Lydia Haider
Foto: Apollonia T. Bitzan

Lydia Haider

STANDARD: Sie mussten für Ihren Text "Der große Gruß" (nicht nur, aber auch) harsche Kritik und Unverständnis von der Jury einstecken. Wollten Sie solche Reaktionen provozieren, oder hat Sie das überrascht? Brauchen wir ein "Wettlesen", das zum öffentlichen Runtergemachtwerden verkommen kann, noch?

Haider: Freilich ist ein solches Wettlesen berechtigt, vielmehr eine große Freude: Selten hatte ich so greifende und lange Gespräche über Literatur wie beim Bachmannpreis. Mich hat auch nichts überrascht an den Reaktionen der Jury – ich bewerbe mich ja nicht für etwas, von dem ich nicht weiß, was es ist und was kommen wird. Zu provozieren liegt mir fern, denn ich schreibe, wovon ich denke, dass es geschrieben gehört, und nicht, um eine lustige Jury zu provozieren, meine Güte. Seit Jahrzehnten verfolge ich den Bachmannpreis und fühle mich zum heutigen Zeitpunkt auch als eine Wächterin des Preises im Hinter- und Untergrund. Denn Ingeborg Bachmann und auch der Preis: eine gute und zu bewahrende Sache.

STANDARD: Würden Sie sich der Literaturbetriebsmaschinerie, die der Bachmannpreis ja auch ist, noch einmal aussetzen?

Haider: Ja klar, ich erfreue mich stets im Schmauswaberl nächtelang schreibend und durchzechend des Platzes, an dem ich auch meine Bachmannpreis-Lesung gehalten habe.

STANDARD: Hatte die Teilnahme am Bachmannpreis für Sie und Ihre Karriere positive oder negative Auswirkungen?

Haider: Eigentlich ausschließlich positive, denn die völlig vertrottelten und einer Literaturkritik nicht würdigen Aussagen der Jury nicht nur in diesem, sondern auch in den Jahren davor dürfen nicht über die großartigen Texte gestellt werden. Vielmehr muss man sich stets die Tatsache vor Augen halten, dass die Kritik ganz naturgemäß der Literatur immer um Jahre hinterherzuhinken hat. Wäre das nicht so, wäre die Literatur keine Literatur. Das war schon immer so und wird am Bachmannpreis immer wieder gezeigt – und das ist gut so.

STANDARD: Oft ist von der "Bachmannpreis-Literatur" die Rede. Ist es tatsächlich der Fall, dass der Bachmannpreis bestimmte Textsorten hervorbringt und fordert?

Haider: Vielfalt ist nicht unbedingt die Stärke der deutschsprachigen Literatur – einer in Angst dahinvegetierenden Verlagslandschaft und vermessenen Buchhändler*innen geschuldet, die den Lesenden nicht zutrauen, Texte zu verstehen. Auch das wird sich irgendwann ändern.

Lukas Meschik
Foto: Maximilian Payer

Lukas Meschik

STANDARD: Würden Sie sich der Literaturbetriebsmaschinerie, die der Bachmannpreis ja auch ist, noch einmal aussetzen?

Meschik: Ja, mit Begeisterung. Allerdings nicht bedingungslos, sondern eben zur richtigen Zeit, mit der richtigen Einstellung und unter den richtigen Voraussetzungen, wie es für mich der Fall war. Da sich mein Text auch mit meinen Kärntner Wurzeln befasste, zog es ihn magnetisch nach Klagenfurt. Sehr bewusst trat ich mit dem in sich geschlossenen ersten Kapitel eines bereits fertiggestellten Buches an, so konnten mich etwaige verbale Abwatschungen nicht aus der Bahn werfen; und die gab es durchaus, neben wohlwollenden Äußerungen. Die Wichtigtuer und Adabeis rundum haben mich weitgehend in Ruhe gelassen – wahrscheinlich war ich denen nicht wichtig genug. In schöner Erinnerung bleiben der wertschätzende Umgang und der gute Schmäh innerhalb unseres Jahrgangs. Überspitzt gesagt: Gemeinsame Traumatisierungen schweißen herrlich zusammen.

