Sommermusik, Italien, Erobique, Peter Fox, Eric Pfeil
Endlich wieder die berühmten Spuren im Sand finden: Der Hamburger Alleinunterhalter Carsten Meyer alias Erobique macht Disco für den Strand.
Anne Backhaus

Die Reisebeschränkungen der letzten Jahre mögen die ewige Sehnsucht nach dem Süden zusätzlich verstärkt haben. Immerhin kann es kein Zufall sein, dass in der Popmusik unserer Breiten das alte Lob von Rainhard Fendrich vom Baden am Wiener Hausmeisterstrand Gänsehäufel statt eines Trips runter auf der "Strada del sole" wieder stark in den Hintergrund gerückt ist. Die junge heimische Band Euroteuro stimmte zuletzt Ende der Zehnerjahre einen charmant-ungelenken Hit auf die ersten italienischen Raststätten hinter der Grenze namens Autogrill an: "Urlaub in Italien, und alles, was ich will, ist Autogrill!" Dann kam die Pandemie.

Die deutschen Nachbarn belebten während der Lockdowns nicht nur alte Sehnsüchte nach dem Teutonengrill unten in Rimini wieder. Fahrten mit offenem Verdeck entlang malerischer Küstenstraßen, die engen Gassen von Neapel, eine zünftige Pizza oder der Drang in die zehnte Sonnenschirmreihe an den Stränden von Hochburgen der Italienliebe wie Jesolo oder Lignano sind als kleine Freiheitsträume trotz Hitzewellen, Waldbränden und Quallenplage natürlich ebenso unzerstörbar.

Peter Fox - Topic

Der deutsche Autor Eric Pfeil veröffentlichte dazu etwa im Vorjahr seinen ausgezeichneten Reader AzzurroMit 100 Songs durch Italien. Er holte anhand von Liedern von Adriano Celentano, Lucio Dalla, Fabrizio de André, Gianna Nannini, aber auch Al Bano & Romina Power nicht nur ein "südliches", von großer Lässigkeit und Leichtigkeit geprägtes Lebensgefühl zurück in unsere Lockdowns. Neben den jährlichen Sommerhits aus Italien streift Pfeil mit klugen Hintergrundgeschichten zu den einzelnen Songs das Werk der Cantautori oder die vielbelächelte, aber ungemein effektive Italo-Disco der 1980er-Jahre. Ohne die Einflüsse der Produzenten von Italo-Disco würden selbst derzeit angesagte internationale Stars wie Beyoncé durchaus ärmer klingen.

Feriendisco am Strand

Gerade eben hat auch Peter Fox von Seeed mit dem geheimen Hit seines neuen, nach fünfzehnjähriger Pause entstandenen zweiten Soloalbums, Love Songs, eine diesbezügliche Arbeit namens Toskana Fanboys vorgelegt. Der Berliner Dancehall-Meister hat für diesen gemütlich rollenden Reggae inklusive gefaketer Mandolinen aus der Steckdose sogar den heute 85-jährigen Adriano Celentano aus dem Ruhestand geholt.

Kiwinizer

Sagenhafte 25 Jahre nach seinem ersten Soloalbum Erosound! hat auch der Hamburger Alleinunterhalter Carsten Meyer alias Erobique ein zweites Soloalbum namens No 2. veröffentlicht. Der 50. Geburtstag kam dafür gerade recht. "Wir gehen auf die Reise – unser Auto ist ein Schiff": Alte, während der letzten Jahre stets spontan aus dem Stegreif während Livekonzerten vor Publikum entstandene Hits wie der zitierte Wohlfühlklassiker CX oder auch Überdosis Freude oder Urlaub in Italien sind über Streaming erhältlich. Dem Arbeitsprinzip einer Party im Zeichen sommerlicher Feriendisco mit der Betonung auf "Disco" ist Erobique allerdings treu geblieben.

Erobique

Heiter und lebensfroh spielt sich der Mann auf seinen Keyboards Richtung Badespaß im Süden. Neben klassischer 1970er-Jahre-Disco oder House hat der Mann aus dem Umfeld des Hamburger Pudelclubs während der letzten Jahre nicht nur für Film, Theater und Fernsehen gearbeitet. Er verfasste unter anderem die Musik zur Serie Der Tatortreiniger. Als Mitglied von International Pony, als Schlagzeuger der Hamburg Spinners oder als Kompagnon des Studio-Braun-Humoristen Jaques Palminger hat sich Carsten Meyer allerdings nebenher auch gewissenhaft mit nostalgischen Easy-Listening-Musiken aus alten TV-Serien zwischen Die Schwarzwaldklinik, Paradiese der Tiere oder der Langnese-Eiswerbung aus den 1980er-Jahren ("Like ice in the sunshine ...") beschäftigt. Sie lösen ein Fernweh nach vergangener glücklicher und unschuldiger Jugendzeit am Strand oder eben im Eissalon aus.

Gusto nach Gelato

Zur Not tut es dann statt der Adria auch ein Baggersee, wenn Erobique sommerliche Stücke wie Ahoj!, Italotape oder Acquamarina anstimmt oder mit Darth-Vader-Stimme und der Aufzählung von musikalischen Fachbegriffen wie "Staccato", "Modulato", "Pizzicato" oder "Legato" den dringenden Gusto nach Gelato weckt. Carsten Meyer hält unter anderem auch vor Studenten Vorträge zur spontanen Komposition von Musikstücken mittels Loopstation. Dank neuer Großtaten wie Verkackt oder Hitsong von uns beiden muss man sagen: Auch Rimini besitzt eine Universität! Irgendwas mit Kunst werden sie dort unten schon anbieten. (Christian Schachinger, 24.6.2023)