In der Diskussion über das neue ORF-Gesetz entsteht manchmal der Eindruck, dass das Mediengeschäft ein Nullsummenspiel ist. Manchmal stimmt das auch. Wenn der ORF im TV keine Werbung mehr schalten dürfte, würde ein großer Teil davon an private Medien fließen. Oft stimmt es aber nicht, zum Beispiel bei der Frage, wie aktiv der ORF auf sozialen Medien sein darf.

Die Debatte über den ORF birgt das Risiko, Medienhäuser abzulenken. Langfristig solide können sie nur sein, wenn Kunden bereit sind, für ihre Produkte zu zahlen.

Bereit zu zahlen

Man sollte annehmen, dass Redakteure des Kurier eine andere Themenauswahl vornehmen als die der Presse, die Blattmacherin der Süddeutschen andere Schwerpunkte setzt als die der FAZ; aus dieser unterschiedlichen Einordnung und Analyse können Kunden auswählen – und sind dafür bereit zu zahlen. So weit die Theorie.

In der Praxis stellt man eine relativ hohe Überschneidung zwischen Medien fest. Dort, wo die Redaktionen von ihren Verlegern ausgedünnt werden, übernehmen Redakteure allein schon aus Zeitgründen Agenturmeldungen und folgen Twitter-Trends. In einem algorithmisch gefilterten Prozess entscheiden dann Likes, Shares und Kommentarzahlen, was gerade "Mainstream" ist. Das hat zwar nichts mit der landläufigen Definition von Mainstream zu tun, zeigt aber das Dilemma der österreichischen Medien: Warum soll man Geld ausgeben für etwas, was es an jeder virtuellen Ecke kostenlos gibt?

Priorisieren, auswerten, einordnen

Journalisten können jedoch, was Algorithmen versagt ist, nämlich priorisieren, auswerten, einordnen und in Geschichten packen, die interessant sind, obwohl sie von der großen Mehrheit der Nutzer und anderen Medien noch nicht als interessant erkannt wurden.

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Journalisten können Meinungsbildung in einer komplexen Welt moderieren. Sukzessive Sparrunden in Redaktionen verhindern das.
Foto: APA / Helmut Fohringer

Mit anderen Worten: Journalisten können Meinungsbildung in einer komplexen Welt moderieren, indem sie Neues, oder zumindest neue Aspekte, suchen, querrecherchieren und dazu beitragen, die Welt etwas anders zu sehen. Sukzessive Sparrunden in Redaktionen verhindern das. Sie reduzieren den Heimvorteil von Medien, zum Beispiel die regionale Berichterstattung oder Fach-expertise. Berichterstattung findet dann überwiegend als "Hat-stattgefunden-Journalismus" statt, was vor Jahrzehnten vielleicht noch reichte, aber heute nicht befriedigt.

Theoretisch können Nutzerinnen autonom aus aberwitzig vielen Quellen, die es online gibt, ihre eigenen Nachrichten kuratieren. Aber ein Einzelner hat oft nicht Zugang zu den relevanten Quellen und kann weder Wahrheitsgehalt noch Qualität beurteilen. Medien können das; mit dem Kauf ihrer Produkte erhalten Nutzerinnen einen Gegenwert: eine kompakte, doch substanzielle Übersicht des Geschehens, aus origineller Perspektive. Wenn mehr Medienhäuser sich wieder mehr professionalisieren und wieder verstärkt ihre Rolle als Kurator wahrnehmen, könnte die Akzeptanz ihres Journalismus – und die Zahlungsbereitschaft – wieder steigen.

Dazu braucht es Mittel. In eine fallende Umsatzkurve zu investieren erfordert Mut und Know-how aus Ländern, wo Medien diesen Umbau erfolgreich vornehmen. Davon, viel mehr noch als vom ORF, hängt die Zukunft der privaten Medien in Österreich ab. (Veit Dengler, 19.6.2023)