STANDARD: Hat die Teilnahme am Bachmannpreis für Sie und Ihre Karriere positive oder negative Auswirkungen gehabt?

Meschik: Ich würde von leicht erhöhter Aufmerksamkeit für das bald darauf erschienene Vaterbuch sprechen, mit dessen Anfangsteil ich nach Klagenfurt gefahren bin. Ehrlich gesagt hätte ich mir eine Spur mehr erhofft, allerdings habe ich eben keinen der Preise geholt, kam nicht einmal auf die Shortlist. Ich habe am Wettlesen "erfolgreich teilgenommen", wie ich gern verschmitzt sage, denke da an Sportveranstaltungen in der Schule, wo jeder mit einer Urkunde heimgeht. Der Bachmannpreis war für mich eine Art Initiationsritus der Literaturwelt, und allein dort sein zu dürfen empfand ich als Ehre. Abgesehen von grandiosen "Vernichtungen" vergangener Tage ist das Schlimmste, was heutzutage passieren kann, dass eben nichts oder wenig passiert. Und dann ist man immerhin um eine interessante Erfahrung und anregende Begegnungen reicher.

STANDARD: Oft ist von der "Bachmannpreis-Literatur" die Rede. Ist es tatsächlich der Fall, dass der Bachmannpreis bestimmte Textsorten hervorbringt und fordert?

Meschik: Dazu fehlt mir der Überblick, ich habe nur einzelne Jahrgänge ganz intensiv verfolgt und jeweils alle Texte gelesen. Findige Online-Communitys haben nach statistischen Auswertungen eine Art "Bachmann-Code" geknackt, benennen Textcharakteristika, die angeblich eine Siegeswahrscheinlichkeit erhöhen sollen. Das ist amüsant, aber zutiefst unromantisch und sterile Erfolghascherei. Wer Erfolg als Selbstzweck anstrebt, der ist auf lange Sicht auf dem falschen Dampfer. Unter keinen Umständen würde ich einen Text für Klagenfurt schreiben, sondern lediglich einen von sich aus entstandenen Text als Klagenfurt-tauglich erkennen und einreichen.

STANDARD: Sie haben als Schriftsteller mit 21 Jahren Ihr Debüt vorgelegt, auch beim Bachmannpreis waren Sie einer der jüngeren Teilnehmer. Gibt es etwas, das Sie Kolleginnen und Kollegen, die an diesem Bewerb teilnehmen möchten, raten können?

Meschik: Ich war in Klagenfurt immerhin schon über dreißig und für meine Verhältnisse als Schreibender gefestigt, mittlerweile sehe ich viele wirklich blutjunge Teilnehmer mit Anfang oder Mitte zwanzig. Hier besteht die kleine Chance des großen Triumphs, aber die noch größere der lähmenden Verunsicherung. Mein Rat ist: Nehmt es ernst, aber als ernstes Spiel. Nehmt euch Kritik zu Herzen, aber seht sie im Kontext einer fernsehtauglichen Show. Lasst euch vor allem nicht verheizen. Besinnt euch auf die geheime Freude und das Weltverbundenheitsgefühl des Schreibens, das einem niemand madig machen kann. Ich empfehle dringend eine Spur Abgeklärtheit und ironische Distanz zu sich selbst und zu diesem eigentümlichen Spektakel. Gegen die Hitze und zur Auflockerung verschreibe ich den einen oder anderen weißen Spritzer.

Ferdinand Schmalz
Foto: Apollonia T. Bitzan

Ferdinand Schmalz

STANDARD: Als jemand, der den Bachmannpreis tatsächlich gewonnen hat: Was hat dieser Gewinn für Ihre Karriere gebracht?

