Der Sommer scheint hierzulande dieser Tage so richtig in Fahrt zu kommen, Höchstwerte von bis zu 35 Grad Celsius werden erwartet. Die relativ kühlen und nassen Phasen zuvor können leicht darüber hinwegtäuschen, dass wir global gesehen schon längst einen Hitzerekord nach dem anderen brechen und Menschen in vielen Teilen der Welt bereits unter Hitzewellen leiden. Am Sonntag wurde für den Nordatlantik, wo sich seit Wochen ein für diese Jahreszeit extremer Temperaturanstieg abzeichnet, erstmals eine Oberflächentemperatur von 23 Grad vermeldet.

Die US-Wetter- und Ozeanografiebehörde NOAA hat nun Teile des nördlichen Atlantiks als Zonen einer marinen Hitzewelle der Kategorie 4 (von 5) eingestuft, das bedeutet "extrem". Insbesondere die Küsten um Großbritannien sind betroffen. Eine derartige Hitzewelle könnte gravierende Auswirkungen auf die Nährstoff- und Sauerstoffversorgung und damit auf die Nahrungsnetze im Meer haben, warnen Fachleute. Insgesamt ist das Oberflächenwasser in den Ozeanen im globalen Mittel seit März so warm wie noch nie.

Doch auch die Lufttemperaturen sind ungewöhnlich hoch: Die ersten Junitage waren laut Daten des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus die bisher heißesten seit Beginn der Messungen. Erstmals im Juni überschritten die mittleren globalen Oberflächentemperaturen zeitweise die 1,5-Grad-Marke im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Laut Copernicus-Forschenden lag die gemessene Temperatur zwischen dem 7. und 11. Juni weltweit an der 1,5-Grad-Schwelle oder darüber, am 9. Juni sogar bei 1,69 Grad. Bisher sind solche Spitzenwerte nur im Winter oder Frühling aufgetreten.

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Vorläufer von Hitzewellen

"Auch wenn eine konkrete Vorhersage mit Unsicherheiten behaftet ist, wissen wir, dass Temperaturschwankungen im Ozean das Auftreten von Hitzewellen, Dürren und Starkniederschlägen – je nach Region – begünstigen können", sagt Johanna Baer, Klimaforscherin an der Universität Hamburg. "Die Temperaturanomalien im nördlichen Atlantik sind denen, die Vorläufer von Hitzewellen in Europa sein können, nicht unähnlich." Insbesondere das Wetter in den angrenzenden Ländern würde von regionalen Ozeanerwärmungen beeinflusst.

Konkrete mehrmonatige Vorhersagen einzelner Hitzewellen seien mit Vorsicht zu betrachten, betont Baer. "Dennoch: Die jüngsten Vorhersagen deuten darauf hin, dass die Temperaturen für den gesamten Sommer in ganz Europa überdurchschnittlich hoch sein können. Dabei ist die Zuverlässigkeit dieser Vorhersagen für die zentralen und westlichen Regionen Europas am höchsten."

Hitzewelle, Strand
Marine Hitzewellen könnten bald auch an Land für Rekordtemperaturen sorgen. In Großbritannien nutzten Menschen die ersten Hitzetage rund um den 10. Juni für einen Strandausflug.
AP Photo/Manu Fernandez,

"Es wird wahrscheinlich eines der global wärmsten Jahre seit Beginn der Temperaturmessung werden", vermutet Dietmar Dommenget von der australischen Monash University. "Die warmen Oberflächentemperaturen der Meere werden zu noch stärkeren Erwärmungen – etwa 30 bis 50 Prozent – der kontinentalen Oberflächentemperaturen führen, da das kontinentale Klima sehr sensibel auf die Oberflächentemperaturen der Meere reagiert." 

Eng verknüpft mit steigenden Temperaturen ist der gerade beginnende Wechsel vom Wetterphänomen La Niña zum Gegenpart El Niño, das mit einer Erwärmung des Pazifischen Ozeans einhergeht und zu verstärktem Extremwetter führen kann. El Niño tritt alle zwei bis sieben Jahre auf – zuletzt in den Jahren 2018 und 2019 – und kann die globalen Temperaturen zusätzlich anheizen. Sollte sich bis Jahresende ein starker El Niño entwickeln, würde das laut Dommenget "mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zu noch mehr Wärmerekorden führen".

Während die Temperaturmuster im Pazifik aufgrund von El Niño noch weitgehend nachvollziehbar sind, verblüffen die starken Anomalien im Nordatlantik auch die Fachwelt. "Der Nordatlantik ist im Moment 1,1 Grad wärmer als im Durchschnitt der vergangenen 40 Jahre, und selbst das wärmste von diesen 40 Jahren lag nur 0,55 Grad über dem Mittel", sagt Till Kuhlbrodt, Ozeanograf von der britischen Universität Reading. "In anderen Worten: Die jetzige Erwärmung ist doppelt so hoch wie das wärmste Jahr zuvor. Daher liegt sie deutlich außerhalb dessen, was man erwarten würde."

Überlagerung mehrerer Effekte

Über die Ursachen wird derzeit noch spekuliert. Vermutet wird eine Überlagerung mehrerer Effekte, die zur allgemeinen Erwärmung durch den menschengemachten Klimawandel hinzukommen. So könnten weniger Saharastaub und verringerte Abgasemissionen im Schiffsverkehr dafür sorgen, dass sich weniger Aerosole und Partikel über dem Atlantik befinden. Diese hatten bisher einen kühlenden Effekt, da durch diese Schicht weniger Sonnenenergie auf die Meeresoberfläche gelangte. Aber auch eine Abschwächung der Ozeanzirkulation durch schwache Passatwinde – als Reaktion auf die globale Aufheizung – wird als mögliche Ursache betrachtet.

"Man kann ausschließen, dass die relativ warmen globalen Oberflächentemperaturen des Wassers oder auch im Nordatlantik allein durch natürliche Schwankungen entstanden sind", fasst Dietmar Dommenget zusammen. "Die Wahrscheinlichkeit ist praktisch null."

Erst kürzlich hatte die NOAA Rekordwerte für CO2 in der Atmosphäre an ihrer Messstation auf Hawaii verkündet. So sei der Durchschnittswert für Mai 2023 der höchste jemals erfasste Monatswert gewesen. Demnach wurde eine CO2-Konzentration von 424 ppm (Teilchen CO2 pro Millionen Teilchen) gemessen. Der CO2-Level sei nun um 50 Prozent höher als vor Beginn des Industriezeitalters, hieß es von der Behörde.

Europa ist besonders von der Hitze betroffen. Ein eben erschienener Bericht von Copernicus, der gemeinsam mit der Weltorganisation für Meteorologie WMO erstellt wurde, belegt, dass Europa der Kontinent mit der stärksten Erwärmung ist. Im vergangenen Jahr lag die Durchschnittstemperatur 2,3 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Über 16.000 Menschen starben an extremer Hitze, der Schaden betrug insgesamt 1,8 Milliarden Euro. Ein Ausreißer seien die Temperaturwerte von 2022 nicht, sagt der Direktor des Klimawandeldienstes von Copernicus, Carlo Buontempo: "Leider handelt es sich dabei nicht um ein einmaliges Ereignis oder um eine klimatische Besonderheit." Er sieht die Extreme als Teil eines Musters. (Karin Krichmayr, 20.6.2023)