Es ist eine gigantische Aufgabe, die das Weltraumteleskop Euclid vor sich hat. Am 1. Juli soll die Sonde der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) ins All starten und innerhalb weniger Jahre mehr als ein Drittel des gesamten Himmels kartieren. Euclid soll Milliarden von Galaxien beobachten und in eine Entfernung von bis zu zehn Milliarden Lichtjahren blicken – um sich zwei ganz großen kosmologischen Rätseln anzunähern: Woraus besteht der unsichtbare Teil des Universums, und weshalb dehnt sich der Kosmos immer schneller aus?

Euclid Esa Dunkle Materie
Die Mission Euclid soll Milliarden von Galaxien beobachten, um Hinweise auf die Dunkle Materie und jene Energie zu finden, die unser Universum auseinandertreibt.
Esa/ATG medialab

Dunkle Materie und Dunkle Energie werden diese mysteriösen Größen verlegenheitshalber genannt, die der Wissenschaft seit Jahren Kopfzerbrechen bereiten. Wir können sie nicht direkt sehen, doch ihre Wirkung ist gewaltig: Berechnungen zeigen, dass Dunkle Materie und Dunkle Energie 95 Prozent des Universums ausmachen. Der fast schon lächerliche Rest von fünf Prozent beinhaltet alles, was wir sehen können, alle Planeten, Sterne, Nebel, Galaxien.

Unbekannte Energie

Beobachtet man die Bewegung der sichtbaren Objekte, ergibt sich indirekt der verblüffende Befund: Es muss sehr viel mehr Masse da draußen geben, deren Schwerkraft den sichtbaren Teil des Universums beeinflusst. Woraus sie besteht, ist nicht geklärt. Noch rätselhafter erscheint die Dunkle Energie. Unser Universum dehnt sich nicht nur ungebremst aus, sondern tut das sogar mit immer größerer Geschwindigkeit. Warum, ist ebenfalls unklar. Wegen der Schwerkraft der Materie, inklusive der Dunklen Materie, lässt sich die beschleunigte Expansion nicht erklären.

"Irgendetwas treibt das Universum auseinander, und wir haben keine Ahnung, was es ist", sagt Markus Kissler-Patig, Leiter der Abteilung Wissenschaft und Betrieb bei der Esa. "Dieser Energie wollen wir mit Euclid ebenfalls auf die Schliche kommen."

Um zu den dunklen Geheimnissen des Kosmos vorzustoßen, ist Euclid mit einem Teleskop von 1,2 Meter Durchmesser und zwei wissenschaftlichen Instrumenten ausgestattet. Ein Instrument beobachtet die genaue Position und Form von Galaxien im sichtbaren Licht, während das andere im Infrarotlicht die Helligkeit von Galaxien misst, woraus sich wiederum die Entfernung ableiten lässt.

Euclid | ESA’s mission into the unknown
Esa-Video zur Mission Euclid.
European Space Agency, ESA

Verzerrter Raum

Aus den Beobachtungen bis tief zurück in die kosmische Vergangenheit soll die bisher größte und genaueste 3D-Karte des Universums entstehen. Astronominnen und Astronomen erhoffen sich davon Informationen, wie genau die Dunkle Materie im Universum verteilt ist, wie sich große Strukturen gebildet haben und wie sich das Universum im Lauf der Zeit ausgedehnt hat. Das würde wiederum Rückschlüsse auf die Dunkle Energie erlauben. "Wir wollen mit Euclid das Standardmodell der Kosmologie testen", sagt Kissler-Patig.

Für einen Teil der Messungen macht sich Euclid den sogenannten Gravitationslinseneffekt zunutze. Die Schwerkraft massereicher Objekte wie Galaxien krümmt den Raum und wirkt dadurch wie ein Vergrößerungsglas für dahinterliegende Objekte. Astronominnen und Astronomen nutzen diesen Effekt, wenn er stark ausfällt, um weit entfernte Objekte zu beobachten.

