Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Donnerstag die Zinsen um einen Viertelprozentpunkt erhöht. Der Leitzins beträgt somit künftig vier Prozent, für Einlagen bei der Notenbank werden Finanzinstitute dann 3,5 Prozent Verzinsung erhalten. Das ist bereits die achte Zinserhöhung in Folge, seit die EZB vergangenen Juli nach sechs Jahren die Nullzinsphase in der Eurozone beendet hat. Damit versuchen die Währungshüter um Notenbankchefin Christine Lagarde, die aus dem Ruder gelaufene Inflation wieder zu bändigen.

Eine Familie mit Kind unterhält sich am Küchentisch.
Die EZB erhöht die Zinsen neuerlich, was immer mehr Kreditnehmer mit variabler Verzinsung in finanzielle Bedrängnis bringt.
imago images/photothek

Die bisherigen Zinserhöhungen entfalten Lagarde zufolge nach und nach ihre bremsende Wirkung auf die Wirtschaft. "Die Kreditkosten sind bereits steil angestiegen", sagte Lagarde im Anschluss an die Zinserhöhung. Die EZB werde den Leitzins auf ein ausreichend restriktives Niveau bringen, um eine möglichst zeitnahe Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen zweiprozentigen Zielwert zu erreichen. Dieses Niveau wird der Notenbankchefin zufolge so lange aufrechterhalten wie erforderlich.

Der Zinsschritt um 0,25 Prozentpunkte war im Vorfeld erwartet worden, schließlich hatte Lagarde in der Vergangenheit betont, dass die Teuerung in der Eurozone "viel zu hoch" sei. Zwar ist die Inflation im Mai von sieben auf 6,1 Prozent gesunken, sie liegt damit aber immer noch bei mehr als dem Dreifachen des Zielwerts der EZB von zwei Prozent. Es ist also mit weiteren Zinsschritten zu rechnen – was keine guten Nachrichten für Haushalte mit variablen Krediten darstellt. Diese werden durch das angehobene Zinsniveau empfindlich teurer in der Rückzahlung.

Auf tönernen Füßen

Das bringt in Kombination mit der hohen Inflation immer mehr Menschen in finanzielle Bedrängnis. Gemäß einer im Vorfeld der Zinsentscheidung durchgeführten Umfrage des Vergleichsportals Durchblicker haben 46 Prozent der Haushalte, die einen Immobilienkredit aufgenommen haben, auf eine variable Verzinsung gesetzt. Davon befürchten 53 Prozent, dass sie bei weiter steigenden Zinsen, wonach es derzeit aussieht, ihre Kreditrate nicht mehr stemmen können. Das bedeutet, dass die Finanzen von insgesamt mehr als 200.000 Haushalten in Österreich wegen der steigenden Zinsen auf tönernen Füßen stehen.

Wie sollen sich betroffene Personen in dieser Situation verhalten? Andreas Ederer, Experte für Immobilienfinanzierungen bei Durchblicker, rät im Zweifel, auf einen Fixzinskredit umzusatteln – zumal diese derzeit sogar günstiger seien als variable Kredite. "Wenn man weiß, dass man sich weiter steigende Zinsen nicht mehr leisten kann, macht Umsteigen auf einen Fixzinskredit auch jetzt noch Sinn, auch wenn ungewiss ist, wie sich die Zinsen in den kommenden Jahren weiter entwickeln werden", sagt Ederer.

Dass die Kreditnehmenden sogar wieder öfter im Neugeschäft zu variablen Finanzierungen gegriffen haben, sorgt in der Oesterreichischen Nationalbank für Verwunderung – und nährt die Befürchtung, dass diese Immobilienkredite zu den Problemfällen von morgen werden könnten. Daher warnte Vizegouverneur Gottfried Haber vergangene Woche vor "Fehlerwartungen" und appellierte an Interessierte, im Normalfall fix verzinste Kredite zu wählen. "Wer jetzt auf sinkende Zinsen setzt, sollte auch in der Lage sein, steigende Zinsen zu verkraften", betonte er.

Weitere Zinsschritte

Aber wie weit wird die EZB die geldpolitische Straffung noch treiben? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Bei Raiffeisen Research hält man nach einer weiteren Zinserhöhung im Juli eine Pause im bisher schnellsten Zinsanhebungszyklus der EZB für möglich. Generell geht Chefanalyst Gunter Deuber jedoch davon aus, dass die Inflation und die Leitzinsen länger auf erhöhtem Niveau bleiben werden. "Die EZB wird wahrscheinlich bis 2025 ihr Inflationsziel verfehlen", sagt er. Daher werde auch der Leitzins wohl noch länger höher sein als von vielen derzeit angenommen.

Dem früheren Vorstand der Deutschen Bundesbank, Andreas Dombret, zufolge könnten sogar noch zwei kleine Zinsschritte um jeweils einen Viertelprozentpunkt nötig sein, um die Inflation in Richtung des Zielwerts von zwei Prozent zu drücken, erklärte er in einem Interview. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Agenda-Austria-Ökonom Hanno Lorenz, der ebenfalls von ein bis zwei weiteren Zinsschritten ausgeht. Das sieht die Europa-Chefvolkswirtin des Vermögensverwalters PGIM Fixed Income, Katharine Neiss, anders: Ihrer Ansicht nach sollte der Zinsgipfel in der Eurozone bereits erreicht sein, sofern sich die Anzeichen einer nachlassenden Konjunktur weiter verdichten.

Rezession in Eurozone

Tatsächlich haben auch die Zinserhöhungen der EZB bereits dazu beigetragen, dass sich eine Bremsspur durch die Eurozone zieht. Nachdem die Wirtschaftsleistung im ersten Quartal schon das zweite Mal in Folge um 0,1 Prozent zurückgegangen ist, befindet sich die Währungsunion in einer sogenannten technischen Rezession. Und es könnte noch schlimmer kommen, wenn es nach Shaan Raithatha, Volkswirt beim Fondsanbieter Vanguard, geht: "In unserem Basisszenario gehen wir daher davon aus, dass die Eurozone in den kommenden Quartalen wieder in eine Rezession kommen wird", sagt er. "Bereiten Sie sich auf eine turbulente zweite Jahreshälfte vor."

Im Gegensatz zur EZB hat die US-Notenbank Fed nach zehn Zinserhöhungen in Folge eine Pause eingelegt und den Leitzins am Mittwochabend unverändert in der Spanne von 5,0 bis 5,25 Prozent belassen. Allerdings wird sie im Kampf gegen die Inflation wahrscheinlich bald wieder nachlegen, denn die Währungshüter signalisierten, dass sie heuer noch bis zu zwei Anhebungen um jeweils einen Viertelprozentpunkt ins Auge fassen. Fed-Chef Jerome Powell betonte, angesichts der bereits seit März 2022 laufenden Zinsserie habe man es für klug gehalten, nun Tempo herauszunehmen. Doch noch immer sei der Inflationsdruck hoch, sodass weitere Schritte nötig werden könnten. An den Finanzmärkten wird damit gerechnet, dass die Fed bereits auf der nächsten Sitzung im Juli nachlegen wird. (Alexander Hahn, 15.6.2023)