Sechzehn Fußballfelder pro Tag. Oder 11,3 Hektar. So viel Boden geht in Österreich laut dem Umweltbundesamt täglich durch Flächenfraß verloren, konkret im Durchschnitt der vergangenen drei Jahre. Österreich zählt damit zu den Spitzenreitern in Europa. Ob Parkplätze, Sportplätze, Straßen, Häuser oder Einkaufszentren – in Sachen Flächenverbrauch herrscht hierzulande Wildwuchs.

Asphaltierter Boden heizt sich in der Sommerhitze stark auf – eines von vielen Problemen des Bodenverbrauchs.
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Daraus ergeben sich eine Reihe von Problemen. Werden Böden zubetoniert, dann können sie weder CO2 speichern noch an Sommertagen zur Kühlung der Luft beitragen. Der Grundwasserpegel sinkt, weil Wasser nicht versickern kann, womit die Gefahr von Überschwemmung steigt. Die verbrauchten Flächen fehlen der Landwirtschaft ebenso wie der Natur. Lebensraum für Tiere und Pflanzen geht verloren; die Biodiversität leidet.

Ein ambitioniertes Ziel

Die türkis-grüne Regierung will dem Problem mit einem ambitionierten Ziel entgegentreten. Bis zum Jahr 2030, heißt es im Regierungsprogramm von 2020, solle eine "Reduktion des Flächenverbrauchs auf netto 2,5 Hektar pro Tag" erfolgen. Von 11,3 auf 2,5 Hektar also – das wäre mehr als viermal weniger.

Ganze 20 Monate ist seither um eine neue Bodenstrategie verhandelt worden. Vergangenen Dienstagnachmittag schließlich hätte der mutige Plan festgezurrt werden sollen. Ein 58-seitiger Entwurf ("Bodenstrategie für Österreich") lag fix-fertig zur Beschlussfassung vor. Allerdings scheiterte der Prozess im letzten Moment.

Federführend für ihn verantwortlich ist das Landwirtschaftsministerium unter Norbert Totschnig (ÖVP) – allerdings fungiert er nur als eine Art Mittler. Denn die Bundespolitik hat kaum Kompetenz bei der Raumordnung; sie obliegt in Österreich zuallererst Gemeinden und Ländern. Deshalb lief die Entscheidungsfindung unter dem Dach der Österreichischen Raumordnungskonferenz (Örok) ab. Darin vertreten unter anderem: Städte, Gemeinden, Länder und Ministerien. Nach einer Verhandlung, die ziemlich stürmisch abgelaufen sein soll, gingen die Beteiligten ohne Ergebnis auseinander. Es gebe im Örok-Entwurf zwar "eine Reihe von Maßnahmen, die es noch nie gegeben hat in Österreich", erklärte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) in den ORF-Nachrichten das Scheitern. Aber: "Damit möglichst viel Bodenschutz gelingt, brauchen wir noch klare Zielvorgaben – und die fehlen."

Nach 20 Monaten gescheitert

Was ist dran? Und warum hat man all das nicht eher im Zuge eines eineinhalbjährigen Verhandlungsprozesses festgestellt?

Dem STANDARD wurde der Örok-Entwurf zugespielt, der eigentlich nicht öffentlich ist. Augenfällig darin: Tatsächlich taucht der Zielwert von 2,5 Hektar, auf die sich die Regierung derart öffentlichkeitswirksam verständigt hat, nicht als klare Vorgabe auf. "Das österreichweite Ziel von 2,5 Hektar" werde "einer evidenzbasierten Plausibilisierung" unterzogen, heißt es lediglich. Im Klartext: Man schaut sich einmal an, ob das überhaupt möglich und realisierbar ist.

Der Flächenverbrauch soll sich bis 2030 massiv reduzieren.
DER STANDARD

Eine Auswertung der Umweltschutzorganisation WWF, die die bisherigen Entwürfe des Örok-Vorschlags kennt, zeigt darüber hinaus, dass der Bericht im Laufe der vergangenen Monate deutlich verwässert wurde. So war im September des Vorjahres immerhin noch einer "gemeinsamen Verpflichtung zur Umsetzung der Maßnahmen" die Rede. In der Letztfassung von dieser Woche fehlte dann das Wort "Verpflichtung". Stattdessen stand da nur noch: "Absicht".

Der Örok-Plan ist "ambitionslos und würde den Flächenfraß nicht stoppen", kritisiert WWF-Bodenschutzexperte Simon Pories – eine Meinung, die der grüne Juniorpartner in der Regierung teilt.

Worüber wurde eigentlich verhandelt?

Offen bleibt allerdings die Frage, warum man all das nicht früher wusste? Worüber wurde in den letzten 20 Monaten verhandelt, wenn zuletzt nicht einmal die grundlegende Frage der Verbindlichkeit geklärt ist? Immerhin waren sowohl das ÖVP-geführte Landwirtschaftsministerium als auch das Klimaschutzministerium von Leonore Gewessler (Grüne) an den Verhandlungen beteiligt und kannten deren Ablauf.

Aus dem Umfeld der Regierung dringen diesbezüglich unterschiedliche Darstellungen. Grüne und ÖVP schieben sich ein Stück weit gegenseitig die Schuld am Scheitern zu. Aus den Reihen der ÖVP heißt es, die Grünen hätten im letzten Augenblick – wohl auf Druck von Umweltschutzorganisationen – ihre Gangart verschärft, was zum Scheitern geführt habe. Die Grünen wiederum wollen schon seit Monaten auf strengeren Bodenschutz gedrängt haben – aber sie hätten vor allem bei Ländern und Gemeinden schlicht auf Asphalt gebissen, heißt es.

Jedenfalls hofften alle Beteiligten bis zuletzt, dass es bei der entscheidenden Sitzung am Dienstag doch noch zu einer Einigung kommen würde. Doch in der Sitzung stolperte man über die Frage, wie mit Flächen für erneuerbare Energien wie Windkraft- und Photovoltaikanlagen umzugehen sei. Die Grünen wollten diese Bereiche nicht zum Flächenfraß gezählt wissen, um eben jene Erneuerbaren zu fördern. Dagegen legten sich Städte, Gemeinden und Länder quer. Warum, so lautete das Argument, sei eine Photovoltaikanlage kein Flächenfraß, ein Fußballplatz aber schon? Und überhaupt – in Zeiten unabsehbarer Herausforderungen, wie sie vor allem die Klimakrise bringe, könne man keinesfalls einer konkreten Vorgabe an Hektar zustimmen.

Jetzt soll eine Arbeitsgruppe neue Vorschläge ausarbeiten. Die Frist läuft bis zum Ende des Sommers. Bis dahin werden freilich weiterhin 11,3 Hektar pro Tag verschwunden sein. (Regina Bruckner, Joseph Gepp, 21.6.2023)