Luchse können im Dunkeln zwar sechsmal so gut sehen wie Menschen, mit Blick auf den Nachwuchs scheint aber das Liebesleben ausbaufähig.
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Groß waren die Erwartungen, die man in den kräftigen Kuder gesetzt hatte. Doch Norik hat dem Druck nicht standgehalten. Der zweijährige Luchs sollte eigentlich für den langersehnten Pinselohrnachwuchs im Nationalpark Kalkalpen sorgen. War man im Februar mit dem Beginn der Ranzzeit noch voller Hoffnung, scheint jetzt klar zu sein, dass die Babystube auch heuer leer bleibt.

Tragische Helden

Die drei Luchsdamen Luzi, Skadi und Aira wären – trotz hohen Alters – eigentlich bereit, sich wild und ungestüm der freien Liebe hinzugeben. Doch sie werden nicht erhört.

Einer der Hauptdarsteller im tragischen Naturschauspiel ist Lakota. Das männliche Tier fiel schon in den letzten Jahren in der Ranzzeit regelmäßig aus. Eine Blutuntersuchung im Vorjahr offenbarte, dass die zu geringe genetische Vielfalt der Population bereits ihre Spuren hinterlassen hat: Lakota verfügt über einen äußerst niedrigen Testosteronwert. Es wird vermutet, dass dies die Ursache für seine Zeugungsunfähigkeit ist.

Wer nicht liefert, wird ausgetauscht

Damit war das Kuderschicksal eigentlich besiegelt. Wer nicht liefert, wird ausgetauscht – gegen Luchs Norik. Lakota sollte heute eigentlich völlig ohne Fortpflanzungsstress im Mühlviertler Tierpark Altenfelden leben. Tut er aber nicht. Man hat dem Männchen noch einen Aufschub gewährt – und ihn bis auf weiteres im Nationalpark belassen. Aber: Lakota muss erneut zum Fruchtbarkeitstest. Schon demnächst soll der Kuder gefangen werden und ein Spermiogramm endgültig Aufklärung bringen.

Aber selbst wenn es Nachwuchs geben sollte – die Luchspopulation im Nationalpark ist 25 Jahre nach der ersten Sichtung heute viel zu klein, um ein langfristiges Überleben der größten Katzenart Europas zu sichern.

Kleine Population

Nur sechs Luchse konnten innerhalb der vergangenen zehn Jahre angesiedelt werden. Fünf Tiere sind es heute. 2018 wurde das letzte Jungtier nachgewiesen. Und auch dieser Luchs wurde nur einmal von einer Fotofalle erwischt, ob er noch lebt, ist völlig unklar. Die letzten wirklich nachweisbaren Nachzuchten stammen von 2014.

Der Nationalpark Kalkalpen bildet auf der Pinselohr-Landkarte aber keine Ausnahme. Seit den 1970er-Jahren konnten die einst ausgerotteten Luchse hierzulande zwar wiederangesiedelt werden. Ihre Zahl stagniert derzeit jedoch auf sehr niedrigem Niveau. "Die maximal 40 heimischen Luchse leben in kleinen, voneinander isolierten Populationen", erklärt die Biologin Magdalena Erich vom WWF.

Neben der "Mini-Population" im Nationalpark Kalkalpen sei vor allem noch die sogenannte BBA-Population im Norden Österreichs relevant. "Die 20 bis 25 Luchse – zumeist Grenzgänger – konnten im Wald- und im Mühlviertel nachgewiesen werden", erläutert Erich.

Soziale Artgenossen

Die Gründe für die extrem niedrige Reproduktionsrate sind vielfältig. Nicht gerade förderlich auf das Liebesleben wirkt sich aus, dass der Luchs – so Erich – ein "Einzelgänger mit konservativem Ausbreitungsverhalten" sei: "Im Gegensatz zu Wölfen, die auch weitentfernte Lebensräume erschließen, siedeln sich Luchse meist nur dort an, wo auch andere Artgenossen vorkommen."

Zudem sei Not am Luchs, weil das Umfeld oft nicht passt. Erich: "Es gibt es kaum Nachwuchs, da ihr Lebensraum aufgrund des hohen Bodenverbrauchs massiv zerschnitten und genetische Armut die Folge ist."

Zudem müsste man mit "mehr und viel größeren Gründerpopulation beginnen". Erich: "In den Nachbarländern gibt es diesbezüglich wirklich große Bemühungen. In Deutschland etwa gibt es drei neue Projekte – und die beginnen alle mit rund 20 Luchsen."

Verschwundene Weibchen

Und es brauche mehr Engagement beim Kampf gegen die illegale Verfolgung. Den Luchsen fliegen mit unangenehmer Regelmäßigkeit die Kugeln um die Pinselohren. Erich: "Der sogenannte Artikel-17-Bericht weist bei den Gefährdungsursachen in Österreich an erster Stelle die illegale Verfolgung aus."

Entlang der tschechisch-österreichischen Grenze hofft man noch auf das Ergebnis anderer Umstände: Dort sollen Isabella und Amalka die Zukunft des Bestands sichern. Doch noch gibt es keinen Hinweis bei den Mühlviertler Luchsdamen auf Nachwuchs. "Was nicht ungewöhnlich ist. Wenn, gibt es die Fotofallensichtungen im Herbst", sagt Thomas Engleder vom Luchsprojekt Österreich Nordwest.

Mehr Sorgen bereitet dem Mühlviertler Luchs-Experten aber ohnehin, dass immer wieder Weibchen aus dem Monitoringraum verschwinden. "In den letzten zehn Jahren haben wir zwanzig führende Weibchen registriert. Davon sind heute nur noch drei junge Weibchen übrig. Das lässt sich mit einem natürlichen Abgang nicht mehr erklären", erläutert Engleder. (Markus Rohrhofer, 26.6.2023)