Es wirkt wie ein gut einstudiertes Schauspiel. Arbeitsminister Martin Kocher macht einen wirtschaftspolitischen Vorstoß und löst damit einen Aufschrei linker Kritikerinnen und Kritiker aus, die ihm wahlweise soziale Kälte oder Herzlosigkeit vorwerfen. Jüngstes Beispiel dafür ist ein Erlass Kochers, wonach das AMS künftig Arbeitslose, die nebenbei geringfügig dazuverdienen, strikter kontrollieren soll. Arbeiterkammer wie SPÖ sind empört, Tenor: Kocher "quäle" Jobsuchende.

Nun ist der ÖVP-Politiker natürlich nicht unschuldig daran, wenn bei ihm politische Gegner reflexartig die Empörungsmaschinerie anwerfen. Kocher weiß ja, wie er der ÖVP-Klientel eine Freude macht: Mehr Druck auf Arbeitslose bringt ihm immer Applaus ein, und bis zu einem gewissen Grad symbolisiert der aktuelle Erlass genau das. Es ändert allerdings nichts daran, dass Kocher in diesem Fall richtig liegt: Ja, es sollte alles getan werden, um geringfügige Beschäftigung von Arbeitslosen zurückzudrängen und sie in voll versicherungspflichtige Jobs zu bringen. Österreichs Arbeitslosenversicherung funktioniert im Grunde gut, aber an der Stellschraube Geringfügigkeit gehört gedreht.

Arbeitsminister Martin Kocher
Sein wirtschaftspolitischer Vorstoß sorgt für Empörung: Arbeitsminister Martin Kocher.
APA/HANS KLAUS TECHT

320.000 Arbeitslose gibt es derzeit im Land, etwa zehn Prozent davon, rund 32.000 Menschen, verdienen geringfügig dazu. Die Idee hinter dem Konzept klingt gut: Wer lange keine Stelle findet, tut sich schwerer mit dem Wiedereinstieg, weil es herausfordernder wird, das eigene Leben zu organisieren, Termine einzuhalten und weil Arbeitgeber oft misstrauisch sind gegenüber Langzeitarbeitslosen. Hier soll ein geringfügiger Job ein erster Schritt für die Rückkehr ins Berufsleben sein. Bloß: In der Praxis funktioniert dieses System nicht.

Zuverdienst als Falle

Laut Berechnungen des Forschungsinstituts Wifo bleiben Jobsuchende, die geringfügig beschäftigt sind, etwas länger arbeitslos. Ihre späteren Berufskarrieren verlaufen schlechter. Würde die Zuverdienstmöglichkeit fallen, gäbe es weniger Arbeitslose. Zu oft ist der Zuverdienst also eine Falle, in der Arbeitslose hängen bleiben. Dazu kommt: Die Versicherungsgemeinschaft kostet es Geld. Betroffene beziehen später niedrigere Pensionen. Betriebe horten Arbeitskraft, die anderswo gebraucht wird.

Dass Jobsuchende geringfügig arbeiten, hat viele Ursachen. Das Abgabenrecht ist nicht ideal konzipiert: Ein Arbeitsloser bekommt 800 oder 900 Euro vom AMS und kann 500,91 Euro geringfügig dazuverdienen, ohne Sozialversicherungsbeiträge zahlen zu müssen und dennoch krankenversichert zu sein. Aufstocken ist oft wenig interessant, weil bei höherem Lohn die Versicherung voll zuschlägt und das AMS-Geld wegfällt. Auch Unternehmer freuen sich über geringfügiges Personal, das sie flexibler und günstiger als klassische Beschäftigte einsetzen können.

Der Vorwurf an Kocher, er würde nur Druck auf Jobsuchende ausüben, ist diesmal übrigens falsch: Auch den Arbeitgebern stellt er die Rute ins Fenster.

Ein Erlass allein wird an all dem wenig ändern. Ein guter Schritt wäre, Zuverdienst zeitlich zu beschränken. Manchen Langzeitarbeitslosen hilft es ja beim Wiedereinstieg, zuerst mit wenigen Stunden zu beginnen. Das ein Jahr zu ermöglichen könnte reichen. Noch besser wäre, das Konzept Geringfügigkeit generell kritisch zu diskutieren – nicht nur bei Jobsuchenden bietet das Modell Anreiz, weniger zu arbeiten. (András Szigetvari, 27.6.2023)