Schmalz: Man denkt ja immer, Theater und Literaturbetrieb, das sind verwandte Felder, in Wahrheit sind es aber zwei ganz andere Planeten, die oft nichts voneinander mitbekommen. Durch den Bachmannpreis bin ich plötzlich auf dem Literaturplanet gelandet, ohne wie ein Außerirdischer dazustehen. Das Tolle an Preisen ist neben der Aufmerksamkeit für die eigenen Texte, dass man in spannende neue Arbeitszusammenhänge kommt. Wenn man anfängt, hat man ja oft das Problem, dass man kaum Rückmeldungen kriegt. Nach einem Preis hat man plötzlich reihenweise Expertinnen und Experten, die sich mit den Texten beschäftigen.

STANDARD: Wie wichtig ist es in Klagenfurt, nicht nur einen guten Text zu haben, sondern auch ein guter Performer zu sein?

Schmalz: Die Jurorinnen und Juroren bekommen die Texte ja immer im Voraus, sind also schon auf den Text fokussiert, trotzdem geht es viel darum, wie der Text klingt, wie er dort in der Literaturarena wirkt. Es ist halt einfach auch der Einstieg in die anschließende Diskussion. Da kann man einiges an Kritik entkräften, wenn der Text in der Leseperformance gut rüberkommt. Ich denke nicht, dass man einen schlechten Text durch eine gute "Inszenierung", wie im Theater, retten kann, aber es macht schon einen Unterschied.

STANDARD: Was war das Lustigste, das Ihnen in Klagenfurt passiert ist?

Schmalz: Zu sehen, wie diese Stadt den Preis lebt. Ich kann mich noch erinnern, dass am Tag nach der Verleihung Autos an der Straße stehen geblieben sind, wenn sie mich gesehen haben, und begonnen haben zu hupen. Einer hat sogar aus dem Auto geschrien: "Da ist er, der Steirer!" Das ist schon etwas verrückt gewesen. Und nix für Paranoikerinnen und Paranoiker!

STANDARD: Würden Sie sich der Literaturbetriebsmaschinerie, die der Bachmannpreis ja auch ist, noch einmal aussetzen?

Schmalz: Es hat da diesen Moment gegeben, direkt nach dem Preis, ich war mit Josef Winkler im Landhauskeller, da ist so ein Volksschulkind zu mir gekommen und meinte, es habe alles mitverfolgt und dass ihm meine Lesung so gut gefallen hat. Da hab ich mir gedacht, auch wenn es anstrengend ist, es schafft schon riesen Aufmerksamkeit für die Literatur. Also wahrscheinlich ja, es gibt ja immer auch noch das Strandbad Maria-Loretto, in das man flüchten kann.

Laura Freudenthaler
Foto: Gianmaria Gava

Laura Freudenthaler

STANDARD: Ein Auftritt beim Bachmannpreis bedeutet auch eine Form von Selbstdarstellung, der Sie kritisch gegenüberstehen. Wieso haben Sie entschieden, es zu machen?

