Die Silhouette einer Frau, die auf das Smartphone in ihrer Hand schaut.
Cybergewalt betrifft immer mehr Frauen.
AP / Rick Bowmer

Die ständige Überwachung des Standorts, das Mitlesen von Chatverläufen und mitunter sogar der Zugriff auf die Smartphonekamera: Von häuslicher Gewalt betroffene Menschen sind immer öfter auch massiven Übergriffen im digitalen Raum ausgesetzt. Im öffentlichen Diskurs erfährt die Problematik dennoch keine allzu große Aufmerksamkeit. Dabei wissen Expertinnen und Experten seit mittlerweile mehreren Jahren, dass die fortschreitende Digitalisierung aller Lebensbereiche Gefährdern eine Fülle neuer Möglichkeiten zur Tyrannisierung ihrer (Ex-)Partnerinnen bietet.

Vor diesen Risiken warnen auch Forscherinnen der FH Campus Wien und des Zentrums für Sozialforschung und Wissenschaftsdidaktik in einer neuen Studie. Schätzungsweise 13,3 Prozent aller Beratungen in gewaltschutzorientierten Frauenberatungsstellen beschäftigen sich demnach mit Cybergewalt im Beziehungskontext – was nahelege, dass diese in einigen "Beratungseinrichtungen noch eine geringe Rolle spielt, da sie noch zu selten als solche erkannt wird".

Eine Gefahr, die man nicht einfach greifen kann

Grund dafür ist ein mangelndes Bewusstsein für die Problematik. Weder die Betroffenen selbst noch staatliche Institutionen wie die Polizei seien ausreichend dafür sensibilisiert, dass es sich bei Belästigungs- und Überwachungsmaßnahmen im digitalen Raum genauso um Gewalt handelt wie bei physischen Übergriffen in der Offlinewelt. Nicht selten bräuchten Erstere deshalb die Unterstützung von professionellen Beraterinnen, um Cybergewalt auch als solche benennen zu können.

Was die Lage zusätzlich erschwert, ist, dass viele der Betroffenen Cybergewalt im Kontext einer Beziehung erfahren. Das bringt eine Reihe von Gefahren mit sich: Durch ihre physische Nähe zu den Betroffenen können die Gefährder meist sehr einfach auf die Geräte und Onlineaccounts der Frauen zugreifen. Hinzu kommt, dass es deutlich schwieriger ist, ein Schutzkonzept auszuarbeiten, erklärt Magdalena Habringer im Gespräch mit dem STANDARD. Sie hat die Studie der FH Campus Wien geleitet und arbeitete viele Jahre in einer Gewaltschutzeinrichtung.

Gefährliche Ratschläge

Die meisten Tipps, die man online für Betroffene findet, sind laut ihr wegen der oben beschriebenen Problematik obsolet. Ganz im Gegenteil könne es sogar gefährlich werden, Passwörter zu ändern und Gefährder aus den eigenen Accounts auszusperren. Cybergewalt finde "meistens in Kombination mit sogenannten Offlinegewaltformen, also körperlicher, psychischer, sexualisierter und ökonomischer Gewalt, statt", sagt die Wissenschafterin. "Das muss mitbedacht werden, wenn wir über Gewalt im Beziehungskontext sprechen."

Erschwerend kommt in weiterer Folge hinzu, dass die meisten Smartphones, Computer und Onlinedienste eine Reihe von Funktionen haben, die die breite Masse zwar für nützlich hält – die aber ein großes Missbrauchspotenzial mit sich bringen. Gefährder brauchen demnach keine fortgeschrittenen Technikkenntnisse für die Überwachung des Standorts oder die Kontrolle von E-Mails, SMS und Anrufen. Sobald sie sich Zugriff auf die Konten und Geräte der Betroffenen verschafft haben, haben sie leichtes Spiel.

