Sterbehilfe-Kandidat
Ein schwerwiegender Schluck: Sterbewillige können ein tödliches Medikament aus der Apotheke beziehen – nach langwierigem Verfahren.
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Es wirkte wie der Durchbruch zu einem liberaleren Umgang mit dem selbstbestimmten Tod: Seit eineinhalb Jahren ist Beihilfe zum Suizid in Österreich erlaubt. Wer als schwerkranker Mensch ein festgelegtes Prozedere durchläuft, darf eine Sterbeverfügung errichten, um schließlich ein tödliches Präparat zu beziehen. Ermöglicht wird diese Form des assistierten Suizids von jenem Gesetz, mit dem die türkis-grüne Regierung eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) umzusetzen versucht hat.

Doch anfängliches Lob ist rasch verflogen. In der Praxis bauten sich beträchtliche Hürden auf, berichteten Interessenten nicht zuletzt im STANDARD. So sei es schwierig, willige Ärzte für die obligaten Aufklärungsgespräche zu finden. Zwei Mediziner, einer davon mit Palliativausbildung, müssen bestätigen, dass der oder die Betroffene entscheidungsfähig ist und aus freiem Willen handelt.

"Das Gesetz funktioniert einfach nicht", schließt Wolfram Proksch aus den bisherigen Erfahrungen. Im Dienst der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) hat der Rechtsanwalt deshalb einen Individualantrag beim VfGH eingebracht, um verschiedene Beschränkungen zu Fall zu bringen. Das hat schon einmal funktioniert. Vor vier Jahren hatte Proksch auch jenen Antrag verfasst, der den Stein überhaupt erst ins Rollen brachte: In der Folge hob der VfGH das Verbot der Beihilfe zum Suizid auf.

Die Kritiker versuchen, das Gesetz an mehreren Stellen auszuhebeln.

·Verbot aktiver Sterbehilfe Schon der erste Antrag von 2019 sollte nicht bloß Beihilfe ermöglichen, sondern auch aktive Sterbehilfe. Doch weil der VfGH diese Frage damals aus formalen Gründen nicht geprüft hat, nimmt die ÖGHL nun einen neuen Anlauf: Es sei sachlich nicht begründbar, dass das Strafrecht jede Form der Tötung auf Verlangen verbietet.

Der entscheidende Unterschied: Laut aktueller Rechtslage darf Sterbewilligen zwar geholfen werden, den Akt des Suizids muss jedoch jeder und jede selbst vornehmen. Diese Einschränkung schließe etwa an multipler Sklerose erkrankte Menschen aus, die zwar voll entscheidungsfähig seien, sich aber nicht einmal mehr so weit bewegen könnten, um den Tropf der todbringenden Infusion in Gang zu setzen, argumentiert Proksch. Das Gesetz zwinge manche somit, die Sterbehilfe früher als gewollt in Anspruch zu nehmen.

·Werbeverbot "Es ist verboten, mit der Hilfeleistung zu werben", schreibt das Gesetz mit anschließenden Präzisierungen fest. Die ÖGHL sieht dahinter ein "rigides Kommunikationsverbot", das jegliche Beratung verunmögliche: "Uns erreichen viele Anfragen von Hilfesuchenden, die sich nicht zurechtfinden. Wir würden als Verein gerne helfen, dürfen aber nicht." Dem widerspricht allerdings das Gesundheitsministerium: Schlichte und sachliche Informationen seien sehr wohl erlaubt.

Proksch nennt einen weiteren Knackpunkt. Ärzte dürfen zwar darauf hinweisen, dass sie für die verlangte Aufklärung bereit sind. Unzulässig sei aber bereits, Hilfeleistung beim Akt des Suizids anzubieten, erklärt der Anwalt. Dabei würden viele gerne einen Arzt dabei haben, der das tödliche Präparat mixt und den Ablauf beaufsichtigt. Rechtlich wäre das, wie unter Punkt eins erläutert, gedeckt. Doch weil die Betroffenen schlicht nicht wüssten, welcher Arzt dazu bereit sein könnte, "rennen sie im Kreis".

·Wartefrist Die Sterbeverfügung kann frühestens zwölf Wochen nach der ersten ärztlichen Aufklärung errichtet werden; nur bei einer tödlichen Krankheit im Endstadium reichen zwei Wochen. Was laut Intention die "Dauerhaftigkeit" des Entschlusses sicherstellen soll, ist in den Augen der Kritiker eine weitere Schikane. Denn was, wenn sich die Situation eines Sterbewilligen vor Ablauf der Frist schlagartig so verschlechtert, dass er den Suizid nicht mehr selbst vornehmen kann?

·Befristung Während Patientenverfügungen, mit der Menschen medizinische Behandlungen für die Zukunft ablehnen können, acht Jahre gelten, sind Sterbeverfügungen mit einem Jahr befristet. Abgesehen von den Mühen bringe die jährliche Erneuerung hohe Kosten mit sich, kritisiert die ÖGHL, das beginne mit 800, 900 Euro für den bei der Errichtung obligatorischen Notar. Jede angebrochene halbe Stunde ärztliche Beratung schlägt sich laut Kammer mit 144 Euro zur Buche.

·Absolute Freiwilligkeit Weder Spitäler, Pflegeeinrichtungen noch Ärzte sind zur Mitwirkung verpflichtet. Es sei verständlich, dass niemand zur direkten Beihilfe zum Suizid gezwungen werde, sagt Proksch. Doch wenn Ärzte selbst Aufklärung und Begutachtung ablehnen könnten, gehe das Prinzip der Gewissensfreiheit zu weit. Und mache der Staat in Spitälern schon keine Angebote für einen professionell durchgeführten assistierten Suizid, dann solle dies wie in der Schweiz zumindest spezialisierten Vereinen erlaubt sein.

Dass all diese Regelungen den Zugang zum assistiertem Suizid "de facto unmöglich machen", schließt Proksch auch aus den Zahlen. Während die Macher des Gesetzes noch von 400 Sterbeverfügungen pro Jahr ausgingen, wurden es bis dato laut Ministerium nur 198.

Demnach wurden letztlich 160 Präparate – das Mittel heißt Natrium-Pentobarbital – ausgegeben. Aber nur eine einstellige Zahl an vollzogenen Suiziden hat das Ministerium bisher registriert. Ob die Statistik vollständig ist, hängt davon ab, ob die Fälle bei der Totenbeschau korrekt verbucht und gemeldet werden. Die Österreichische Palliativgesellschaft zählte über ihre eigene, sicher auch nicht komplette Meldeplattform für das Vorjahr zumindest 21 vollzogene assistierte Suizide. (Gerald John, 27.6.2023)