Frau sitzt mit Laptop auf Sofa mit Blick auf Reisterasse in Bali
Strand, Sommer, Sonne: Das Leben als digitaler Nomade ist durch Remote Work seit der Pandemie einfacher geworden. Doch an Hotspots wie Lissabon, Mexiko-Stadt und Bali regt sich Widerstand.
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Anfang der 1990er-Jahre radelte der amerikanische Journalist und Tüftler Steve Roberts mit einem computerisierten Fahrrad durch die USA. Das Vehikel, eine Art Lastenrad, war mit einer Reihe elektronischer Geräte wie einer Satellitenstation, einem Computer sowie einem Telefonanschluss ausgestattet, die mit einem auf dem Anhänger befestigten Solarmodul mit Strom versorgt wurden. Damals schleppte man noch Handy-Knochen mit sich herum und hockte zu Hause vor klobigen Monitoren. Und so lastete auch einiges Gewicht auf dem Rad: 263 Kilogramm wog das computerisierte Gefährt, das heute im Computer History Museum steht. Auf seiner Tour, die ihn 27.000 Kilometer quer durch die USA führte, verschickte Roberts von unterwegs E-Mails über satellitengestütztes Internet.

Der "digitale Nomade" war damals noch ein romantisches Abenteuer, ein Hippietraum, der mit der Taktung einer Industriegesellschaft mit starren Präsenzzeiten nicht kompatibel war. Obwohl die technischen Voraussetzungen für Fernarbeit schon länger vorhanden sind, brauchte es erst eine globale Pandemie, bis daraus ein Massenphänomen wurde: 35 Millionen digitale Nomaden haben mittlerweile auf der ganzen Welt ihre Zelte aufgeschlagen. Sie arbeiten als Programmierer, Grafikdesigner oder Blogger. Diese Remote Worker müssen nicht morgens antreten, wenn die Werksirene läutet – sie können von überall aus der Welt arbeiten und ihre Laptops aufklappen. Wenn der Teamleiter zur Videokonferenz ruft, ist es egal, ob man gerade in einem hippen Strandcafé auf Bali oder in einem Co-Working-Space in Bangkok sitzt. Hauptsache, es gibt schnelles Internet!

Gentrifizierung von außen

Als Hotspot für digitale Nomaden hat sich in den vergangenen Monaten Lissabon entwickelt. Die portugiesische Hauptstadt lockt mit angenehmem Klima, pittoresken Altstadtgässchen und günstigen Lebenshaltungskosten. Der Staat gewährt zudem ein spezielles Arbeitsvisum und Steuererleichterungen für Expats, von denen sich die sozialistische Regierung mehr ausländische Direktinvestitionen erhofft. Mittlerweile leben schätzungsweise 16.000 Remote Worker in Lissabon. Die Einheimischen sind jedoch alles andere als begeistert. Denn mit den digitalen Nomaden kommen nicht nur Fachkräfte ins Land, sondern auch zahlungskräftige Kunden, die U-Bahnen verstopfen und die Preise in die Höhe treiben. Im April dieses Jahres kam es zu Massendemonstrationen gegen steigende Mieten. Die Bewohner fürchten, dass sie aus der Stadt verdrängt werden und ins Umland ziehen müssen.

Auch in anderen Städten auf der Welt regt sich Widerstand. In Mexiko-Stadt protestierten im vergangenen Jahr Bewohnerinnen und Bewohner gegen die Gentrifizierung und zu laxe Visa-Vergaben. Die Megacity wird von US-Amerikanern, die mit einem Touristenvisum bis zu sechs Monate im Land bleiben können, regelrecht überflutet. In angesagten Stadtvierteln wie Roma und Condesa hört man in Restaurants und Supermärkten immer häufiger Englisch, die Vermieter vermieten ihre Wohnungen lieber über Buchungsportale wie Airbnb, und die kleinen Lebensmittelgeschäfte und Taquerías müssen immer öfter Pilatesstudios und Hipstercafés weichen. Die Remote Worker wollen ihren Lifestyle eben auch im Ausland.

Dass die "Gringos", wie man in Lateinamerika US-Bürger abschätzig nennt, mit den Dollarscheinen wedeln, war den Einheimischen schon immer suspekt. Dass sie ihnen jetzt aber auch noch die Wohnungen wegnehmen, sorgt für kollektive Wut. In der kolumbianischen Metropole Medellín, die in den vergangenen Jahren zu einer beliebten Destination für Tech-Beschäftigte avanciert ist, haben Anwohner Plakate mit Aufschriften wie "Gentrifizierer, geht nach Hause" oder "Digitale Nomaden, temporäre Kolonisatoren" aufgehängt.

Neokoloniale Abhängigkeitsverhältnisse

Auch andernorts wächst die Sorge, dass mit der "Work from everywhere"-Kultur neokoloniale Abhängigkeitsverhältnisse entstehen können, weil für Geringqualifizierte nur noch Dienerjobs als Kellner oder Pizzabote übrigbleiben. Für flexible "Anywheres" (David Goodhart), die überall auf der Welt zu Hause sind und für ihre Dienstleistungen üppige Honorare kassieren, fühlt es sich hingegen wie ein Schlaraffenland an. Günstiges Essen, wilde Partys, Luxusvilla mit Pool für 300 Dollar im Monat – der Content-Creator Thomas Manuel, der auf der indonesischen Ferieninsel Bali weilt, sprach kürzlich in einem Tiktok-Clip von einem "life cheat code", als wäre das Leben ein Computerspiel.

Der kanadische Autor Paris Marx monierte in einem Blogbeitrag für das Portal "Medium", dass sich Remote Worker häufig nicht für die lokale Kultur beziehungsweise die neue Umgebung interessierten und ignorant verhielten: "People who feel 'liberated' from space have no stake in improving the space around them." So bleiben die Expats meist in ihrer Blase.

Steve Roberts, der erste digitale Nomade, ist mittlerweile nicht mehr mit dem Fahrrad, sondern mit einem Schiff unterwegs, von dem er immer mal wieder Twitter-Nachrichten in das globale elektronische Dorf sendet. Vielleicht sind mobile, schwimmende Büros die Zukunft. Wohnungsknappheit braucht man auf hoher See jedenfalls nicht zu fürchten. (Adrian Lobe, 20.6.2023)