Ein vermeintlicher Liebesbeweis

"Das passiert entweder unter Druck oder durch das Aussprechen von Drohungen. Manchmal wird von Betroffenen die Kontrolle von Daten oder des Standorts als Liebesbeweis verklärt, oder Gefährder fordern den uneingeschränkten Zugang zum Gerät der Betroffenen als Vertrauensbeweis ein", sagt Nina Wallner. Im Gewaltschutzzentrum Burgenland bietet sie psychosoziale Beratung für gewaltbetroffene Personen an. Der Fokus: häusliche Gewalt.

"Besonders gefährlich sind Dienste, die wir alle in unserem Alltag nutzen. Wir teilen sehr häufig unseren Standort miteinander, oder wir verraten ihn unabsichtlich durch ein Foto, das wir öffentlich auf Social Media posten", sagt Wallner. Gefährder müssten sich kein Fachwissen aneignen, um diese Schwachstellen auszunutzen und weitreichende Überwachungsmöglichkeiten zu erlangen.

In den meisten Fällen beginne die Überwachung und Kontrollausübung allerdings mit der Kenntnis des Passworts. Entweder weil man dieses einfach erraten kann oder aber weil es dem Partner sowieso bekannt ist. "Das ermöglicht den Zugriff auf alles und erlaubt es, Einstellungen vorzunehmen und Standorte zu überwachen", sagt Wallner. In der Regel reiche es schon aus, Zugriff auf das Google-Konto einer Person zu haben, um jederzeit darüber Bescheid zu wissen, wo sich diese befinde.

Eine Fülle von Plattformen

Gegenüber den Forscherinnen der FH Campus Wien haben Betroffene eine Vielzahl unterschiedlicher Kommunikationsmedien geschildert, die Gefährder zur Ausübung von Cybergewalt nutzen. Darunter fallen E-Mails, SMS, Cloud-Dienstleister wie Apples iCloud, Datingapps, Escort-Plattformen, sogenannte Stalkerware, Onlinebanking-Apps, Whatsapp, Willhaben, Facetime und Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram und Snapchat.

Teilweise sei es den Gefährdern dadurch möglich gewesen, auf Kalender, Fotos und andere gespeicherte Daten zuzugreifen und diese zu bearbeiten. "Ein Gefährder hat beispielsweise alle Termine der Befragten aus dem synchronisierten Kalender gelöscht – außer seinen Geburtstag, um ihr anzuzeigen, dass er nach wie vor Zugriff auf ihre Daten hat und damit Macht über sie ausüben kann", heißt es in der Studie.

Ein spezifisches Merkmal von Cybergewalt sei außerdem die Einbeziehung des sozialen und beruflichen Umfelds der Betroffenen. Dazu heißt es in der Studie: "Für bestimmte Formen oder Ausprägungen von Cybergewalt wie das Cybermobbing benötigt der Gefährder jedenfalls ein Publikum, um Schaden anzurichten. Ausnahmslos alle Gefährder unserer Studie wandten dies als Strategie zur Ausübung von Cybergewalt gegen die befragten Frauen an." Konkret könne es sich hier zum Beispiel um die Veröffentlichung sexualisierter Bilder handeln.

Geheime Spähprogramme

Als besonders gefährlich gilt sogenannte Stalkerware. Dabei handelt es sich in der Regel um heimlich auf dem Smartphone installierte Software, deren Existenz über einen langen Zeitraum hinweg vor den betroffenen Frauen geheim gehalten wird. Die Installation setzt gewisse Technikkenntnisse voraus, da die Hersteller den teilweise weitreichenden Zugriff, den diese Programme gewährleisten, eigentlich blockieren.

"Ein Drittel der Befragten gab an, mittels Stalkerware überwacht worden zu sein. Manche von ihnen hatten konkrete Anhaltspunkte und Beweise dafür, bei den anderen blieb es beim Verdacht, da der Gefährder unerklärlicherweise viel wusste", heißt es dazu in der Studie zu Cybergewalt. Für die Installation sei lediglich der physische Zugang zum Gerät notwendig. Anschließend kann man "etwa Umgebungsgeräusche oder Anrufe mithören, alle Nachrichten und Fotos auf seinem eigenen Gerät einsehen oder den Standort seiner (Ex-)Partnerin verfolgen".