Freudenthaler: Meine Entscheidung, die Einladung nach Klagenfurt anzunehmen, erfolgte nach reiflicher Überlegung und in Zusammenhang mit dem European Union Prize for Literature (EUPL, Anm.), mit dem mein Buch Geistergeschichte im Jahr davor ausgezeichnet worden war. Ich beschloss, mich mit dieser Art von Öffentlichkeit auseinanderzusetzen, von der mir immer wieder gesagt wurde und wird, ich könne und solle sie nicht vermeiden, vielmehr nutzen – denn man muss doch alles nutzen, was einem nutzen kann, nicht wahr, und Nutzen ist gleich Profit ... Das EUPL-Büro veranstaltete einen Workshop für die Laureaten, indem man sich bemühte, uns die erfolgreiche Vermarktung unserer Texte nahezubringen, und zwar auch durch das Sichtbarmachen unserer Person, sozusagen mit persönlichem Einsatz. Gemeint war damit selbstverständlich die digitale Repräsentation, Selbstdarstellung und Vernetzung, also Homepage und die asozialen Medien. Zu diesem Zwecke konnten wir ein Budget in Anspruch nehmen, in etwa so hoch wie das Preisgeld, das für alle möglichen Selbstvermarktungskosten verwendet werden durfte – etwa für Autorenporträts, Lesungsmoderation oder Webdesign, jedoch keinesfalls für die Auszahlung eines Honorars an die Schriftstellerin oder den Autor. Aus meiner Empörung über dieses Zuarbeiten in Richtung Marktgängigkeit und Kommodifizierung heraus beschloss ich, mich in Form der von allen Seiten so dringlich gewünschten und für unabdingbar erklärten Autoren-Homepage mit dem Thema auseinanderzusetzen. Das Ergebnis war eine temporäre digitale Ausstellung, Exposition 2020, die nach wenigen Monaten wieder geschlossen wurde. Als einzige Spur blieb eine limitierte Auflage von Postkartensets. Auf der Homepage (www.laurafreudenthaler.eu, Anm.) sind nur noch einige kürzere Texte von mir zu finden, die reflektieren, warum das Schreiben (und das Lesen) eben nicht die Online-Präsenz braucht, sondern die Anwesenheit in der echten Welt, die sinnliche Wahrnehmung und die physischen Begegnungen.

STANDARD: Hat die Teilnahme am Bachmannpreis für Sie und Ihre Karriere positive oder negative Auswirkungen gehabt?

Freudenthaler: Nun, durch die Teilnahme am Bachmannpreis haben viele Menschen meine Exposition 2020 gesehen, also meine Stellungnahme zu dem Thema der Selbstdarstellung und Selbstvermarktung, des Untergehens im Online, dieser ganzen digitalen Obsession, die ich wahrhaftig für Teufelszeug halte.

STANDARD: Inwiefern hat das Lesen Ihres Textes, der ja in gewisser Weise ein Teil Ihres bald erscheinenden neuen Buchs "Arson" ist, den Entstehungsprozess desselben beeinflusst?

Freudenthaler: Um ehrlich zu sein, bringe ich diese beiden Texte kaum noch miteinander in Verbindung, was befremden mag, finden sich doch viele Motive, nicht zuletzt das zentrale des Weltenbrandes, in Arson wieder. Es ist jedoch so, dass ich einmal zu ihrer für mich endgültigen Form gebrachte Texte hinter mir lasse, so ist es mit Der heißeste Sommer geschehen. Ich habe die Geschichte und die Art, wie sie erzählt wird, auf eine andere Ebene gehoben. Oder hinuntergetrieben. Zwischenbereiche ausgelotet. Mit Arson bin ich viel weiter gegangen.

Dana Grigorcea
Georg Wendt / dpa / picturedesk.

Dana Grigorcea

STANDARD: Würden Sie sich der Literaturbetriebsmaschinerie, die der Bachmannpreis ja auch ist, noch einmal aussetzen?

Grigorcea: Unbedingt. Diesen tropischen Nachmittag, an dem ich als Allerletzte gelesen habe, ist mir in bester Erinnerung geblieben. Ich kam zu spät zum gemeinsamen Schwimmen und hatte meinen Badeanzug verkehrt herum an, war aber euphorisiert.

STANDARD: Oft ist von der "Bachmannpreis-Literatur" die Rede. Ist es tatsächlich der Fall, dass der Bachmannpreis bestimmte Textsorten hervorbringt und fordert?

Grigorcea: Etwa eine Literatur, die eher auf Effekt geschrieben ist und einen unmittelbaren, starken Eindruck hinterlässt? Weil das Stille und Versonnene eher untergeht, wenn viele Texte nacheinander vorgelesen werden bei Direktübertragung im Fernsehen? Vielleicht ...

