Waldbrand in den Wäldern Kanadas
Die Fläche Österreichs ist schon verbrannt: Kanadas Wälder stehen seit April in Flammen – vom Klimawandel begünstigt.
IMAGO/ABACAPRESS

Man hat es etwas aus den Augen verloren, aber Kanadas Wälder brennen immer noch. Viel mehr Fläche als normalerweise ist heuer schon verbrannt, der Klimawandel verstärkt die ungünstigen Faktoren. Dazu: Überflutungen in Italien, Trockenheit in Spanien, Bergabbrüche in den Alpen – die Klimakrise ist überall. Mit T. C. Boyles Blue Skies und °C – Celsius von Marc Elsberg stapelt sie sich auch auf den Bestsellertischen der Buchhandlungen. Climate-Fiction heißt das rasant Fahrt aufnehmende Genre.

Gibt man den Begriff ins Suchfeld von Onlinebuchhändlern ein, spucken sie hunderte jüngst erschienene Titel aus. Freilich ist nicht jeder so exzellent recherchiert wie Elsbergs Thriller, die mit Wissensbuch-Preisen bedacht werden. Oder so fundiert wie Nagell Ylvisåkers autobiografische Chronik Meine Welt schmilzt über das Leben mit ihrer Familie im vom Klimawandel massiv bedrohten Spitzbergen. Sabine Schönfellner erdenkt in Herbstwespen neue Modi des Privatlebens im Zeitalter verseuchter Böden und brennender Wälder. Die Norwegerin Maja Lunde ist eine Größe im Verknüpfen von Klimakrise und Liebesgeschichten (etwa Die Geschichte des Wassers).

Magd der Wissenschaft

Anderes ist reißerischer. Mit Wut von Letzte-Generation-Ativist Raphael Thelen erscheint im August ein Roman über einen eskalierenden Klimaprotest. Inhaltsangaben künden andererseits von Geschichten über seine Fähigkeit zur Photosynthese verlierendes Plankton (Oxygen von Andreas Brandhorst) oder zwecks Ertragssteigerung genmanipulierte Bienen, deren Stiche töten (Exit This City von Lisa-Marie Reuter). Jugendbücher sind voll mit 16-Jährigen, die nicht wissen, wie sich Sonne anfühlt (London Shahs Water Rising).

Neu sind solche Titel nicht, Bücher über eine von Menschen verursachte Umweltzerstörung erschienen schon in den 1960ern. Etwa J. G. Ballards Die ertrunkene Welt oder Frank Herberts ins Techno-Fantastische drehendes Dune(Der Wüstenplanet). Zehn Jahre später schrieb Ursula K. Le Guin Das neue Atlantis, Octavia Butlers Zivilisationsdystopie Parabel vom Sämann grundierte 1993 eine Horrorvision von Kalifornien 2024 mit Dürre und Feuer. Wohl kein Zufall: Im Juli erscheint das Buch wieder auf Deutsch.

Wegen technischer Lösungsversuche oder neuer Gesellschaftsformen nach dem klimabedingten Zivilisationskollaps gibt es oft eine Nähe zu Science-Fiction, in Anlehnung an Sci-Fi kürzt man das Genre Cli-Fi ab. Insgesamt sind diese Klimadystopien mit der Zeit aber realistischer geworden. Teils geriert sich die Literatur sogar als Magd der Klimaforschung, macht sich zur Vermittlerin. Autoren müssen ja gar nicht viel erfinden: Es gibt jede Menge wissenschaftliche Prognosen, Daten, Modelle. Heiko von Tschischwitz, Autor von Die Welt kippt, ist zugleich Gründer eines Ökostromanbieters und seit 25 Jahren auf dem Gebiet engagiert. Sein Roman referiert auf tatsächliche Forschungsprojekte und politische Ansätze.

Faktor Unterhaltungsindustrie

Bücher wie diese mögen ihrem Publikum oft neues Wissen liefern. Wichtiger ist vielleicht: Sie bündeln vielfältige Informationen zu etwas Übersichtlichem, machen Massenbedrohung auf Helden gemünzt mitfühlbar. In Jenny Ofills Wetter sind der Klimawandel und seine Folgen gar nur ein Nebenstrang: Das entspricht eher unserem Alltag, in den sie einsickern, während unser Fokus woanders liegt.

Wissenschafter gehen deshalb inzwischen aktiv auf die Unterhaltungsindustrie zu. Mitte Juni fand in Hollywood ein Klimagipfel von Forschern und Filmemachern statt. Denn eine Durchsicht von TV- und Filmdrehbüchern seit 2016 hat ergeben, dass Schlüsselwörter zum Klimawandel nur in drei Prozent von ihnen auftauchen. Trotzdem hat 2021 die Kometen-Satire Don’t Look Up als Parabel auf den Umgang mit der Klimakrise für Furore gesorgt. Auf Apple TV projizierte gerade Extrapolations Artensterben und Geoengineering apokalyptisch auf die uns bevorstehenden Dekaden.

Mit Jonathan Safran Foer und Jonathan Franzen (Vögel) haben zuletzt sehr populäre Autoren Bücher über die bedrohte Natur veröffentlicht. Nature-Writing kündet als Trend seit Jahren zudem vom gestiegenen Interesse an der Umwelt, allerdings unter ganz anderen, kontemplativeren Vorzeichen als Cli-Fi. Romantisierung und Ernüchterung sind zwei Pole.

Was bringt es?

Aber was bringt das alles? Der deutsche Drogeriemarkt-König Dirk Roßmann ist überhaupt nur aus Sorge um den Planeten, wie er sagt, 2020 ins Autorengeschäft eingestiegen, wo er nun ein Recherche- und Schreiberteam um sich schart. Seine Oktopus-Ökothriller verkauft er in den über 4000 Filialen und erreicht so Bestsellerabsätze und eine Zielgruppe, die sonst vielleicht nicht zum (Klima-)Buch griffe.

Untersuchungen legen nahe, dass Menschen nach Konsumation solcher Bücher und Filme kurzfristig mehr Bewusstsein entwickelten, dieses aber bald nachließ und sie letztlich wenig Neues wussten. Andererseits sprachen 2016 laut einer Yale-Studie nur wenige Amerikaner, die sich Gedanken über den Klimawandel machten, darüber mit Familie und Freunden. Bücher können ein Anstoß sein.

Klimakatastrophen haben Tradition in der Kulturgeschichte, die längste Zeit waren sie göttliche Strafen. Heute ist es eine Gratwanderung, mit Klimaliteratur Problembewusstsein zu schaffen, aber nicht zu frustrieren. Manche Autoren wollen dezidiert Mut machen. In Kim Stanley Robinsons Das Ministerium für die Zukunft (2020) versucht es die Menschheit mit Zusammenarbeit. Auch der Zoologe John Ironmonger will zur Hoffnung motivieren, dass nicht alles verloren ist. Papier mag geduldig sein. Die Uhr indes tickt. (Michael Wurmitzer, 29.6.2023)