Hamish Fulton
Berge und Seen neu sehen lehren will der spazierende Konzeptkünstler Hamish Fulton, indem er den Dachstein zehn Tage lang erwandert – und dort Spuren hinterlässt.
salzkammergut2024

"Kantig" und "eckig" stehen als Schlagwörter zum Programm auf der Wand hinter Elisabeth Schweeger. Gemünzt sind sie eigentlich auf das Programm der Kulturhauptstadtregion Salzkammergut 2024. Am Montag stellte die Intendantin in Wien selbiges vor. Kantig und eckig ist aber teils auch der Umgangston der Beteiligten mitein­ander, wie Der STANDARD am Wochenende berichtete. Denn unter Politikern der steirisch-oberösterreichischen Grenzregion und dort Gebürtigen gibt es mitunter Kritik am Programm, etwa die Auswahl der Projekte oder die Kommunikationskultur betreffend.

Dazu stellte Schweeger nur noch kurz klar: Es handle sich um 23 "sehr eigenwillige, eigensinnige und widerständige Gemeinden", wenn man das Salzkammergut kenne, wisse man das. Wobei Schweeger diese Reibung auch als Vorteil sieht, denn Streitgespräche gehörten zum demokratischen Prinzip. Insofern könne die Querele sogar ein hoffnungsvolles Signal für Europa sein. Die Zusammenarbeit mit den 23 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern sei "konstruktiv". So erfüllte Schweeger damit auch das dritte Schlagwort zum Programm auf der Wand hinter sich mit Leben: "voraus". Nicht zu Unrecht.

Start mit 1000 Sängern

Tatsächlich dürfte sich ab 19. Jänner 2024 im Salzkammergut viel Hochinteressantes ereignen. Eine Eröffnungsoperette von Barrie Kosky sowie ein 1000 Köpfe starker Chor (zusammengestellt von Hubert von Goisern) gehören dabei zu den klassischeren Formaten. Tickets für alles soll es ab September geben.

Eine Leerstandserhebung in der Region hat etwa schon konkrete Ergebnisse gezeitigt: Nicht nur werden Künstlern, die sich noch melden können, freie Räume zur Verfügung gestellt. Über die Erhebung ist Schweeger auch auf eine Vielzahl leerstehender Bahnhöfe aufmerksam geworden, zwölf davon – von Attnang-Puchheim bis Tauplitz – lässt sie 2024 von internationalen Künstlern bespielen. Schweeger will sie zu Begegnungszonen machen. Im Zug wird man über eine App Zugriff auf das immersive Projekt Regional Express haben und dabei neben Recherchen auch Videos von Orten im Salzkammergut genießen, die man nicht betreten kann. Die in Gmunden geborene Filmerin Ella Raidel arbeitet gerade in Traunkirchen daran, der Bürgermeister stellt dem Team nebst einem alten Bauernhaus als Werkstatt auch ein Auto zur Verfügung. Kultur als ein glänzendes Ufo? Nein.

Elisabeth Schweeger
Die künstlerische Leiterin der Kulturhauptstadt Salzkammergut, Elisabeth Schweeger.
APA/GEORG HOCHMUTH

85 Prozent der bereits fixierten Projekte werden von regionalen Künstlerinnen, Institutionen, Betrieben bestritten. Zahlreiche Künstler und Wissenschafter waren bereits oder werden diesen Sommer für ihre Projekte vor Ort sein. Unter ihnen Eva Schlegel, die mit dem Büro 2MVD für ein Augmented-Reality-Projekt den für Nazi-Bombentests genutzten Toplitzsee und die Kaiservilla virtuell anreichern wird. Art Your Village setzt sich mit den kleinen Gemeinden auseinander. Die Kunstuni Linz baut Plattformen, die als Gesprächsorte (Teilnehmersuche per Open Calls) dienen sollen, u. a. eine schwimmende Sauna. Zugleich fallen neben Namen wie Ceija Stojka, Lisel Salzer oder Elfie Semotan und Valie Export auch viele von Künstlern aus Israel, Island, Lettland, Japan, Nigeria. Man will den Kulturdialog von Fremdem und Heimischem.

Ein Festival mit Anpack

Der Geist des Ansprechens und Anpackens sich akut stellender gesellschaftlicher Fragen und Probleme durchweht auch die Programmlinie "Baukultur und Handwerk". Hier wird es neben einer Sensibilisierung für selbiges Thema bei Entscheidungsträgern unter anderem um Flächenverbrauch und Bodenschutz (Ergebnisse einer Erhebung der TU Wien werden bereits mit Gemeinden diskutiert), Tourismus (Stichworte Overtourism und Hallstatt) oder traditionelle regionale Baumaterialien gehen. Das Wissen ums Kalkbrennen soll etwa wieder verankert werden und so Transporte reduzieren. In Bad Goisern schlägt indes die Stunde der Lehmbauten.

Der ländliche Raum sei ein hochspannender mit sehr viel Potenzial, propagiert Schweeger. Und sie sieht die Arbeit im Salzkammergut auch als Dienst an ganz Europa. Denn Regionen wie diese gebe es überall und zahlreich. Die Abwanderung der jungen Generation? Auch eine der Fragen, denen man sich stellt.

Kritik aus der Region hatte Schweeger teils die Befassung mit Erinnerungskultur eingebracht. Nur eine klare Sicht auf die Vergangenheit erlaube eine klare Sicht auf die Zukunft, entgegnet sie. Und stellt den Schattenseiten auch allerlei Kraftproben entgegen. Wenn der Plan so glückt wie nun präsentiert, wird das Projekt reichlich zu denken geben. (Michael Wurmitzer, 19.6.2023)