Die russische Taiga ist ein Gebiet der Extreme: Die Winter sind lang und extrem kalt, mit Temperaturen von bis zu minus 60 Grad. Die Sommer wiederum sind kurz und bis zu 40 Grad heiß. Entsprechend widerstandsfähig sind die Bäume, die hier wachsen – und die Russland Millionen bringen. Dazu gehören die Sibirischen Lärchen, die im Terrassen- und Fassadenbau besonders beliebt sind.

Jahrelang war Russland, das immerhin über ein Fünftel der weltweiten Waldflächen verfügt, einer der wichtigsten Holzlieferanten der EU. Im Jahr 2021 hat Russland noch ungefähr 13,6 Millionen Tonnen an Holz und Holzwaren im Wert von über drei Milliarden Euro in die EU geliefert, so das Statistische Amt der EU. Nach Österreich gingen demnach knapp 56.000 Tonnen.

Illustration: Fatih Aydogdu

Dann aber überfiel Russland sein Nachbarland, die Ukraine. Und der Handel mit Holz wurde von einem Tag auf den anderen zum Politikum. Denn die Holzindustrie ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Russland. Die Steuern aus diesem Bereich befeuern zumindest indirekt die russische Kriegsmaschinerie. Zudem stehen hinter einigen der größten Holzkonzerne Russlands laut einer Analyse der britischen Umweltorganisation Earthsight ausgerechnet Oligarchen mit engen Verbindungen zu Wladimir Putin, dem Mann, der den Krieg gestartet hat. Ab der Invasion verhängte die Europäische Union fast monatlich neue Sanktionen. Auch Holzimporte aus Russland wurden mit 11. Juli 2022 verboten.

Recherchen des STANDARD mit Paper Trail Media, dem Nachrichtenmagazin Profil, dem Investigativ-Podcast Die Dunkelkammer und dem ORF zeigen, wie im globalen Holzhandel Konstrukte aufgebaut wurden, um die Sanktionen zu umgehen. Russisches Holz soll über Umwege – und rechtlich klar gegen das Sanktionsregime – über andere Staaten in die EU gelangen.

Die Umgehung funktioniert zum Beispiel so: Holz aus Russland wird zunächst in andere Staaten exportiert – etwa nach Kasachstan, in die Türkei, nach China. Dort wird es weiterverarbeitet, die tatsächliche Herkunft wird verschleiert. Von den Ländern, die nicht sanktioniert sind, geht es dann weiter in die EU. Das zeigen Angebote von Händlern, die dem STANDARD vorliegen.

Verdächtige Importzahlen

Auch eine Recherche der deutschen Sendung ZDF frontal belegte dazu, wie Holz aus China problemlos nach Deutschland weiterverkauft werden konnte. Während der Anteil der Importe von Sperrholz aus Russland nach Deutschland von 2021 auf 2022 von 32,1 auf 1,6 Prozent fielen, stiegen die Importe aus China im selben Zeitraum von 10,9 auf 30,1 Prozent.

"Alle Einnahmen, die der Kreml erhält, werden letztendlich für seinen Krieg in der Ukraine verwendet", kritisiert Oleg Ustenko, Wirtschaftsberater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Jeder noch so kleine Betrag, der nach Russland fließe, verlängere den Krieg, sagte er dem STANDARD.

Und in Österreich? Auch hierzulande kletterten nach Sanktionserlass die Importe aus der Türkei, Kasachstan und Kirgisistan in die Höhe. Etwa stieg der Wert der Importe aus der Türkei von 2021 auf 2022 von rund 1,8 Millionen Euro auf über vier Millionen Euro, aus Kirgisistan von null auf knapp 300.000 Euro und aus Kasachstan von 450 auf 200.000 Euro.

Für die Kontrollen ist hierzulande das Bundesamt für Wald zuständig. Auf Anfrage erklärt es, dass es einen verstärkten Fokus auf mögliche Umgehung der Sanktionen setze. Besonders die gestiegenen Importzahlen aus der Türkei seien auffällig.

Der österreichische Zoll übermittle wöchentlich seine Daten an die Behörde. Allerdings stimme das zollrechtliche Ursprungsland oftmals nicht mit dem tatsächlichen Ursprungsland überein. Dass Umgehungsstrukturen, auf die Behörde dabei achten muss, nicht erst seit Russlands Angriff auf die Ukraine geschaffen werden, zeigte die Recherche Deforestation Inc. des International Consortium of Investigative Journalism (ICIJ), an der auch Paper Trail Media und Der Standard beteiligt waren - unter anderem im Fall von illegal nach Europa importiertem Teakholz aus Myanmar.

