Schauspieler Matthias Ohner bei der Styriarte 2023
Schauspieler Matthias Ohner führt als Haushofmeister Hippolyth auf die Prunkstiege des Palais - und spöttelt auch über das Outfit der Besucher.
Nikola Milatovic

Wie es damals wohl so war, zur Barockzeit? Anders. Wie beispielsweise Städte und Menschen gestunken haben müssen! (Aus heutiger Wahrnehmung.) Dann der extreme Unterschied, was die Bekleidung anbelangt. Heutzutage schaufeln sich Oligarchennichten im Luxushotel den Lachs am Frühstücksbuffet in Jogginghosen auf ihre Teller – und tragen damit dasselbe wie Krethi und Plethi beim Burger-Brater.

Früher waren die feinen Damen und Herren noch elegant adjustiert – darauf weist auch Matthias Ohner auf der Prunkstiege des Palais Attems in der Grazer Innenstadt hin. Als Haushofmeister Hippolyth trägt der Schauspieler eine elegante Livree und spöttelt über das Outfit der Besucher von Treppauf, treppab.

Dieses "Wandelkonzert in vier Stationen" steht nicht nur am Beginn der heurigen Styriarte, sondern soll auch ein Appetithappen für einen neuen Schwerpunkt der steirischen Festspiele sein. Im Format "Mitten im Leben" wird das Anfang des 18. Jahrhunderts erbaute Palais die Hauptrolle spielen. Im Rahmen von "brodelnden" Dreitagesfesten wird es zukünftig vom Erdgeschoß bis hinauf zu den eleganten Privaträumen im zweiten Stockwerk bespielt. Dabei soll auch die Geschichte seiner Bewohner wieder lebendig werden, vom Gesinde über die gräflichen Eigentümer bis hin zu dero kaiserlichen Gästen wie Maria Theresia höchstpersönlich.

Körperlicher! Sinnlicher!

Am Eröffnungsnachmittag scheint Mozart zu Gast im Barockbau in der Grazer Sackstraße zu sein. Hippolyth berichtet aufgeregt von Schaumwein, den er für den Komponisten aus dem Keller zu besorgen habe. Und dabei ist die Prunkstiege doch so steil! (Ein solcher planerischer Fauxpas wäre einem Prinz Eugen nicht passiert.)

Doch die Besuchergruppe erklimmt die Stufen souverän, und im Vogelsaal warten auch schon Elisabeth Breuer und Florian Birsak auf ihren Auftritt. Im Eckzimmer mit roten Wandbespannungen und Schlossbergblick unterhalten die Sopranistin und der Pianist mit einem fulminanten Mozart-Kurzprogramm.

Da sprudelt auch in der Musik so einiges, etwa wenn Breuer in der Konzertarie Voi avete un cor fedele mit Frische und Komik über die Treue ihres Verlobten sinniert. Zuvor hatte Birsak auf einem Baumbach-Hammerflügel Mozarts Rondo in D-Dur KV 485 mit szenischer Lebendigkeit zu klingendem Leben erweckt, neckische Verzögerungen inklusive. Eleganz, Esprit und Koketterie: die Essenz dieser Zeit, klingend zum Ausdruck gebracht.

Sopranistin Elisabeth Breuer und Pianist Florian Birsak bei der Styriarte 2023
Im Vogelsaal bieten Sopranistin Elisabeth Breuer und Pianist Florian Birsak ein fulminantes Mozart-Kurzprogramm.
Nikola Milatovic

Töne der Dienerschaft

Vor Ohners Rokoko-Comedy hatte das Publikum im holzvertäfelten Styriarte-Studio in der Beletage Barockem gelauscht. Die (von Michael Hell einstudierte) Palais-Attems-Hofkapelle hatte Auszüge aus Henry Purcells King Arthur mit sattem Sound und wuchtigem Groove kredenzt. Barockmusik klingt anders, wenn sie nicht in viel zu großen Konzertsälen aufgeführt wird: überwältigender, körperlicher, sinnlicher. Party-Power!

Als Ausklang spielen dann zu ebener Erd’ Hermann Fritz und Simon Wascher mit Geige und Drehleier noch Volksmusik aus dem 18. Jahrhundert – also quasi den Sound, zu dem sich seinerzeit wohlverdient auch die Dienerschaft des Palais Attems von der Küchenmagd bis zum Stallknecht in ihrer spärlichen Freizeit von der Plackerei für die hochwohlgeborenen Herrschaften erholen konnten.

Suche nach Helden und Kämpferinnen

Ja: Der Styriarte kann in Sachen Kreativität und Publikumsnähe niemand etwas vormachen. Neues ist in der Steiermark aber auch nötig, musste das Festival im letzten Sommer doch einen Rückgang von 30.000 auf 24.000 Besuchende verzeichnen. Die Held:innen sollen es nun richten; ihnen ist die diesjährige Ausgabe gewidmet, in der auch das aufwendige Fux-Projekt finalisiert wird.

Langzeitintendant Mathis Huber und sein Dramaturg Thomas Höft haben ein Programm ersonnen, bei dem man gebrochenen Streitfiguren, Helden des Alltags und vergessenen Kämpferinnen näherkommt – zum Teil sogar per Fahrrad.

Der Start für das neue "Mitten im Leben"-Format ist jedenfalls gelungen. Nachjustieren könnte man beleuchtungstechnisch – bitte Kerzenlicht statt grelle Energiesparlampen! Sowie im olfaktorischen Bereich: Das Publikum sollte im nächsten Jahr verpflichtet werden, sich vor den Konzertfesten mindestens eine Woche lang nicht zu waschen. Damit es im Palais genauso zur Stuckdecke stinkt wie damals. (Stefan Ender, 25.6.2023)