Wien – Gendern polarisiert, davon können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ORF-Kundendienstes ein Lied singen. Sie bekommen zu lesen oder zu hören, was dem Publikum sauer aufstößt, wenn etwa Armin Wolf bei seinen Moderationen geschlechtergerechte Sprache einsetzt. Damit diese Beschwerden weniger werden und die ORF-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter ein möglichst einheitliches Sprachbild abgeben, hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk jetzt seine Empfehlungen aktualisiert.

"ZiB 1"-Moderatorin Nadja Bernhard berichtet von negativen Reaktionen nach der Verwendung des Glottisschlags.
Screenshot/ORF-TVThek

Der ORF-Publikumsrat befürwortet diesen Schritt, Vorsitzender Walter Marschitz kann sich auch eine Verbindlichkeit vorstellen. ORF-Chefsprecher Haimo Godler betont hingegen den empfehlenden Charakter der Richtlinien – "und dabei soll es auch bleiben".

Keine Pause beim Sprechen

Im Mittelpunkt der vielfach geäußerten Kritik steht der sogenannte Glottisschlag, also die kurze Pause beim Sprechen vor der weiblichen Endung. Sie soll im ORF der Vergangenheit angehören. Das geht aus den Richtlinien hervor, die eine Arbeitsgruppe erarbeitet hat – DER STANDARD berichtete darüber. Ein  Statement dazu schickte "ZiB 1"-Moderatorin Nadja Bernhard*: "Ich habe anfänglich ausschließlich negative Reaktionen vonseiten des Publikums bekommen und daher den Glottisschlag nicht mehr verwendet. Insofern finde ich die Entscheidung richtig. Da muss wohl eine andere Lösung gefunden werden", sagt Bernhard zum STANDARD.

Männliche und weibliche Form

Die andere Lösung besteht etwa in der Verwendung der männlichen und der weiblichen Form oder dem Abwechseln dieser. Verhindert die Länge eines Inserts gendergerechte Sprache, ist sowohl der Gebrauch der femininen als auch der maskulinen Form zulässig. Ist der Frauenanteil hoch, sollte an die feminine Form gedacht werden, lauten die Empfehlungen, die eine Arbeitsgruppe erarbeitet hat. Sie bestand aus ORF-Rechtschreibkommission, ORF-Chefsprecher, ORF-Gleichstellungsbeauftragten und der Schulungsabteilung.

ORF-intern gibt es Kritik an der Art, wie mit den Richtlinien umgegangen wird. Eine offizielle Direktive hat es dazu offenbar nicht gegeben, die Empfehlungen sind lediglich im Intranet abrufbar, weshalb sich Moderatorinnen und Moderatoren mehrheitlich zur Frage öffentlich nicht äußern möchten. "Einen PR-Gag" vermutet darin gar ein Mitarbeiter.

"Zeitgerechte Lösung"

"Es gab bereits länger Überlegungen, wie wir geschlechtergerechte Sprache umsetzen", sagt ORF-Chefsprecher Haimo Godler zum STANDARD. Er war Teil der Arbeitsgruppe. "Mit dem Aufkommen des Glottisschlags hat die Diskussion noch einmal Fahrt aufgenommen. Die Reaktionen des Publikums, etwa beim Kundendienst, waren dann der Anlass, sich dem Thema grundsätzlich zu widmen." Godler: "Wir wollten einfach eine Lösung finden, die einerseits zeitgerecht ist, die dem Stand der gesellschaftlichen Entwicklung entspricht, aber trotzdem eine ist, die das Publikum teilt."

ORF untermauert Empfehlungen mit Umfrage

In die Empfehlungen der Arbeitsgruppe sind deswegen auch Ergebnisse einer Integral-Umfrage eingeflossen. Demnach stufen 77 Prozent der 1.000 Personen die Gleichstellung von allen Geschlechtern als sehr oder eher wichtig ein. Für jüngere Befragte und Frauen hat das Thema eine höhere Relevanz als für Männer und ältere Personen. Die höchste Zustimmung (72 Prozent der Befragten) in Sachen Berichterstattung erhält die Nennung von männlicher und weiblicher Form – etwa Kolleginnen und Kollegen. Gruppenbezeichnungen wie "das Publikum" statt Personenbezeichnungen wie "die Zuschauer" finden 68 Prozent sehr oder eher gut. Eine kurze Pause vor der weiblichen Endung beim Sprechen stößt dagegen nur auf die Zustimmung von 37 Prozent der Befragten.

"Sprache ist ein emotionales Thema"

Im Gegensatz zur Rechtschreibung gebe es beim Sprechen keine vorgeschriebene Grammatik mit verbindlichen Regeln, sagt ORF-Chefsprecher Godler. Im ORF hätten sich viele Kolleginnen und Kollegen danach gesehnt, eine Richtschnur zu haben. Sie hat einen empfehlenden Charakter, "und dabei soll es auch bleiben", so Godler. Wie das in der Praxis in einem Unternehmen funktioniere, in dem 1.800 Leute programmgestalterisch tätig seien, werde sich weisen. Adaptierungen schließt er nicht aus. "Sprache ist ein emotionales Thema, denn sie hat immer etwas mit Identität zu tun. Und wenn sich bei der Sprache etwas ändert, fühlen sich viele auch in ihrer Identität infrage gestellt."