STANDARD: Ihre Texte sind immer substanzvoll, zuweilen traurig und doch immer voller Humor. Texte, die lustig sind, so hat man den Eindruck, haben beim Bachmannpreis nicht die besten Karten.

Grigorcea: Wenn das stimmt, wäre es ein bisschen traurig. Aber doch habe ich den 3sat-Preis bekommen ...

STANDARD: Sie sind auch Verlegerin des Telegramme-Verlags und des "Telegramme"-E-Magazins, die Sie mit Ihrem Mann, dem Schriftsteller Perikles Monioudis, betreiben. Wie wichtig ist Klagenfurt für Sie bzw. Verlage insgesamt.

Grigorcea: Wenn ein in Klagenfurt prämierter Text ein Auszug eines Buches ist, das dann gleich nach dem Wettbewerb erscheint, war der Wettbewerb wahre Verlagsförderung. Noch hatten wir vom Telegramme-Verlag aber niemanden beim Bachmannpreis: Ich muss unsere Autorinnen und Autoren von den Vorzügen einer Teilnahme erst noch überzeugen ...

STANDARD: Es wird immer wieder darüber diskutiert, dass der Bachmannpreis seine besten Zeiten hinter sich habe, sehen Sie das auch so?

Grigorcea: Es wird ja auch immer wieder darüber diskutiert, dass die Literatur im Allgemeinen ihre besten Zeiten hinter sich hat. Oft stimmt es, weil sich unser Fokus verlagert – vom lustvollen Umgang mit der Sprache hin zu Verkürzungen und Marktschreierei.

Raphaela Edelbauer
Foto: Mafalda Rakoš

Raphaela Edelbauer

STANDARD: Würden Sie sich der Literaturbetriebsmaschinerie, die der Bachmannpreis ja auch ist, noch einmal aussetzen?

Edelbauer: Ohne dass ich einen Preis gewonnen hätte, würde ich hier definitiv Nein sagen. Nachdem ich den Publikumspreis gewonnen habe, der für meine Karriere äußerst förderlich war, lautet meine Antwort aber: Ja.

STANDARD: Wie stehen Sie generell zum Konzept des "Wettlesens"?

Edelbauer: Im Grunde halte ich bereits Buchpreise, bei denen abends der oder die Gewinner und Gewinnerin verkündet wird, für eine Tortur für die Autorinnen und Autoren, die eher der Show dient. Sagen wir so: Förderlich für die Vermarktung von Texten zu sein versus förderlich für Texte zu sein sind zwei unterschiedliche Dinge. Dennoch bin ich natürlich dankbar für die Präsenz von Literatur im Fernsehen.

STANDARD: Wie wichtig sind die Tage der deutschsprachigen Literatur für die Literaturszene?

Edelbauer: Vor allem hinter den Kulissen, also abseits der eigentlichen Show, sind sie ein wirkliches Gipfeltreffen der Community, also sehr wichtig.

STANDARD: Oft ist von der "Bachmannpreis-Literatur" die Rede. Ist es tatsächlich der Fall, dass der Bachmannpreis bestimmte Textsorten hervorbringt?

Edelbauer: Selbstverständlich. Allein das Format erfordert eine gewisse Länge, Überlegungen zur Bühnenwirksamkeit ... Ich finde das aber nicht notwendigerweise schlecht – sonst dürfte man ja nirgendwo mehr Vorgaben machen.

STANDARD: Welche Auswirkungen hat das Lesen beim Bachmannpreis und der Gewinn des Publikumspreises für Ihre weitere Karriere gehabt? Was konnten Sie von der Erfahrung in Klagenfurt mitnehmen?

Edelbauer: Es war ein großer Boost, ganz klar. Vor allem aber waren die zwischenmenschlichen Kontakte, die ich abseits des Lesens geknüpft habe, das Wichtigste. Und: Ich bin bisher die einzige Autorin, die sowohl Bachmannwettschwimmen als auch einen Preis gewonnen hat!