Nach STANDARD-Informationen hat das Bundesamt für Wald auch drei Fälle mit Verdacht auf Umgehung der Sanktionen bei den zuständigen Staatsanwaltschaften zur Anzeige gebracht. Allerdings: Alle Verfahren sind mittlerweile eingestellt. In zwei Fällen war als Ursprungsland Kirgisistan angeführt, in einem gebe es sogar Beweise dafür, dass das Holz eigentlich aus Russland stamme – doch den Verantwortlichen konnte "kein fahrlässiges Handeln" nachgewiesen werden, erklärte etwa die Staatsanwaltschaft Innsbruck zu dem Fall, in dem das Holz direkt aus Russland stammen soll.

Suspekte Angebote

Mehrere Holzunternehmen in Österreich, die ungenannt bleiben wollen, erzählen, dass immer wieder suspekte Angebote bei ihnen einträfen. Auch in diesen Gesprächen fallen immer wieder zwei Länder: Türkei und Kasachstan. Dem Standard liegt beispielsweise eine E-Mail mit einem Angebotsschreiben zu Birkensperrholz aus Kasachstan vor, mit dem Hinweis "EUTR-Dokumente in Ordnung". Abgesetzt wurde die E-Mail von einem Mann, der bis Oktober 2022 im Vertrieb des russischen Holzunternehmens Sveza arbeitete. Beweis für die Herkunft ist das keiner, stutzig macht der Zusammenhang aber doch. Auf Kontaktversuche reagierte er nicht.

Auch der große österreichischer Holzbetrieb J. u. A. Frischeis (JAF) bestätigt, dass einige "international tätige Holzhandelsunternehmen" Umgehungsstrukturen nutzen, um an das widerstandsfähige Holz aus Russland zu gelangen. Unternehmen, die die Nachfrage nach solchen hochwertigen Produkten bedienen, würden sich einen "unrechtmäßigen Wettbewerbsvorteil" verschaffen. "Tatsächlich haben wir entsprechende Meldungen bei den Behörden abgesetzt", lässt JAF wissen.

Allerdings hat auch JAF selbst weit nach Kriegsbeginn noch mit russischem Holz gehandelt. Eine österreichische Tochterfirma kaufte für einen Kunden im Vietnam Holz von einem Konzern, der Sveza zuzurechnen ist. Dessen Eigentümer: Der sanktionierte Oligarch und Putin-Vertraute Alexei Mordashov. Laut JAF seien die Verhandlungen für die Lieferung kurz vor Kriegsbeginn abgeschlossen worden. Der Eigentumsübergang sei in der Übergangsphase und vor endgültigen Inkrafttreten der Sanktionen Anfang Juli erfolgt. Dass der russische Verkäufer Sveza zuzurechnen ist, habe man nicht gewusst. Die russischen Niederlassungen seien mittlerweile geschlossen worden.

Grundsätzlich wäre die Nutzung von Umgehungsstrukturen ein klarer Bruch der Sanktionen, erklärt WWF-Holzwirtschaftsexperte Johannes Zahnen. Und Franz Mühlbauer, Sprecher des österreichischen Holzhandels in der Wirtschaftskammer, warnt vor Angeboten zu Lärchen aus Kirgisistan. "Das ist eine absolute Sanktionsumgehung, weil in Kirgisistan gibt es keine Sibirische Lärche oder überhaupt Lärche. Da muss man vorsichtig sein."

Schwächelnde Baubranche

Doch der schnelle Ersatz des russischen Holzes sei in einzelnen Segmenten schwierig, erklärt Herbert Jöbstl, Obmann des Fachverbands der Holzindustrie Österreichs. Das gelte etwa für die sibirische Lärche, die im Fassaden- und Terrassenbau eingesetzt wird. "Die österreichische Holzindustrie hat die Sanktionen auf Holz und Holzprodukte aus Russland grundsätzlich gut verkraftet, bei einigen Segmenten gab es Engpässe", so Jöbstl.

Für die Branche als Ganzes seien aber die Sanktionen weniger ausschlaggebend als vielmehr die schwächelnde Baubranche, so der Fachverband. Die hohen Energie-, und Materialkosten sowie die steigenden Zinsen drücken das Geschäft. Daher erwartet der Fachverband in diesem Jahr einen Rückgang in der Schnittholzproduktion um zehn Prozent.

Hoffnungen auf einen steigenden Absatz in jenen Ländern, denen Holzimporte aus Russland fehlen, wie sie die Holzindustrie vor einem Jahr noch durchklingen ließ, sind damit nicht aufgegangen. Kündigte die Branche damals noch an, ihre Erntemengen kurzfristig zu erhöhen, steht sie jetzt – ein Jahr später – vor einem zumindest vorläufigen Rückgang der Schnittholzproduktion.

Profitiert haben dürften hingegen andere: Unternehmen und Vermittler, die Holz aus Russland über Umwege in die EU schleusen – und damit klar gegen die Sanktionen verstoßen. (Alicia Prager, Timo Schober, 28.06.2023)