Heikle Beratungssituation

Diese weitreichenden Überwachungsmöglichkeiten müssen auch Beraterinnen in Gewaltschutzzentren beachten, um die Gefahrenlage der betroffenen Frauen durch die Kontaktaufnahme nicht weiter zu verschärfen. Laut Habringer müsse man stets gemeinsam mit der Klientin überlegen, wie man den Kontakt aufrechterhalten kann. Eine Möglichkeit seien beispielsweise öffentliche Computer in einer Bibliothek oder aber eine Freundin, die nicht vom Gefährder manipuliert wurde.

Gerade deshalb sei es so wichtig, eine "spezialisierte Einrichtung aufzusuchen und mit einer Beraterin zu sprechen", sagt Wallner. So könne herausgefunden werden, von welchen Formen der Cybergewalt eine Person betroffen ist, wie sie überwacht wird. Häufig hätten die Frauen nur ein diffuses Gefühl, eine Vermutung, aber könnten noch nicht genau verorten, auf welche Art und Weise sie kontrolliert werden. "Wir als psychosoziale Beraterinnen sind gefordert, uns mit der betroffenen Person auf die Spurensuche zu begeben, um zu schauen: Wie erlebt sie die Kontrolle, was gibt es für Hinweise?", sagt die Sozialarbeiterin.

Die Cybergewaltstudie der FH Campus Wien wagt sich auch an eine Charakterisierung der Gefährder, Gemeinsamkeiten lassen sich demnach beim Frauenbild von ebendiesen finden. Die Befragten gaben durchweg an, dass dieses sehr konservativ und abwertend geprägt sei. "Etwa wenn Gefährder ihren Partnerinnen mit dem Rauswurf aus der Wohnung drohen, weil sie nicht ihren Vorstellungen entsprechend putzen. Aber auch das Drängen zu sexualisierten Handlungen, weil Männern hier ein bestimmtes Recht zustünde, zeigt eine verbreitete sexistische und frauenfeindliche Haltung bei den Gefährdern", ist in der Studie zu lesen.

Wissenslücken auf jeder Ebene

Trotz alledem mangelt es bis heute auf fast jeder Ebene an Aufmerksamkeit für die Gefahren von Cybergewalt. Diese werde "gesamtgesellschaftlich noch unterschätzt und die Gefahr dahinter übersehen. Damit werden Betroffene oft zu wenig ernst genommen", sagt Habringer. Man müsse aufpassen, "Frauen nicht zu beschämen, wenn zum Beispiel Nacktbilder von ihnen veröffentlicht wurden. Hier braucht es eine Einordnung als Gewalt und nicht als Versagen der Frau, damit hier keine Täter-Opfer-Umkehr passiert."

Das Problem führt allerdings auch in institutionelle Sphären. Habringers Studie ergab zum Beispiel, "dass die Mehrzahl der Befragten negative Erfahrungen mit der Polizei, insbesondere im Rahmen der Anzeigeerstattung, gesammelt" haben. Ein Großteil habe berichtet, sich von den zuständigen Beamten nicht ernstgenommen gefühlt zu haben, vermutlich wegen Sicherheitslücken bei der Thematik. "Andere Befragte bemerkten, dass das Anzeigeprotokoll nur sehr mangelhaft angefertigt wurde und viele Beweise außer Acht gelassen wurden." Das habe in weiterer Folge vermutlich zur Einstellung des Verfahrens geführt, heißt es in der Studie.

Dringenden Handlungsbedarf – das zeigt die Studie ganz deutlich – gibt es also auf fast allen Ebenen der Gesellschaft. Nur so kann eine Sensibilisierung dafür entstehen, welche Formen Cybergewalt annehmen kann – und welche Schritte gesetzt werden müssen, um ihr zu entkommen. (Mickey Manakas, 17.6.2023)