John Wray
Foto: Julio Arellano

John Wray

STANDARD: Würden Sie sich der Literaturbetriebsmaschinerie, die der Bachmannpreis ja auch ist, noch einmal aussetzen?

Wray: Schwierige Frage! Ich würde darauf antworten: bestimmt kein zweites Mal. Einen Versuch aber, im schönen Klagenfurt, bei prachtvollem Sommerwetter, das darf man sich schon erlauben. Am besten betrachtet man das Ganze als einen netten Urlaub am See. Was drinnen in der Halle passiert – darauf hat man ja letztlich wenig Einfluss.

STANDARD: Sie haben mütterlicherseits Verwandte in Kärnten, leben aber in Brooklyn und haben daher eine gewisse Außenperspektive auf das Geschehen. Was halten Sie für die Stärken des Bachmannpreises – und was sind seine Schwächen?

Wray: Die Stärken des Bachmannpreises sind die Stärken des Literaturbetriebs im deutschsprachigen Raum überhaupt: Respekt für die Dichtung und für die Berufung des Schriftstellers. Es ist nicht überall so, das kann ich bezeugen. Heutzutage gilt das Schreiben in den USA als schöner, aber altmodischer Beruf, den sich kein vernünftiger Mensch antun würde – so wie etwa das Korbflechten. Und die Schwächen? Na ja, es ist durchaus fraglich, ob eine auch noch so kultivierte Jury tatsächlich feststellen kann, ob ein bestimmter Text "besser" oder "literarischer" ist als irgendein anderer. Und man könnte die Veranstaltung mit ein bisserl mehr Humor angehen, kommt mir manchmal vor. Damals, als ich teilnahm, machte ich in meiner Unschuld die Bemerkung, dass mich der ganze Zirkus leicht an America’s Got Talent oder den Eurovision Song Contest erinnerte. Diese Bemerkung kam nicht allzu gut an.

STANDARD: Sie schreiben auf Englisch, für den Bachmannpreis schrieben Sie einen Text auf Deutsch. Was war das für eine Erfahrung?

Wray: Eine sehr, sehr mühsame Erfahrung – trotz allem aber eine wunderschöne. Inzwischen habe ich ja einen ganzen Erzählband bei Rowohlt auf Deutsch herausgebracht. Die Arbeit daran fand ich verdammt hart, muss ich zugeben. Trotzdem bereue ich nichts!

STANDARD: Sie gewannen beim Bachmannpreis 2017 den Deutschlandfunk-Preis. In der Presse wurde bezüglich Ihres Textes vor allem darauf hingewiesen, dass Ernsthaftigkeit und Unterhaltsamkeit eines Textes keine Widersprüche sein müssen. Sehen Sie Unterschiede zwischen der deutschsprachigen und der englischsprachigen Literatur?

Wray: Im Gegensatz zur Presse empfinde ich diese "Ernsthaftigkeit" der gegenwärtigen deutschsprachigen Literatur als etwas durchaus Schönes und als Zeichen, dass junge Autorinnen und Autoren sich noch etwas Gewagtes trauen. In den USA schämen sich die meisten meiner KollegInnen, wenn sie mit dem Schreiben nicht genug verdienen, um gemütlich davon zu leben. Die Texte, die so eine Einstellung hervorbringt, kann man sich ohne viel Mühe vorstellen. Grauenhafter Mist. Es gibt natürlich Ausnahmen.

STANDARD: Oft ist von der "Bachmannpreis-Literatur" die Rede. Ist es tatsächlich der Fall, dass der Bachmannpreis bestimmte Textsorten hervorbringt und fordert?

Wray: In dieser Hinsicht kann ich wirklich nur über meinem eigenen Jahrgang – anno 2017 – eine vernünftige Meinung abgeben, und die Texte, die ich damals hörte, schienen mir alles andere als homogen. Das soll aber keineswegs bedeuten, dass ich das jährliche Ritual der Klagenfurt-Kritik schlecht finde. Es macht ja Spaß, über den Bachmannpreis zu schimpfen – und als Amerikaner bin ich selbstverständlich immer für die Unterhaltung!

