Was sie tun, was sie lassen sollen: Für Mütter gibt es unzählige Tipps, auch an sich selbst denken gehört meist nicht dazu. 
Was sie tun, was sie lassen sollen: Für Mütter gibt es unzählige Tipps, auch an sich selbst denken gehört meist nicht dazu.
Getty Images/iStockphoto

"Daran kann ich mich nicht erinnern." Diesen Satz hören viele werdende oder frischgebackene Eltern, wenn sie es von Erfahreneren genauer wissen wollen. Ana Wetherall-Grujić kann sich aber noch sehr gut erinnern, hat sie doch kurz nach der Geburt ihres Kindes das Buch "Das Baby ist nicht das verdammte Problem" geschrieben. Ihre Erinnerungen an die Schwangerschaft, an Gespräche mit Hebammen oder den Schwall an Ratschlägen für die erste Zeit mit Baby waren noch frisch.

Es sind viele Déjà-vus, die sich beim Lesen einstellen, abgelöst von der Erkenntnis, warum sich so viele nicht mehr erinnern (wollen): Übergriffige Kommentare und feldwebelartige Befehle säumen den Weg der Schwangeren. Nicht zu vergessen die als Schmäh verpackten Prophezeiungen, worauf man sich gefasst machen solle: nie mehr schlafen, nie mehr in Ruhe essen oder ohne Stress aufs Klo gehen. Ist halt so. Wirklich? Nun ja, weil wir es so eingerichtet haben, schreibt die Journalistin und ehemalige STANDARD-Redakteurin Wetherall-Grujić. Die Arbeitsteilung zwischen Müttern und Vätern zuungunsten der Frauen ist ebenso wenig vom Himmel gefallen wie Karenzmodelle, die die Geschlechterhierarchien zementieren. Es ist auch kein Naturgesetz, dass Eltern und vor allem Mütter mit der Mammutaufgabe Baby so oft allein bleiben. Inklusive unzähliger To-dos, die es ihnen unnötig schwer machen, während man gleichzeitig so tut, als trügen Frauen seit jeher sämtliche Babykompetenzen in sich.

Liebe, nur nicht für sich selbst

Tun sie nicht. Gerade deshalb wäre es wichtig, sich auf halbwegs ideologiebefreite Infos verlassen zu können und Hilfe zu bekommen, die ohne Bewertung durch die Hintertür auskommt. Eine Bewertung, die schnell mal suggeriert: Es ist das Beste für das Baby, deshalb: Tu es! Ob es auch das Beste für die Mutter ist, egal. Im Gegenteil, Mütter müssen leiden, das ist fixer Bestandteil eines uralten, aber intakten Mutterideals: Aufopferung, Leiden, grenzlose Liebe für andere, keine für sich selbst.

Ana Wetherall-Grujić,
Kremayr & Scheriau

Dass das bis heute und selbst für junge feministische Mütter und Schwangere Alltag ist, zeigt Wetherall-Grujić. So müssen Schmerzen etwa ertragen werden. Punkt. Bei der Geburt sowieso, für die es eine Art Hitliste des Gebärens gibt: Eine Spontangeburt soll es sein, am besten ganz ohne PDA – und ein Wunschkaiserschnitt ist sowie das Letzte. Zahllose abwertende Kommentare, sehr oft von Hebammen und in Mütterforen, zeugen davon. Große Angst vor der Geburt? Das gilt vielen noch immer nicht als Argument für einen Kaiserschnitt. Und haben Sie bitte nicht so etwas wie Migräne oder andere Schmerzen während der Schwangerschaft. "Schwangeren gebe ich grundsätzlich keine Schmerzmittel" bekommt die Autorin von ihrer Hausärztin zu hören, fertig. Dabei gäbe es Schmerzmittel, die Schwangere problemlos nehmen können. Doch es zu ertragen, das scheint bis heute oberstes Prinzip einer guten Mutterschaft zu sein. Auch wenn es noch so unnötig ist. Wie so oft beim Stillen.

Böses Flascherl, gute wunde Brustwarzen

So deutliche Kritik an Krankenhauspersonal und Hebammen, wie sie Wetherall-Grujić in ihrem Buch niederschreibt, liest und hört man selten. Vielmehr hört man sie nur hinter vorgehaltener Hand von Müttern. Sicher, Pflegekräfte sind unter Druck, aber Mütter können dafür auch nichts und sind kurz nach der Geburt besonders vulnerabel. Sie werden durch Kürzungen im Gesundheitssystem samt gestresstem Personal im Stich gelassen. Wetherall-Grujić vergisst einerseits die strukturellen Aspekte nicht, andererseits benennt sie auch den tiefsitzenden Paternalismus gegenüber frischgebackenen Müttern, der mit Stress im Krankenhaus nicht zu erklären ist. Probleme und verständlich zaghaft vorgebrachte Präferenzen – sicher ist man sich in einer solchen Ausnahmesituation nur selten – werden schnell mal übergangen. Vielleicht doch ein Flascherl? Das dauert halt, hören Frauen dann oft von Krankenpfleger:innen und Hebammen. Da lässt man lieber mal das Baby ein bisschen hungern, bevor das ach so böse Flascherl gegeben wird, weil: Stillen ist das Beste für das Baby. Die Brustwarzen der Mutter sind wund und schmerzen beim Anlegen höllisch, der Milcheinschuss ist noch nicht da, und das Baby nuckelt deshalb umsonst am wunden Busen. Ist Stillen immer das Beste für das Baby? Mantraartig wiederholte Glaubenssätze verstellen oft den Blick für bessere Lösungen, erst recht, wenn es auf den ersten Blick vor allem der Mutter hilft. Aber wie heißt es auch? Glückliche Mutter, glückliches Baby? Ein anderes Mantra, das allerdings weit weniger ernst genommen wird.

"Das Baby ist nicht das verdammte Problem" ist eines der wenigen Bücher, die man guten Gewissens werdenden Eltern schenken kann. Eines, das nicht alles den Einzelnen umhängt, sondern einem unsolidarischen Umfeld und den patriarchalen Strukturen. Ein Buch, das Frauen in ihrer Wut über all das ernst nimmt und darin bestärkt, nicht an sich selbst herumzuoptimieren, sondern sich die Kraft zu sparen. Um sich gegen Besserwisser:innen zu stemmen und durchzusetzen, was sie für sich selbst brauchen. Um es für sich und damit ein Stück weit für alle künftigen Schwangeren und Mütter einfacher zu machen. (Beate Hausbichler, 20.6.2023)