Das geringe Alter der Terrorverdächtigen und St. Pölten: Das sind zwei Aspekte, die nach den Verhaftungen in Zusammenhang mit dem möglicherweise geplanten islamistischen Anschlag auf die Wiener Regenbogenparade auffallen. Erst 14 und 17 Jahre sind die beiden Burschen, die nun in U-Haft sitzen. Der Jüngere ist in Wien gemeldet, der ältere in St. Pölten.

Dass bereits Teenager als Extremisten auftreten, sei heutzutage nicht unüblich, sagt Peter R. Neumann vom Londoner King‘s College. Während der Hochphase des IS sei das typische Profil eines Islamisten gewesen: "Männlich, zwischen 18 und 25 Jahre". Nun, zehn Jahre später, sei die "demografische Spannweite" eine andere.

Am Samstag zog die Regenbogenparade über den Ring. Eine Stunde vor Start waren drei Männer verhaftet worden, einer wurde mittlerweile wieder entlassen.
Am Samstag zog die Regenbogenparade über den Ring. Eine Stunde vor Start waren drei Männer verhaftet worden, einer wurde mittlerweile wieder entlassen.
APA/EVA MANHART

Welche Verbindungen die beiden Verdächtigen – abgesehen von einer Adresse – zu St. Pölten haben, ist Gegenstand von Ermittlungen. Die dortige Terrorszene spielte in Zusammenhang mit dem Anschlag in Wien am 2. November 2020 eine wesentliche Rolle: Der damalige Attentäter soll sich unter anderem in der St. Pöltner Wohnung des radikalislamischen Predigers Argjend G. radikalisiert haben.

Das Duo habe weder den Wiener Attentäter noch den Prediger persönlich gekannt, dürfte aber online "mit Personen aus diesem Umfeld" zusammengetroffen sein, hatte es am Wochenende seitens der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst geheißen. Nähere Informationen waren am Montag nicht zu erhalten.

Kreis erneuert sich ständig

Ein Mitarbeiter der NGO Derad, in heimischem Gefängnissen für Extremismusprävention zuständig, beschreibt die St. Pöltner Terrorszene im STANDARD-Gespräch als wechselhaft: "Das ist ein Kreis junger Leute, der sich ständig erneuert – der eine kommt in U-Haft, der andere raus. Und der nächste schlägt einen komplett anderen Weg ein." In der Konsequenz heiße das: "Die Gefahr bleibt dauernd erhalten."

Für Derad ist der nächste Schritt nun, Kontakt zu den beiden U-Häftlingen zu suchen, ihre Ideologie und ihr Umfeld zu ergründen – um dann mit den Burschen arbeiten zu können.

Sachverständiger und Terrorexperte Guido Steinberg schätzt die Größe der St. Pöltner Szene auf eine niedrige zweistellige Zahl. Für ihn wäre es plausibel, dass sich die beiden jungen Männer komplett losgelöst von der Gruppe radikalisiert haben könnten. "Bisher brauchte man einen charismatischen Prediger. Heute spielen virtuelle Prediger eine größere Rolle, es gibt so etwas wie Internetradikalisierung."

Dafür müssen die Beteiligten nicht mal ins Darknet – die Initiatoren nutzen herkömmliche Plattformen. Explizit wird in diesem Kontext oft die chinesische App Tiktok genannt: Hier werden den Nutzern nicht bloß Inhalte eigener Kontakte eingespielt, sondern solche, die von einem Algorithmus als relevant erachtet werden. Ein lohnendes Feld für Extremisten, ihre Botschaften zielgruppengerecht aufzuarbeiten.

Online-Streetwork, digitale Sozialarbeit

Verena Fabris, Leiterin der Beratungsstelle Extremismus vom Jugendarbeit-Netzwerk Boja, ist deshalb davon überzeugt, dass auch Präventionsarbeit virtuell stattfinden müsse, etwa in Form von Online-Streetwork und digitaler Sozialarbeit. "Islamistische Propagandisten treffen einen Nerv: Islamophobie, Rassismus, Krieg – Themen, die Jugendliche beschäftigen. Dafür braucht es Räume, in denen wir alternative Perspektiven aufzeigen können." (Stefanie Rachbauer, Stefan Mey, 20.6.2023)