"Mon Oncle", Jacques Tatis Apotheose auf die moderne Betriebsamkeit: mit Schirm, Charme und Pfeife.
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Wenn jemand aus der Zeit fällt, dann kann das ein kleiner Stolperer sein oder ein langer, langer Sturz. Bei dem französischen Komiker Jacques Tati (1907–1982) könnte man sagen: Er fiel in sechs Filmen aus der Zeit. Sechs Komödien, die zum Grundbestand des Kinos zählen, übrigens alle wie gemacht für die große Leinwand des Gartenbaukinos, das ihm in den ersten Julitagen eine Retrospektive widmet.

Die Zeit, aus der Tati fiel, war die Moderne. Näherhin die Konsummoderne nach dem Zweiten Weltkrieg, die Epoche, die so widersprüchliche Phänomene hervorbrachte wie den Straßenkreuzer (chromblitzend, luftverpestend) und den Staubsauger (der bis in die Winkel ging, in denen das Leben Zuflucht suchte). In Frankreich nennt man diese Ära die "trentes glorieuses", die dreißig Jahre nach 1945, in der einer alten Welt die Wadeln nach vorne gerichtet wurden.

Socken als Widerstand

Tati übte als Vertreter dieser alten Welt sogar ein bisschen Mimikry, mit seinem Trenchcoat hätte er gar nicht so schlecht in die Angestelltenmassen gepasst, aber die Hochwasserhosen verrieten ihn, denn darunter gab es eigenwillige Socken, bis heute ein bedeutender Widerstandsort für diskrete Anachronisten. Komik entsteht einer berühmten Definition nach aus störrischen Körpern. Sie lassen die Elastizität vermissen, die das zunehmend komplizierter werdende Leben von einem verlangt. Tati organisierte in seinen Komödien komplexe Choreografien, in denen er eine Art störrischer Elastizität an den Tag legen konnte.

Das Haus, in dem Monsieur Hulot, sein Alter Ego, in Mon Oncle (1958) lebt, ist so etwas wie das Gebäude gewordene Räderwerk aus Chaplins Modern Times: ein Labyrinth, in dem nur die heiligsten Einfaltspinsel nicht zerquetscht werden. Dem steht das lächerliche Anwesen des neureichen Schwagers gegenüber, ein Fatzke, der für eine Firma namens Plastac arbeitet und dem man quasi sofort den Running Gag dieses Films wünscht: dass er gegen einen Laternenmast rennt. Tati machte sich mit seinem biegsamen Widerstand über den modernen Tourismus her (Die Ferien des Monsieur Hulot), und irgendwann unausweichlich über den motorisierten Straßenverkehr als den organisierten gesellschaftlichen Wahnsinn insgesamt (Trafic).

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1967 ging Tati mit seiner Kunst auf maximale Fallhöhe: In Playtime (1967) fungiert Hulot wie eine radikal entschleunigte Flipperkugel in einer automatisierten Welt. Das Gartenbau verrät im Programm leider nicht, ob es Playtime in der 70-mm-Version analog projiziert, wie es angebracht wäre. In jedem Fall schlug Tati mit diesem Projekt hart auf. Und das Nachbeben zittert heute noch durch all die störrischen Körper, die zwischen den flexiblen Menschen nicht unterzugehen versuchen. (Bert Rebhandl, 28.6.2023)