertreter der hiesigen Arbeiterschaft.

Doch ist in Traiskirchen ein Industrieproletariat vorhanden? Engelsgeduldig erklärt SPÖ-Gemeinderat Robert Eichinger, der Zuständige für Kunst- und Kulturinitiativen aller Art, die Besonderheiten einer Gemeinde im Wandel. Nicht die schmucken Winzerhäuschen bilden das kulturelle Kapital. "Omnipräsent" sei das Thema von Flucht und Migration. Seinetwegen – und wegen des bundesweit bekannten Erstaufnahmezentrums – flutet man die Stadt mit niederschwelligen Kulturangeboten.

Versonnen im Schatten

Wer genauer hinsieht, bemerkt etwa im Stadtpark eine Familie Geflüchteter, die versonnen im Baumschatten lagert. Niemand nimmt an den zeitweilig nebenher Lebenden Anstoß. Lieber bepflanzt man gemeinschaftlich einen "Garten der Begegnung". Afghanische Feste dienen ebenso der Verständigung wie ein traditionelles Frühstück, das lukullische Freuden des Orients barrierefrei beschert.

Traiskirchen Babler Stadtkultur
2020 nahm Traiskirchens Bürgermeister Andreas Babler (SPÖ, re.) das 'Hoch der 1. Mai' wörtlich: Er hielt auf dem Schlot des früheren Semperit-Werkes in der roten Hochburg im südlichen Niederösterreich eine kurze Ansprache.
ROBERT JAEGER / APA / picturedes

Eichinger: "Man muss das Migrationsthema nicht jeden Tag zum Problem erklären. Es reicht aus, die Anwesenheit geflüchteter Menschen zur Kenntnis zu nehmen." Das meint selbstredend: wohlwollend. Die Traiskirchner Bürgerinnen und Bürger teilen eine solche Auffassung mehrheitlich. 2022 wurde ein Ausstellungsparcours im öffentlichen Raum präsentiert. Unter dem Titel What can be done? präsentierte Kuratorin Michaela Geboltsberger Werke ukrainischer Künstlerinnen und Künstler. Im Museum Traiskirchen, in der alten Kammgarnspinnerei von Möllersdorf, sollen Exponate zum Thema Flucht in Bälde permanent gezeigt werden. Es sind häufig Geflüchtete, die beim Renovieren alter Industriegebäude zur Hand gehen. Dafür wird ihren Anliegen zur Sichtbarkeit verholfen.

Prompt wurde in einer Raika-Filiale im Gemeindebezirk Tribuswinkel vor kurzem eine Ausstellung ermöglicht. Das Kunstprojekt Hamid & Victor illustrierte das Elend einer Aufnahmepraxis, die aus Asylsuchenden Anonymisierte macht. Gezeigt wurden Menschen, die man durch behördliche Verwaltung um die Besonderheit ihres jeweiligen Schicksals prellt. Robert Eichinger sagt: "Wir behandeln in Traiskirchen kulturelle Themen vornehmlich unter dem Gesichtspunkt, ob sie gesellschaftlich relevant sind."

Politische Rockmusik

Die Frage nach Andreas Bablers höchstpersönlichen Kulturvorlieben erzeugt ein Zögern. "Der Andi ist ein so hochpolitischer Mensch …" Hört er Musik? Pfeift er in Augenblicken der Muße Schönberg’sche Zwölftonreihen? Der Kulturgemeinderat denkt nach. "Er hört politische Rockmusik, bevorzugt auch in deutscher Sprache. Und wenn nicht politische, so doch jedenfalls gesellschaftskritische."

Die Stadt Traiskirchen scheint ihren Übertritt ins postindustrielle Zeitalter gut organisiert zu haben. 2024 soll ein Zwei-Tage-Festival die unterschiedlichen Aspekte von "Arbeiterkultur" beleuchten. Die Schließung des ortsansässigen Semperit-Werks habe man durch "Arbeitsfluchtbewegungen" kompensiert. Heute lässt die Gemeinde für Betriebsansiedelungen einiges Geld springen, Firmen wie Magna haben dankend angenommen.

Überregional bekannt wurde die Stadt durch ihren kommunalen Mietpreisdeckel oder durch die Vergabe von Sozialhilfen, die auf Empfehlung der Armutskonferenz bemessen werden. Kulturell heischt der Wandel das Aufsetzen und Tragen frisch geputzter Gläser: Die alte Bausubstanz einer ehemals stolzen Arbeiterstadt erfährt umfangreiche Nachnutzungen. Neue Formen von Repräsentanz werden erprobt. Mit Szenefestivals wie Musik im Park– frequentiert von 2000 Menschen – will man die ansässige Jugend in der Stadt behalten. Die lauscht mit Gewinn dem Falco-Imitator Michael Patrick Simoner.

Kulturelle Versorgung

Und wenn ältere Gemeindemitglieder ihre Blasmusikkapelle im Stadtsaal hören wollen? "Sollen sie Gelegenheit dazu erhalten." Für die kulturelle Nahversorgung hat man "Schwerpunkttage" eingerichtet. Und durch Nutzung wohlfeiler Kombitickets sollen die Menschen das Tramway-Museum besuchen, das größte Feuerwehrmuseum, die reichhaltigste heimische Matador-Bausteinsammlung.

Mit Argwohn blicken die Stadtväter und -mütter auf die Avancen von Baufirmen, die in die Fabrikgebäude hineindrängen. In Traiskirchen findet eine Transformation der Industriekultur statt. Was in der Kleinstadt zwischen den Weinhängen nicht passieren soll: "eine Verspeckgürtelung". Wird der Bundesparteivorsitzende weiterhin Gelegenheit finden, auf Traiskirchen zu schauen? Robert Eichinger sagt: "Unbedingt. Sein Energielevel übersteigt jedes Maß." Wenn er jetzt nur nicht Rammstein hört. (Ronald Pohl, 15.6.2023)