Phil Spencer auf dem Weg ins Gerichtsgebäude in San Francisco
Hätte gerne eine ganze Branche aufgekauft: Xbox-Chef Phil Spencer.
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Die Gerichtsverhandlung der US-Handelsaufsicht FTC gegen Microsoft bringt schon seit Ende der Vorwoche immer neue Geheimnisse aus der Gaming-Sparte des Softwareriesen hervor. Jetzt haben findige Prozessbeobachter in den Unterlagen gewühlt und neue Enthüllungen zutage gefördert: So war Microsofts Einkaufstour in der Gaming-Branche deutlich größer geplant. Wobei "größer" wahrscheinlich der falsche Begriff ist, Microsoft wollte sich die Herrschaft fast über die gesamte Branche sichern.

Phil Spencer auf Einkaufstour

Demnach bat der Chef von Xbox, Microsofts Gaming-Sparte, seinen CEO Satya Nadello und CFO Amy Hood um die Erlaubnis, auf die japanische Holding Sega Sammy Inc. wegen einer möglichen Übernahme der Sega-Spielstudios zuzugehen. "Wir glauben, dass Sega ein ausgewogenes Portfolio an Spielen in verschiedenen Segmenten mit globaler geografischer Anziehungskraft aufgebaut hat und uns dabei helfen wird, den Xbox Game Pass sowohl auf als auch außerhalb der Konsole zu beschleunigen", so Spencer in der E-Mail vom November 2020, wie "The Verge" zitiert.

Über den Verlauf der Gespräche mit Sega oder ob Nadella diese überhaupt genehmigte, ist nichts bekannt. In einem Microsoft-internen Dokument zur Überprüfung von Fusionen vom April 2021 wurde Sega jedoch immer noch als ein wichtiges Ziel aufgeführt. Microsoft hatte Schlüsselbereiche für Akquisitionen im PC-, Mobil- und Konsolenbereich in verschiedenen Märkten identifiziert, und Sega, Bungie, Zynga und IO Interactive gehörten zu einer Reihe von Unternehmen, die Microsoft ernsthaft für eine Übernahme in Betracht zog.

Bungie und IO Interactive auf der Liste

Bungie war in den frühen 2000er-Jahren schon einmal Teil der Microsoft Game Studios, wechselte später unter das Dach von Activision und gehört nun zu Microsofts größtem Konkurrenten Sony. Microsoft sei laut den Unterlagen besonders an den Filetstücken des Studios interessiert gewesen: dem lukrativen "Destiny"-Franchise sowie der Entwicklungsinfrastruktur eines Live-Service-Games. 

Der "Hitman"-Entwickler IO Interactive stand 2021 ebenfalls auf der "endgültigen Beobachtungsliste", wie Microsoft den Einkaufszettel nannte. Aber nicht nur das: Thunderful, Supergiant Games, Niantic, Playrix und Zynga sollten ebenfalls unter die Fittiche der Konzernmutter aus Redmond kommen. Microsoft befand sich in Gesprächen zur Übernahme von Zynga, bevor es sich schließlich Activision Blizzard für seine mobilen Ambitionen zuwandte. Zynga wurde schließlich von Take-Two übernommen. 

Wunschzettel mit den "Witcher"-Machern

In einer weiteren Liste namens "Consideration Set" stehen weitere Gaming-Studios, die Microsoft gerne gehabt hätte, also eine Art alternativer Wunschzettel, falls die Favoriten nicht zu bekommen wären. Darunter finden sich die Macher der "Witcher"-Reihe von CD Projekt Red aus Polen, der französische Publisher Focus, Paradox-Interactive aus Schweden, Crytek aus Deutschland sowie From Software aus Japan, das Entwicklerstudio hinter "Dark Souls" und "Elden Ring". Um in den finalen Auswahlprozess von Microsoft zu kommen, durften Unternehmen nicht weniger als 100 Millionen Euro Umsatz erwirtschaften, keinen Sitz in China haben oder von einem chinesischen Konzern kontrolliert werden oder zu viele Umsätze im Glücksspielbereich erzielen.

Die Anhörungen werden am Dienstag fortgesetzt. Unter anderem wird Sony-Playstation-Boss Jim Ryan aussagen. Die Anhörung vor einem Gericht in San Francisco dreht sich eigentlich um die geplante Übernahme von Activision Blizzard durch Microsoft. Die FTC hat Bedenken gegenüber dem 68,7 Milliarden US-Dollar schweren Deal. Die Handelsaufsicht befürchtet, es könnte ein Monopol entstehen – eine Ansicht, die Hauptkonkurrent Sony ebenso vertritt. Die FTC möchte eine einstweilige Verfügung erwirken, um Microsoft daran zu hindern, das Geschäft abzuschließen, bevor am 2. August ein separates Gerichtsverfahren eingeleitet werden kann.

Für Microsoft steht viel auf dem Spiel

Microsoft hat bis zum 18. Juli Zeit, um die geplante Übernahme abzuschließen. Andernfalls muss das Unternehmen drei Milliarden Dollar an Abfindungszahlungen an Activision Blizzard zahlen oder neue Bedingungen aushandeln. Die FTC ist nicht die einzige Aufsichtsbehörde, die versucht, die größte Übernahme der Gaming-Geschichte zu verhindern. Die britische Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde (CMA) beschloss im April, den Deal zu blockieren. Ein diesbezügliches Verfahren wird Ende Juli beginnen. (pez, 27.6.2023)