In der altehrwürdigen Tradition des britischen Parlaments hat es so etwas noch nicht gegeben: ein Premierminister, der das Haus wissentlich anlügt. Seit dem frühen 18. Jahrhundert gibt es das Amt, und es mag Inhaber gegeben haben, die es mit der Wahrheit nicht ganz so genau nahmen. Aber eine absichtliche Irreführung? Das hat sich niemand getraut. Schließlich beruht das System der parlamentarischen Demokratie darauf, dass geglaubt werden darf, was der höchste Regierungsrepräsentant dem Volk sagt.

Zeigt keine Spur von Reue: Boris Johnson.
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Boris Johnson, bis zum Sommer letzten Jahres noch Premierminister, hat nie gedacht, dass die Regeln, die für alle anderen gelten, auch für ihn bestimmt sind. Der Untersuchungsbericht, der ihn jetzt der Lügen und der Missachtung des Parlaments für schuldig erklärt hat, spricht von der "Häufigkeit, mit der er sich vor der Wahrheit verschlossen hat".

Das bestätigt schon allein ein Blick in seine Vergangenheit. Seinen ersten Job als Journalist verlor Johnson, nachdem er ein Zitat erfunden hatte. Seine journalistische Karriere gewann an Fahrt, als er mit der Erfindung von Euro-Mythen seine euroskeptische Leserschaft unterhielt. Aber am schlimmsten ist zweifellos, als amtierender Premier der Lügenhaftigkeit überführt worden zu sein. Und zeigt er Reue? Keine Spur. Einsicht, Besserung, Wiedergutmachung? Das wäre doch gelacht. Johnson geht stattdessen in den Gegenangriff über. Ein Mann ohne Ehre weiß nicht, wann es Zeit ist, den Mund zu halten. (Jochen Wittmann, 16.6.2023)