Im Gastblog zeigt Sarah Spiekermann die politischen Folgen vom Einsatz von künstlicher Intelligenz. Dieser Beitrag ist der dritte Teil einer Reihe zum Thema "Generative AIs". Eine Einleitung in das Thema ist hier zu finden, der erste Teil zu technischen Herausforderungen hier und der zweite Teil zu den gesellschaftlichen Herausforderung durch KI hier.

Ich führe diese Mini-Serie zu den GenAIs (zum Beispiel ChatGPT) fort mit der Darstellung einiger politischer Entwicklungen, die man nicht als Kleinigkeit betrachten darf, da sie fundamental die Souveränität Österreichs im IT-Zeitalter untergraben.

KI beeinflusst uns schon lange

Bekannt ist bereits aus den KI-gesteuerten sozialen Netzwerken, dass deren "Intelligenz" so eingesetzt wird, dass sie nicht nur zugunsten der Menschen und Gesellschaften operieren, von denen sie genutzt werden, sondern vor allem zugunsten der Gewinne der großen IT-Dienstleister und der politischen Kräfte, die sie smart einzusetzen wissen. Die Dokumentation "The Social Dilemma" ruft viele ernüchterte Entwickler, Entwicklerinnen und Führungskräfte der Top-Silicon-Valley-Firmen zum Gespräch, die öffentlich erklären, wie die sogenannten "Curation AIs" von Tiktok, Instagram etc. gebaut worden sind, um uns von den sozialen Medien abhängig zu machen (zu Englisch "zu hooken").

Jugendliche am Handy
Nicht erst seit ChatGPT stellt sich die Frage, wie stark soziale Netzwerke etc. unsere Aufmerksamkeit beanspruchen.
Foto: Getty Images/iStockphoto

Kaum ein Österreicher schaut heute weniger als 100-mal am Tag auf sein Smartphone; schon gar nicht bei den Jungen. Und diese Abhängigkeit ist kein Zufall, sondern bewusste Berechnung und Manipulation seitens der Betreiber, die diese Technologien auf die mentale Abhängigkeit hin optimieren.

Wir haben viele gute Gesetze, die den Konsum von Alkohol und Drogen einschränken, aber keine, die die Abhängigkeit von IT brechen. Im Gegenteil: So etwas auch nur zu äußern trägt einem sofort den Ruf des Maschinenstürmers ein. Dabei wäre es so einfach, Menschen ihre Freiheit wiederzugeben. Die Chinesen machen es vor: drei Stunden Online-Gaming für Minderjährige pro Woche, und zwar je eine Stunde an Freitag, Samstag und Sonntag, das war's. Wie wäre es in Österreich mit zweimal E-Mails-Lesen für je eine Stunde am Tag, das war's? Und 20 Nachrichten am Tag, das war's? Einmal ChatGPT am Tag, mehr nicht? Technisch wäre das super einfach einzurichten.

 Politisch gewollte Sucht

Aber die Abhängigkeit der Bevölkerung von IT-Systemen und damit lückenlose Nachvollziehbarkeit all ihrer Aktivitäten, Aufenthaltsorte, Gewohnheiten und vor allem Kommunikation ist auch politisches Programm. Das von Edward Snowden aufgedeckte Routing von Systemabfragen in sozialen Medien über US-amerikanische Cloud Server ist politisch gewollt. Man frage sich nur, von wem genau? Das will man nicht so gerne wahrhaben, weil man sich dann eingestehen müsste, dass wir in Europa schon längst unsere politische, sicherheitstechnische und mediale Souveränität an die USA abgegeben haben.

Mit den GenAIs wird diese Machtabgabe verschärft. Nicht nur weil österreichische Bürger und Bürgerinnen plötzlich ihren Best Body in virtuellen Gegenübern finden könnten, die in US-amerikanischen Cloud-Centern emuliert werden, sondern auch weil wir in Österreich und ganz Europa systemtechnisch immer weniger souverän sein können.

Bis heute müssen wir uns damit abfinden, dass amerikanische Geheimdienste auf die Daten europäischer Bürger und Bürgerinnen nach Bedarf zugreifen können. Aber wenn es um die nächsten Generationen KI geht, dann geht es nicht nur um persönliche Daten, sondern vor allem auch um die Verfügbarkeit von entsprechend performanter Hardware in KI-spezialisierten Cloudsystemen.