Viele Beschwerden auch beim Publikumsrat

ORF-Moderatorinnen und -Moderatoren treten nicht als Privatpersonen auf, sagt Walter Marschitz, Vorsitzender des ORF-Publikumsrates. Welche Sprachbilder und Formulierungen sie verwenden, falle auf den ORF zurück. Der Publikumsrat vertritt die Anliegen des ORF-Publikums, und die Sprache ist ein emotionales Thema, das immer wieder an den Publikumsrat herangetragen wird, sagt Marschitz zum STANDARD. Vor allem der Glottisschlag habe zu vielen Beschwerden geführt. Marschitz hofft auf eine einheitliche Vorgehensweise innerhalb der unterschiedlichen ORF-Redaktionen. "Die Redaktion soll möglichst neutral rüberkommen."

Kommende Woche soll sich auch ORF-Generaldirektor Roland Weißmann in der Sitzung des Publikumsrats zum Regelwerk äußern sowie dazu, wie es genau implementiert werden soll. Dass die Empfehlungen der Arbeitsgruppe nur einen empfehlenden Charakter haben sollen, stellt Marschitz infrage. Er kann sich auch eine Verbindlichkeit vorstellen.

FPÖ: "Grüße aus der linken Parallelwelt"

Die FPÖ ist jedenfalls alles andere als zufrieden mit den Empfehlungen. FPÖ-Mediensprecher Christian Hafenecker bezeichnet sie als "Grüße aus der linken Parallelwelt am Küniglberg". Sie seien eine "Zwangsbeglückung der Bürger, die in einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk schlichtweg nichts verloren hat". Hafenecker verweist auf eine OGM-Umfrage, die der "Kurier" vor wenigen Wochen veröffentlicht hatte. Dieser zufolge sind zwei Drittel der Befragten für ein Ende des Genderns in Radio und Fernsehen und in der Amtssprache, nur 14 Prozent sind für eine Fortführung.

WDR geht einen Schritt zurück

Ebenso wie beim ORF wird auch in Deutschlands öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten intensiv und emotional über geschlechtergerechte Sprache diskutiert. So hat sich der Westdeutsche Rundfunk (WDR) erst kürzlich vom Gender-Gap verabschiedet. "Wir verwenden keine Formulierungen wie Bürger_Innen, Bürger:innen oder Bürger*innen. Weder geschrieben noch gesprochen", teilte der WDR mit. Er beruft sich auf repräsentative Befragungen, wonach eine deutliche Mehrheit der Menschen in Deutschland diesen Sprachgebrauch nicht möchte. "Gerne nutzen wir hingegen Doppelnennungen wie Bürgerinnen und Bürger", so der WDR. Wichtig sei, dass weder Sprachfluss noch Verständlichkeit darunter leiden.

Der ORF duldet Sonderzeichen im geschriebenen Wort wie bei Bürger:innen oder Bürger*innen ausschließlich in sozialen Netzwerken oder Webauftritten wie fm4.ORF.at – ORF.at ist ausgeschlossen. Der Schrägstrich ("Teilnehmer/innen") wird nicht empfohlen. Kaum beliebter ist der Einsatz von Symbolen wie einem Stern, Doppelpunkt oder Unterstrich (40 Prozent).

ARD und ZDF keine Vorbilder für ORF

Der WDR ist als Landesrundfunkanstalt Teil des Rundfunkverbunds ARD. Die ARD verfügt über keine einheitlichen Regelungen zum Einsatz geschlechtergerechter Sprache. Der ORF und sein Chefsprecher Haimo Godler haben auch nach Deutschland geschielt, das Modell aber nicht goutiert. "Jedes Haus handhabt das anders, mit mehr oder weniger expliziten Einschränkungen oder Ermutigungen. Und beim ZDF ist es so, dass diese Dinge in den jeweiligen Redaktionen geklärt werden müssen. Das wollten wir so nicht haben, sondern wir wollten eine Richtlinie, mit der das Haus leben kann", so Godler.

"Grundsätzlich achtet das ZDF darauf, diskriminierungsfrei zu kommunizieren. Dabei sollen sich alle angesprochen und wertschätzend behandelt fühlen", heißt es seitens des ZDF auf STANDARD-Anfrage, ob es Richtlinien für geschlechtergerechte Sprache gebe. "Für die Sprache in journalistischen Beiträgen, vor allem bei der gesprochenen Sprache, gibt es keine konkreten Vorgaben und Regelungen." (Oliver Mark, Doris Priesching, 17.6.2023)

*Update 18.6., 8.15