Brötzmann
Konzerte von Peter Brötzmann waren intesive Ereignisse.
IMAGO/Votos-Roland Owsnitzki

Die Emanzipation des frei improvisierten Jazz begann in den USA – damals, 1960, als Altsaxofonist Ornette Coleman dem Stil mit der Einspielung Free Jazz den Namen gab. In dem Begriffspaar verbarg sich, jedoch nicht unbedingt bei Coleman, dem Konzeptualisten, nicht weniger als die expressive Pulverisierung musikalischer Rahmenbedingungen, die in der Szene folgen sollte.

Die harmonische Gebundenheit an ein tonales System wurde aufgegeben wie auch rhythmische Konventionen und die Rollenverteilung Solist/Begleiter. Kollektive Spontankommunikation im Geiste der Unmittelbarkeit erfasste auch etablierte Innovatoren wie Saxofonist John Coltrane. Dessen expressive Monologe zeigten ab Mitte der 1960er einen Improvisator in Grenzbereichen des Ausdrucks.

Diese Form der Ausdrucksentfesselung konsequent und radikal zum lebenslangen Spielprinzip erkoren zu haben oblag allerdings einem Grübler aus Deutschland. Peter Brötzmann, 1941 in Remscheid geboren, hob das "Power Play" mit der Einspielung Machine Gun zum Inbegriff einer unverwechselbar ruppigen Ästhetik, die auch den Zorn über die Verhältnisse in Deutschland in den 1960ern zu spiegeln schien. Die Kollegen aus den USA waren wichtige Impulsgeber. Brötzmann pflegte Kontakte zu Größen wie Eric Dolphy und Don Cherry, der ihm schließlich auch den Spitznamen "Machine Gun" verpasst hatte.

Kantiger Ekstatiker

Aber da war etwas ganz Eigenes. Brötzmanns für die europäische Ausformung des Free Jazz neue Levels an Impulsivität ließen ihn auch – nicht zufällig – mit dem Begriff "brötzen" in den allgemeinen Sprachgebrauch eingehen. Gegen sein energetisches Spiel musste man sich auf der Bühne schließlich durchaus auch mit Resilienz wappnen; in Erinnerung sind hitzige Abende in der Jazzgalerie Nickelsdorf.

Bei spontanen Sessionsituationen ergab es sich, dass US-Kollegen ob Brötzmanns gnadenlos entfesselten Monologs kapitulierend den Musikboxring, auch Bühne genannt, räumten und dem kantigen Ekstatiker das Feld überließen. Brötzmann, der auch ökonomisch schwierige Phasen erlebt hatte, wurde schließlich so zum Klassiker einer eigenständigen europäischen Jazzszene, die sich einst in der Gründung des Globe Unity Orchestra angekündigt hatte, bei der Brötzmann dabei war. Dem Mann, der Kunst studiert, als Grafiker und für Starkünstler Nam June Paik gearbeitet hatte, bescherte seine Konsequenz eine substanzvolle internationale Karriere zwischen USA und Japan.

Mit seinem Chicago Tentet, in dem Leute wie Ken Vandermark und Mats Gustafsson spielten, fand er die Anbindung an die junge Avantgardeszene Chicagos. Neben Sonny Sharrock und Ronald Shannon Jackson war er auch Mitglied von Bill Laswells expressiver Formation Last Exit.

Mit dem Ableben Brötzmanns geht zweifellos das ungezähmte, Freiheitsdrang transportierende Spiel, in dem immer auch so etwas wie Unbeugsamkeit und Aufbegehren loderten, verloren. In seiner geballten Energieform war es singulär als Akt der improvisatorischen Selbstentäußerung.

Wahr ist aber auch, dass Solokonzerte der Spätphase bei Peter Brötzmann, der am Donnerstag 82-jährig starb, auch sanftere Töne zum Vorschein kommen ließen. (Ljubisa Tosic,23.6.2023)