Der Papyrus ist in Glasplatten eingeschlossen.
Der Papyrus ist in Glasplatten eingeschlossen.
Graz/Kernasenko

Es gehe nicht um Sensationen, stellt der Rektor der Grazer Universität, Peter Riedler, zu Beginn der Pressekonferenz klar. Um dann doch mit einer solchen aufzuwarten: Im Archiv der Universität Graz wurde ein ägyptischer Papyrus aus dem dritten Jahrhundert vor Christus entdeckt, der Spuren einer Heftung aufweist. Es könnte sich damit um das bisher älteste Fragment eines gebundenen Buchs in Codexform handeln, vierhundert Jahre älter als der bisher früheste bekannte Fund.

Die Entdeckung gelang der Chefrestauratorin der Universitätsbibliothek, Theresa Zammit Lupi. Am 11. Mai untersuchte sie routinemäßig einen der Papyri im Besitz der Bibliothek. Es ging darum, deren Zustand zu überprüfen, weil die Dokumente an einen neuen Ort umgesiedelt werden sollen. Dabei entdeckte Zammit Lupi Reste von Fäden.

Im Restaurationslabor der Bibliothek nimmt sie das Stück aus seiner Schachtel, die mit dunklem Schaumstoff ausgekleidet ist, und illustriert, wie sie auf die Besonderheiten des Stücks aufmerksam wurde. Als sie im Mai den zwischen Glasscheiben eingeschlossenen Papyrus umdrehte, fand sie verschiedene auffällige Bearbeitungsspuren. In der Mitte des Papyrus ist deutlich ein Falz erkennbar, rechts und links davon sind regelmäßige Einstiche. Außerdem fiel ihr auf, dass eine markante Verfärbung an den Rändern des Papyrus links und rechts symmetrisch ist. Das deutet darauf hin, dass der Schaden entstand, als das Blatt gefaltet war.

"Ich sah den griechischen Text und nahm die Maße", erzählt Zammit Lupi. "Das war Routine. Dann drehte ich das Stück um, sah die schöne Dekoration und entdeckte plötzlich den Faden. Was machte er hier?" Sie habe also den Papyrus nochmals umgedreht und da erst den Falz und die Löcher bemerkt. Fünf Wochen hat sie sich Zeit gelassen, um alle Hinweise zu prüfen. Für die Datierung wurden auch externe Experten eingebunden. Eine Datierung mittels Radiokarbonmethode sei nicht möglich gewesen. "Dafür wären zu große Proben nötig", sagt Zammit Lupi. Es gebe aber verschiedene nichtinvasive Methoden, um etwa die verwendete Tinte zu untersuchen.

Dokument über Bier

Der Text ist in griechischer Sprache verfasst. Er ist im Wesentlichen ein Steuerdokument für Öl und Bier und war Teil eines Notizbuchs. Später wurde der Papyrus zum Einpacken einer Mumie verwendet. "Der Fund wird den Blick, wie wir auf Fragmente blicken, ändern", zeigte sich Theresa Zammit Lupi überzeugt. Sie studierte Kunstgeschichte an der Universität Malta und Buch- und Papierrestaurierung in Florenz und London. 2009 promovierte sie an der University of the Arts London im Bereich der Restaurierung von Manuskripten. 2017 war sie Forschungsstipendiatin an der Harvard University. Seit 2021 ist sie leitende Restauratorin in den Sondersammlungen der Universitätsbibliothek der Uni Graz.

In der Mitte ist deutlich der Falz zu sehen.
In der Mitte ist deutlich der Falz zu sehen.
Graz/Kernasenko

Dass die Universitätsbibliothek überhaupt ein solches Stück besitzt, liegt daran, dass die Stadt Graz zu Beginn des 20. Jahrhunderts Ausgrabungsarbeiten zweier britischer Archäologen im ägyptischen El Hiba finanzierte. Zum Dank sandten Bernhard P. Grenfell und Arthur S. Hunt der Stadt 52 Papyrusfragmente. Entdeckt wurde das Fragment 1902, später vermachte es die Stadt der Universität. Datiert wurde es auf etwa 260 vor Christus. Das werde sowohl durch die Art der Bemalung als auch durch die Datierung der Nekropole, in der es gefunden wurde, gestützt. Nun befindet es sich in der Grazer Bibliothek hinter Glas und ist seit einigen Jahren sogar digitalisiert und online über das Webportal der Bibliothek verfügbar.

Datiert wurde es auf etwa 260 vor Christus. Das werde sowohl durch die Art der Bemalung als auch durch die Datierung der Nekropole, in der sie gefunden wurden, gestützt.

Entstehung von Büchern unklar

Wie Codices entstanden sind, sei nicht ganz geklärt, sagt Erich Renhart, wissenschaftlicher Leiter der Sondersammlung der Universitätsbibliothek. "Das ist nicht eindeutig zu beantworten. Wir können davon ausgehen, dass es in der frühen Buchgeschichte erst die Rollenform gegeben hat", sagt Renhart. Danach sei parallel zur Schriftrolle die Buchform entstanden, die im Grunde ein und dasselbe anders organisiere. Rechtecke aus Papyrus oder Pergament seien übereinander statt nebeneinander geheftet worden. "Es könnten Praktikabilitätsgründe gewesen sein", mutmaßt Renhart. Bücher seien leichter lagerbar.

In schriftlichen Quellen gibt es schon aus früherer Zeit Hinweise auf die Bindung von Blättern in Heftform, doch konkrete Funde fehlten.

Auch Reste der zum Heften verwendeten Fäden sind noch sichtbar.
Graz/Kernasenko

Ihre erste Emotion sei Schock gewesen, sagt Zammit Lupi. Sie sei froh gewesen, diesen Moment mit ihrer Kollegin Lena Christina Krämer teilen zu können. "Erst langsam haben wir es akzeptiert", berichtet sie. Schließlich habe mehr und mehr das Glücksgefühl überwogen. Nun will man andere Forschende ermutigen, ihre eigenen Sammlungen genauer unter die Lupe zu nehmen. "Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich in anderen Sammlungen noch weitere solcher Kodexfragmente befinden, nach denen bislang nur nicht systematisch gesucht wurde", sagt Renhart.

Pamela Stückler, die Leiterin der Bibliothek, hegt eine besondere Hoffnung: "Was ich großartig finden würde, wäre, wenn sich im Zuge der nachfolgenden Recherchen zeigen würde, dass sich unter den anderen Funden aus dieser Ausgrabung etwas findet, das dazupasst." Nicht alle der Funde befinden sich in Graz.

Auf die erste Ankündigung wird nun außerdem eine ausführlichere Prüfung eines internationalen Teams folgen, die Ende des Jahres beginnen soll. (Reinhard Kleindl, 22.6.2023)