Innovationskraft wird zurückfallen

Mit GenAIs werden nur solche Firmen im Wettbewerb bestehen können, die die Investitionen in diese Hardware und Talente lukrieren können, die für diese Form von fortgeschrittener Datenverarbeitung notwendig ist, und die sitzen weder in Österreich noch (zur Genüge) in Europa. Manche Analysten und Analystinnen sehen daher einem "Computing Divide" auf uns zukommen, und eine noch weiter fortschreitende Monopolisierung der Digitalökonomie bei den großen US-amerikanischen IT Konzernen.

Schlimmer noch: Universitäten in Österreich können gute Informatiker und Informatikerinnen gar nicht mehr zeitgemäß ausbilden, weil sie auf die entsprechenden Large Language Models und vor allem auf deren tiefere Betriebsebenen nicht ausreichend zugreifen können, um zu lernen beziehungsweise diese zu erforschen. KI-Innovation findet daher zunehmend nur noch im Rahmen der von den Monopolisten vorgegeben Entwicklungsumgebungen statt. Unternehmen und Universitäten müssen sich mit standardisierten Schnittstellen zufriedengeben, auf Basis derer kaum mehr wahre Innovation oder Differenzierung möglich ist. Das heißt, dass mit dem Fokus der Nachfrage auf GenAIs laufen wir auch Gefahr in vielerlei Beziehung in ein Dritte-Welt-Land der Informatik abzugleiten. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass wir in Österreich und Europa massiv in Daten, Netzwerk und Hardwaresouveränität investieren sollten. Doch sollten wir wirklich?

Die Umweltfolgen von KI werden ignoriert

Bei all diesem darf man nicht vergessen, dass insbesondere GenAIs aus umweltpolitischer Sicht mehr als fragwürdig sind. Die großen IT-Konzerne und OpenAI halten sich zwar sehr bedeckt, aber laut einer Analyse in "die Zeit" vom 30. März dieses Jahres benötigt jede Frage an ChatGPT "bis zu 1.000-mal so viel Strom wie eine Suchanfrage bei Google. Für jede Antwort, die man von dem Chatbot erhält, könnte man ein Smartphone bis zu 60-mal aufladen." Und bei diesem Stromverbrauch während des Betriebs ist noch nicht das Training des Large Language Model mitgerechnet. "Für das Training von GPT-3 kam ein Rechnerverbund bestehend aus 10.000 Grafikkarten mit insgesamt 285.000 Prozessorkernen zum Einsatz", berichtet derselbe Beitrag. Die Schätzungen, wie viel Strom diese beim Training verbraucht haben (und immer wieder neu verbrauchen wenn Modellversionen aktualisiert werden), gehen auseinander: Einige Quellen vergleichen den hier anfallenden Stromverbrauch mit dem durchschnittlichen Bedarf von 100 US-amerikanischen Haushalten, andere von bis zu 800 Haushalten (für GPT4). Und bei all dem ist ja unser eigener Stromverbrauch von Handy oder Rechner und von den Netzen, die diese Anfragen weiterleiten, auch noch nicht eingerechnet.

Die wirklichen Umweltkosten von IT und insbesondere von GenAI wollen wir, so scheint es mir, politisch gar nicht wahrhaben; weder was es bedeutet, die Rohstoffe und seltenen Erden zu fördern, und die Umweltschäden, die damit verbunden sind. Noch die Transportlogistik, die mit der Fertigung von IT einhergeht, noch den ungeheuren Stromverbrauch, dessen sowohl das Training der GenAIs bedarf, als auch deren Aktualisierung und Betrieb.

Langfristige Versorgung ist geopolitisch fragil

Was man politisch auch lieber verdrängen würde, ist, dass 90 Prozent der für GenAIs speziell notwendigen Grafikchips (GPUs) im geopolitisch derzeit fragilen Taiwan gefertigt werden und dass der steigende Bedarf nach GPUs uns für eine nicht absehbare Zeitspanne in eine politisch riskante Lieferketten-Abhängigkeit von Taiwan hineinmanövriert. Würde unsere Wirtschaft massiv auf GenAI (Transformer-Architekturen) umstellen, so bewegten wir uns technisch in ein weit weniger liefertechnisch resilientes IT-Betriebsumfeld, als wir es bisher haben. (Sarah Spiekermann, 14.7.2023)