Das Weltraumteleskop Euclid soll dagegen nach ganz geringen Verzerrungen Ausschau halten, erklärt Kissler-Patig: Denn auch die Dunkle Materie sorge für Verzerrungen, "aber nur ganz schwach". Um die Verteilung und Beschaffenheit dieser rätselhaften Materie zu enthüllen, soll Euclid bei Milliarden von Galaxien nach solchen minimalen Verzerrungen fahnden.

"Der Gravitationslinseneffekt ist die einzige Methode, die es uns erlaubt, die Massenverteilung im Universum direkt zu kartieren", sagt der Astrophysiker Tim Schrabback von der Universität Innsbruck, dessen Forschungsgruppe an der Mission Euclid beteiligt ist. Die Beobachtungen der Sonde würden bisherige Messkampagnen "um wenigstens einen Faktor 10 übertreffen", sagt Schrabback. "Dies eröffnet enorme Chancen, um die Geheimnisse des Kosmos besser zu verstehen."

Gut abgeschirmt bei Lagrange 2

Der Dunklen Energie soll Euclid auch durch die Kartierung sogenannter baryonischer akustischer Schwingungen auf die Spur kommen. Dabei handelt es sich um Wellen, die sich in der Frühphase nach dem Urknall ausbreiteten. Sie sind bis heute in der Anordnung von Galaxienhaufen erhalten geblieben und können Auskunft über die Expansion des Universums und deren Beschleunigung durch Dunkle Energie geben.

Der ideale Standort für Euclids komplexe Aufgaben liegt gut 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt, beim sogenannten Lagrangepunkt 2. Das ist ein Gleichgewichtspunkt des Sonne-Erde-Systems, in dessen Umlaufbahnen sich Raumsonden mit sehr wenig Energieaufwand stabil halten können.

Euclid kann dort mithilfe eines Sonnenschilds das störende Licht von Sonne, Erde und Mond effektiv blockieren und das Teleskop auf die Weiten des Alls richten. Der konstante Abstand zur Erde ist auch für die Datenübertragung günstig, schließlich erhoffen sich die Forschenden eine Ausbeute von etwa 100 Gigabyte an Messdaten pro Tag.

Die Reise zum zweiten Lagrangepunkt soll etwa 30 Tage dauern, sagt Andreas Rudolph, Flugdirektor der Esa-Mission. "Wenn wir in unserem Orbit angekommen sind, folgt eine wissenschaftliche Überprüfung, um festzustellen, ob das Teleskop die hohen Genauigkeitsanforderungen erfüllt." Drei Monate nach der Ankunft soll dann die eigentliche wissenschaftliche Mission beginnen.

Euclid Space X
Euclid bei den Vorbereitungen zur Verladung in Florida vergangene Woche. Der Start ist für 1. Juli um 17:12 Uhr vorgesehen.
Esa/Space X

Nötiger Raketentausch

Die Kosten für das Projekt der Esa, zu dessen Budget auch Österreichs Klimaministerium beiträgt, belaufen sich auf rund 1,4 Milliarden Euro. Dass die Sonde nun am Weltraumbahnhof Cape Canaveral in Florida auf den Abflug mit einer Falcon-9-Rakete der US-Firma Space X wartet, ist dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geschuldet. Denn wie bei vielen anderen Raumfahrtprojekten auch hatte die Esa ursprünglich den Start mit einer russischen Sojus-Rakete geplant.

Mit Kriegsbeginn wurden alle Raumfahrtprojekte mit Russland gestoppt, die Alternativlösung musste organisatorisch und technisch unter hohem Zeitdruck umgesetzt werden. "Es war ein sehr intensives Jahr", sagt Tobias Boenke, Systemingenieur der Mission. "Jetzt halten wir die Daumen gedrückt." (David Rennert, 28.6.2023)t