Musik, Deichkind
Deichkind nehmen auch die Konsumkultur kritisch aufs Korn.
APA/GEORG HOCHMUTH

Politisch ist das im Sinne einer linken Politik für Eilige schwer okay: Gegen Ende des Konzerts der norddeutschen Boomer-Band Deichkind in der Wiener Stadthalle hört man nach dem alten Hit Arbeit nervt auch noch sozialistisches Liedgut wie Die Internationale. Der dabei im Zusammenhang verwendete Begriff "Solidarität" umfasst die Freude des Publikums daran, mit den alten Abrissbirnen-Humoristen Deichkind im Zeichen von Remmidemmi und psychedelisch gut unterfütterten Marschmusikbeats ordentlich einen draufzumachen.

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Man kommt dabei ohne Band und Musiker aus. Dafür wird mit Start/Stop-Taste und zünftig mit Strom aus der Steckdose befeuerten Vierviertel- und Zweiviertelrhythmen sowie Sägezahnbässen und einem aus Fußballstadien bekannten, an einen Amoklauf von Elefanten erinnernden Sound des durch Mark und Bein gehenden Instruments Vuvuzela das Maximum herausgeholt.

"Bück dich hoch" statt "Bück dich"

Mit vier Handvoll ebenfalls in diversen absurden Kostümen zwischen Hipster-Outdoorsport und Drogenmissbrauch im Nachtleben steckenden Freunden des Synchrontanzes ging es durch alte Hits wie Arbeit nervt oder das eher heiter angedüselte, sozialkritische und als pfiffiges Gegenstück zu Rammsteins dumpf sexuellem Bück dich angelegte Bück dich hoch. Zeitkritische Betrachtungen wie Wer sagt denn das?, Kids in meinem Alter oder In der Natur und Leider geil brachten das durchaus rüstige Best-Ager-Publikum zum Schwitzen.

Beim aktuellen, gegen deutsche, das Kleingeld aus Zeitungsständern flauchende Gangster-Hip-Hopper gerichteten Song Auch im Bentley wird geweint ritt ein altes, an einen bösen, unter einer Kapuze steckenden Drachenreiter aus Herr der Ringe erinnerndes Deichkind auf einem mechanischen Bullen auf die Bühne. Der Bulle hatte die Gestalt einer geschmacklosen Luxus-Handtasche aus dem Marktsegment Oligarchengattinnen-Bedarf. Deichkind wissen, was sie tun.

Das Wissen ums eigene Alter

Und Deichkind wissen als heute alte Leute um ihre eigene Situation. Kids in meinem Alter muss mit Zeilen wie "Rest in Fleece!" oder "Kids in meinem Alter haben Geld und schieben Frust" als eines der erschütterndsten Lieder zum Thema "würdeloses Altern" der Popgeschichte angesehen werden.

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Auf der Bühne fuhren währenddessen diverse, mit dicken alten Männern in würdelosen Kostümen besetzte führerlose Emporen und Säulen herum. Manche der durchaus gut genährten Bauxerln steckten auch einmal unter blinkenden Pyramidenhelmen. Konfettikanonen wurden abgefeuert. Mit Gummiboot wurde in sexy Badekleidung über dem Publikum im Saal gesurft. Für Roll das Fass rein stiegen Deichkind in ein Fass. Sie machten sich ebenfalls auf die Reise hinein in die Halle. Nach der erwähnten Internationale spielten Deichkind The Power of Love von Frankie Goes to Hollywood. Gesungen wurde auf dem Bierfass. Achtung, das ist jetzt wichtig: Das will uns etwas sagen!

Das Lied Keine Party bekam gegen Ende als These mit Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah) eine Antithese beigestellt. Da waren die Boomer nach zwei Stunden allerdings schon ein wenig müde. Zum Kehraus setzte es den alten Rockhadern White Room von Cream aus dem Jahr 1968 und eine Polonaise mit den Löchern im Käse. Eine schöne Volte zum Text über Depression und Hoffnungslosigkeit. (Christian Schachinger, 22.6.2023)