Sie haben einen großen politischen Einfluss in Österreich und können ihren Wünschen regelmäßig Gehör verschaffen. Nein, die Rede ist hier nicht von den heimischen Landwirten, sondern von der Tourismus- und Gastronomiewirtschaft. Seit dem Ende der Pandemie und der schlagartigen Rückkehr der Urlaubsgäste beschäftigen sich die Vertreter der heimischen Touristiker vor allem mit einer Frage: Wo sind die ganzen Arbeitskräfte geblieben?

In regelmäßigen Abständen beklagt die Wirtschaftskammer den Mangel an Fachkräften aller Art, angefangen bei Koch und Kellner, und ruft nach Hilfe durch die Politik.

Ein Kellner bedient Menschen in einem Gastgarten.
Die Gastronomie beschäftigt jedes Jahr gut eine halbe Million Menschen.
Christian Fischer

Aber wie groß sind die Herausforderungen in der Tourismuswirtschaft tatsächlich, sind die Arbeitsbedingungen so mies, dass sich zu wenige Menschen finden, um in Gastro und Hotels zu arbeiten, oder liegen die Probleme woanders? Eine am Montag vorgestellte Studie des Forschungsinstituts IHS wirft ein neues Schlaglicht auf diese Fragen und die dahinterliegenden Debatten. Im Auftrag des ehemaligen Bundesministeriums für Nachhaltigkeit und Tourismus, dessen Agenden inzwischen auf mehrere andere Ministerien übergegangen sind, hat der IHS-Ökonom Dominik Walch den touristischen Arbeitsmarkt und die dahinterliegenden Ströme von Beschäftigten vermessen. Das Datenmaterial, das der Ökonom von den Sozialversicherungsträgern erhalten hat, gibt Einblicke dazu, woher die Probleme der Branche kommen.

So beschäftigte der Tourismussektor im Jahresmittel 2022 etwa 264.000 Menschen. Allerdings ist die Zahl der unterschiedlichen Beschäftigten, die während eines Jahres irgendwann in dem Sektor arbeiten, viel höher und belief sich auf rund 500.000 Menschen pro Jahr. 

Arbeitnehmer in der Branche
Nach dem Corona-Einbruch kam Erholung.
Redaktion

Wie kommt dieser hohe Wert zustande? Der Tourismus ist eine saisonale Branche, im Sommer und Winter müssen Spitzen abgedeckt werden, dazu kommen eigene Spitzen an Wochenenden und Feiertagen, an denen der Personalstand in die Höhe geht mit Aushilfskräften und Saisonbeschäftigten. Dazu kommt aber noch – und hier wird es in puncto Arbeitskräftemangel spannend –, dass die personelle Fluktuation enorm hoch ist.

Ein Viertel geht

Von den rund 500.000 Beschäftigten verlässt nämlich jedes Jahr gut ein Viertel, 137.000 Menschen waren es 2018, den Sektor endgültig. Diese Leute suchten sich also woanders einen Job oder hörten ganz auf zu arbeiten oder kehrten nach einer Saisonbeschäftigung nicht wieder zurück nach Österreich. Welche Folgen hatte das 2019? In der Gesamtbeschäftigung im Sektor blieb im Grunde alles beim Alten, die Beschäftigung stieg insgesamt nur ganz leicht an, wieder waren knapp mehr als eine halbe Million Menschen in Tourismus und Gastro tätig. Doch um diesen Wert zu erreichen, mussten 2019 gut 140.000 neue Arbeitskräfte gefunden werden. Das gelang auch. Aber diese enorme Rotation ist es, sagt Studienautor Walch, die dafür sorgt, dass die Debatten über den Arbeitskräftemangel in der Branche so laut geführt werden: In keinem anderen Sektor muss Jahr für Jahr ein Viertel des Beschäftigtenstandes ersetzt werden.

Gut 500.000 Menschen arbeiten pro Jahr in der Branche. Dahinter verbirgt sich eine gewaltige Fluktuation.
Redaktion

Das führt natürlich zur zweiten Frage, warum überhaupt so viele gehen. Hier gibt es eine Reihe von Gründen, je nachdem, wen man fragt. Die zuständige Dienstleistungsgewerkschaft Vida etwa argumentiert, dass es die schlechten Arbeitsbedingungen sind, die viele Menschen vertreiben: Viele Betriebe bieten keine ganzjährigen Stellen an, kümmern sich nicht genug um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder zahlen schlecht.

