Renaturiertes Gebiet im niederösterreichischen Pulkau
Das Gesetz sieht vor, 20 Prozent der Flächen der EU wieder in "natürliche Lebensräume" zu verwandeln. Damit soll mehr CO2 gespeichert und die Biodiversität gefördert werden.
Philipp Horak

Es ist eines der Kernstücke des europäischen Green Deal: das Renaturierungsgesetz. Politisch umstritten, geht es im Kern um ein Ziel, das sehr wohl breite Zustimmung findet. Zerstörte Land- und Meeresgebiete sollen wiederhergestellt werden, 100 Milliarden Euro plant die Europäische Union dafür lockerzumachen.

Die bisherigen Verhandlungen zur Verordnung haben sich äußert schwierig gestaltet, zuletzt konnten sich aber immerhin die Umweltministerinnen und Umweltminister auf eine gemeinsame Position einigen, wenn auch mit zahlreichen Abschwächungen des ursprünglichen Kommissionvorschlags.

Europäische Volkspartei hält Gesetz für bedenklich

Am Dienstag hat nun der zuständige Umweltausschuss im EU-Parlament nach zähen Verhandlungen, die vor zwei Wochen abgebrochen und nun fortgesetzt wurden, gegen das Renaturierungsgesetz gestimmt. Ein parteiübergreifender Kompromiss hatte sich bereits im Vorfeld als unwahrscheinlich abgezeichnet. Die stimmenstärkste Fraktion des Parlaments, die Europäische Volkspartei (EVP), meldete in den letzten Wochen mehrfach Kritik an.

Ein Argument, das sowohl die in der Fraktion federführende CDU/CSU als auch die ÖVP vorbrachten: Wenn weniger Flächen landwirtschaftlich genutzt werden, dann müssten mehr Produkte importiert werden. Letztlich gehe es um die Frage der Versorgungssicherheit im Lebensmittelbereich.

Von der Sinnhaftigkeit des Arguments hält der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz aber wenig, wie er noch vor der Abstimmung im Ö1-"Morgenjournal" zu verstehen gab: "Mehr Lebensmittel werden wir importieren müssen, wenn wir uns nicht an den real stattfindenden Klimawandel und die Klimakrise anpassen." Dass das Argument der Lebensmittelsicherheit ein wichtiges sei, darin stimmt Waitz mit den Sorgen der EVP überein. Allerdings: "Zu behaupten, dass dieser Vorschlag der Kommission gegen die Lebensmittelsicherheit geht, ist genau verkehrt."

Einwände "gegen jede wissenschaftliche Evidenz"

Damit steht Waitz nicht alleine da. 60 Konzerne um Nestlé, Unilever und Coca-Cola sprechen sich für das Gesetz aus, und bereits vergangene Woche bezogen mehr als 3.000 Wissenschafterinnen und Wissenschafter in einem offenen Brief klar Stellung. Die Einwände der EVP seien "gegen jede wissenschaftliche Evidenz", so die Ergebnisse des wissenschaftlichen Faktenchecks. Das größte Risiko einer Lebensmittelknappheit sei demnach die Klimakrise, gefolgt von einer schwindenden Biodiversität. Beidem versucht das geplante EU-Gesetz zur Renaturierung gegenzusteuern. Wälder sollen aufgeforstet werden, trockengelegte Moore vernässt. Beides mit dem Ziel, mehr CO2 speichern zu können.

Der Fokus der Debatten gilt aber letztlich ausgerechnet weniger den Treibhausgasen, sondern vielmehr den Landwirtinnen und Landwirten. Die in der EVP-Fraktion federführende CDU/CSU gibt zu bedenken, dass von der Wiederherstellung natürlicher Lebensräume auch landwirtschaftliche Flächen betroffen sein werden. Dem Argument kann Waitz nicht viel abgewinnen, schließlich gebe es für derartige Fälle finanzielle Mittel aus unterschiedlichen Fonds der EU, um landwirtschaftliche Betriebe dafür zu entschädigen.

ÖVP-Parlamentarier fordert gänzliche Überarbeitung

ÖVP-Europaparlamentarier Alexander Bernhuber sieht das naturgemäß gänzlich anders, wie er im "Morgenjournal" erklärte: Für etwaige Entschädigungen gebe es keine klare Regelung, Fragen dazu blieben in der Kommission unbeantwortet. An dem Gesetz sei man erst dann wieder bereit zu arbeiten, wenn es eine gänzliche Überarbeitung gebe.

Vermutet wird zudem, dass derartige Argumente der EVP nicht ganz uneigennützig sind, schließlich gilt die ländliche Wählerschaft als wichtige Klientel der Fraktion und ihrer Parteien. Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, wirft der federführenden CDU in einer ersten Stellungnahme Populismus auf Kosten der Natur vor.

Manipulationsvorwurf bringt Pläne durcheinander

Die Zukunft des Gesetzes steht nun auf Messers Schneide. Im Anschluss der Abstimmung sorgte der liberale französische Abgeordnete Pascal Canfin, der auch als Ausschussvorsitzender agiert, für Aufsehen. Die EVP hätte die Abstimmung manipuliert, ein Drittel der Stimmen der Konservativen wären von Nicht-Ausschuss-Mitglieder abgegeben worden. Drei Viertel davon stammten aus dem Agrarausschuss, der bereits den Gesetzesvorschlag abgelehnt hat. Die EVP weist die Vorwürfe entschieden zurück und schießt in Richtung Canfin, der sich parteilich verhalte und als Ausschussvorsitzender ungeeignet sei. Es habe zwar tatsächlich viele Veränderungen bei den Abgeordneten gegeben; das liege aber daran, dass sich einige der Fraktionsmitglieder in ihrer Entscheidung unschlüssig waren und darum gebeten hätten, ersetzt zu werden. 

Wie es nun weitergeht, ist ob der Unstimmigkeiten unsicher. Ursprünglich war die Behandlung im Plenum für Mitte Juli angesetzt, die EVP möchte diese jedoch auf September verschieben. Was jedenfalls sicher ist: Die endgültige Entscheidung über das Gesetz wird nicht zuletzt von der liberalen Renew-Fraktion, in der etwa FDP und Neos vertreten sind, abhängen. Die zeigte sich bislang uneins, Grünen-Sprecher Bloss hofft nun darauf, dass die Fraktion ihre gewohnt "positive Position zum Klimaschutz" einnimmt und so die Mehrheitsverhältnisse verschiebt.

Sollte das Gesetz zu stark verwässert oder gar verhindert werden, droht das Verfehlen der EU-Klimaziele, warnen Befürworter des Naturschutzgesetzes. Erst am Montag hat der Europäische Rechnungshof in einem Sonderbericht die Klima- und Energieziele für gefährdet erklärt.

Es gebe "wenige Hinweise darauf, dass zur Verwirklichung der ambitionierten EU-Ziele für 2030 ausreichende Maßnahmen getroffen werden", heißt es darin. Zwar wurden zuletzt immerhin die Energieeffizienzziele erreicht, dies sei aber auf Pandemie und Finanzkrise zurückzuführen – und eben nicht auf gezielte und wirksame Maßnahmen der EU. Künftig sei wohl wieder mit einem erheblichen Anstieg der Treibhausgase zu rechnen. (Nicolas Dworak, 27.6.2023)