Tanja Maljartschuk
Foto: Heribert Corn

Tanja Maljartschuk

STANDARD: Würden Sie sich der Literaturbetriebsmaschinerie, die der Bachmannpreis ja auch ist, noch einmal aussetzen?

Maljartschuk: Wenn ich das noch einmal machen würde, dann nur mit der Absicht, das Geld zu gewinnen und es für die Ukraine zu spenden. Ansonsten natürlich nicht.

STANDARD: Als Sie 2018 den Bachmannpreis gewannen, war die Ukraine für Europa ein weißer Fleck auf der Landkarte, der niemanden interessierte, obwohl das Land schon damals in einem gewissen Sinn umkämpft war. Hat Europa zu lange weggeschaut?

Maljartschuk: Westeuropa, meinen Sie, denn die unmittelbaren Nachbarn der Ukraine, seien es Polen oder Litauen, haben vor dem Angriff Russlands stets gewarnt. Und doch herrschte im sogenannten Westen eine gefährliche Verblendung und Ignoranz, die zu einer Katastrophe geführt hat. Die Gründe dafür sehe ich in der Erfahrung, die Westeuropa gemacht hat, in seiner Kolonialgeschichte. Aus Gesellschaften, die früher meistens Täter waren, sind die Westler es nicht gewohnt, Opfern zuzuhören, sie wahrzunehmen. Vor allem, wenn diese Opfer Mut entwickeln und anfangen, sich zu wehren.

STANDARD: Es heißt gern, Kunst habe apolitisch zu sein, das sehen Sie seit Ihren journalistischen und schriftstellerischen Anfängen anders. Versagen die Künstler und Intellektuellen angesichts der Herausforderungen unserer Zeit?

Maljartschuk: Die Künstler und die Intellektuellen haben nicht die Aufgabe, noch zusätzlich Hellseher zu sein, auch wenn sie es manchmal behaupten. Nicht sie haben Gasverträge abgeschlossen und mit einem Regime weiter gehandelt, das sich wie ein internationaler Terrorist verhalten und das Völkerrecht schon mehrmals gebrochen hat. Wer versagt hat, sind die westlichen Sicherheits- und Militärexperten, Medien und Analytiker, Lobbyisten und Politiker, die die Entscheidungen beeinflusst und getroffen haben. Was Künstler können, ist, die Zeit und ihre Veränderungen zu spüren, sie zum Ausdruck zu bringen, so, wie sie sind. Das nenne ich politisch sein. Der Zeit gerecht zu werden.

STANDARD: Was bedeutet es für Sie, die Eröffnungsrede zum heurigen Bachmannpreis zu halten?

Maljartschuk: Ich bin dankbar für diese Möglichkeit. Allein dafür, nachdenken zu können, was und ob ich, die sich das ganze Leben mit der Sprache und Büchern beschäftigt, etwas zu sagen habe in der Zeit der größten Gewalt. Als ein Individuum mit der eigenen Geschichte und als ein Mitglied einer unterdrückten und nun wieder brutal angegriffenen Gemeinschaft.

STANDARD: Wir befinden uns nicht in einer Zeit, in der das Wünschen noch helfen würde. Sie engagieren sich weiter unermüdlich, haben Sie eine Art von Hoffnung?

Maljartschuk: Für viele in der Ukraine gibt es keine Hoffnung mehr. Meine Freundinnen haben ihre Männer und Söhne begraben und wissen nicht weiter. Ihre zerstörten Leben zu sehen macht mich so unendlich traurig, dass ich kaum mehr fähig bin, an irgendetwas zu glauben. Und doch war es eine dieser verwitweten Frauen, die mir neulich gesagt hat, dass wir unsere Tragödie in Kreativität und noch mehr Kraft verwandeln müssen. (Amira Ben Saoud, 23.6.2023)