Welche Kündigungsfristen gelten? Keiner weiß es genau

Wirklich einmalig dürfte sein, dass in der Branche nicht einmal ganz klar ist, welche Kündigungsfristen gelten: Gewerkschaft und Arbeitgeber streiten darüber seit mehreren Jahren. Für Arbeiter gilt im Tourismus laut geltenden Kollektivverträgen im Regelfall eine 14-tägige Kündigungsfrist. Diese Kündigungsspannen sind deutlich kürzer, als es Gesetz und Kollektivverträge für Angestellte vorgeben: Hier gilt eine Frist von mindestens sechs Wochen. Im Gesetzt wurde festgehalten, dass die Kündigungszeiten angeglichen werden müssten – zwei Wochen wären also nicht mehr erlaubt. Doch für Branchen mit überwiegend saisonalem Charakter gilt das nicht. Ob das im Tourismus zutrifft, dazu gibt es bisher keine Einigung – und selbst ein Urteil vom Obersten Gerichtshof (OGH) in der Sache brachte keine Klärung. Die Arbeitgeber müssen belegen, dass die Mehrheit der Unternehmen saisonal arbeitet.

Ist die Tourismusbranche also ein schlechter Arbeitgeber und die Ursache aller Probleme? So einfach sei es auch nicht, sagt Walch, auch wenn er nicht widerspricht, dass es viele Probleme gibt. Er führt noch weitere Aspekte an für die Fluktuation: Der Tourismussektor ist eine typische Einstiegsbranche, viele Studierende arbeiten hier etwa nebenbei und verabschieden sich dann mit der Zeit. Auch die Arbeitszeiten schrecken Menschen ab, die sich etwa um Kinder kümmern müssen, richten sie sich doch zwangsweise meist nach den Bedürfnissen der Gäste – in Hotelrestaurants zum Beispiel typisch mit Dienst in der Früh beim Frühstück, dann zu Mittag und nochmal abends. Dazu kommt, dass viele Saisonarbeitskräfte aus dem Ausland kommen und irgendwann nicht mehr wollen, weil sie in der Heimat etwas finden.

Wer Unternehmer nach den Ursachen der Fluktuation befragt, bekommt noch einen Grund zu hören: Die Belastung des Faktor Arbeit in Österreich ist zu hoch, sagt der Gastronom Sepp Schellhorn. Das führe dazu, dass am Ende des Tages Arbeitskräfte zu teuer sind und von den Betrieben nicht ganzjährig beschäftigt werden können. Die hohe Abgabenlast reduziere auch die an Feiertagen und Sonntagen gezahlten Zuschläge - auch das verringere die Attraktivität der Branche.

Studienautor Walch sagt, dass es manchen Betrieben gelingt, mit der herausfordernden Personalsituation gut umzugehen: Diese Unternehmen schaffen es, dass ihre Kernarbeitskräfte und Saisonniers immer aus denselben Leuten bestehen. Das AMS bietet etwa Unternehmen Schulungen dazu an, was helfen kann. 

Das ist also eine der Erkenntnisse der Studie: Ja, der heimische Tourismusarbeitsmarkt wird laufend frische Zuwanderung brauchen, um mit den Nachfragespitzen umzugehen. Die Betriebe könnten aber selbst wesentlich mehr tun, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten. Die enorme Fluktuation schafft eine Spezialsituation.

Noch ein paar interessante Zahlen finden sich in der IHS-Analyse. So zeigt sich, dass in fast jedem Unternehmen in Österreich irgendwer arbeitet, der schon einmal im Tourismus tätig war. Allein seit 1997 beschäftigte der Sektor mehr als zwei Millionen Menschen. Das führt auch zu einem "Multiplikatoreffekt", wie Walch sagt: Überall kursieren Geschichten dazu, wie es in der Branche zugeht.

Fast in jedem Unternehmen arbeitet jemand, der schon einmal im Tourismus beschäftigt war.
Fast in jedem Unternehmen arbeitet jemand, der schon einmal im Tourismus beschäftigt war.
Redaktion

Von den rund 500.000 Beschäftigten ist etwa ein Viertel ganzjährig beschäftigt, sie erbringen etwa 50 Prozent der Arbeitsleistung in der Branche. Das sind die Kernbeschäftigten. Ein weiteres Viertel arbeitet nur saisonal, also wiederkehrend im Sommer und Winter. Und rund die Hälfte der Leute machen temporär Beschäftigte aus, die also nebenbei in der Branche jobben oder nur für sehr begrenzte Zeit. (András Szigetvari, 19.6.2023)