Eine Ein-Euro-Münze wird hell beleuchtet
Der Euro soll um eine digitale Einheit erweitert werden. Noch sind dazu aber viele Fragen offen, sagt Finanzprofessor Ignazio Angeloni. Er war einst auch im Aufsichtsrat der EZB.
IMAGO/Martin Wagner

Der Startschuss für den digitalen Euro ist gefallen. Die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB) haben den rechtlichen Rahmen für das Projekt vorgelegt. Der digitale Euro soll das Bargeld dabei keinesfalls ersetzen. Er soll als Ergänzung dienen, damit auch bargeldlos (etwa im Internet) anonym gezahlt werden kann. Derzeit kann im Internet nur via Karte oder Bezahldienst – etwa Paypal – bezahlt werden. Damit liegen aber immer auch Daten des Verbrauchers bei einem Anbieter, und es wird ersichtlich, wer wann wo eingekauft hat. Das soll mit dem digitalen Euro verhindert werden. Hier finden Sie die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema

Doch gibt es überhaupt einen Bedarf an einer digitalen Alternative, und wie wirkt sich die Einführung auf das Geschäft von Banken und Zahlungsdienstleistern aus? Das wollte der Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments (Econ) wissen. Das dazugehörige Paper hat Ignazio Angeloni erstellt. Der Teilzeitprofessor am Robert-Schuman-Zentrum des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz und Senior Policy Fellow am Leibniz-Institut für Finanzforschung (Safe) der Goethe-Universität Frankfurt war zuvor Mitglied des Aufsichtsrats der EZB und Leiter der Abteilung Finanzstabilität und makroprudenzielle Politik der EZB. Angelonis Paper datiert vom April und heißt "Digital Euro: When in doubt, abstain (but be prepared)", zu Deutsch: "Digitaler Euro: Im Zweifelsfall Abstand nehmen (aber seien Sie vorbereitet)", und liegt dem STANDARD vor.

Völlig neue Situation

Dass die EZB den digitalen Euro einführen und ausgeben wird, führt laut Angeloni zu einer völlig neuen Situation für die Zentralbank. Sie bietet damit einer großen Zahl von Privatkunden ein neues Produkt und neue Dienstleistungen an und begibt sich in den Wettbewerb mit Banken und Zahlungsdienstleistern. Denn die Dienstleistungen, die Zentralbanken bisher erbringen und mit denen sie Erfahrung haben, werden entweder Privatpersonen auf monopolistischer Basis angeboten (Banknoten) oder sind bestimmten Intermediären vorbehalten (Clearing- und Abwicklungsdienste für Banken). Die erste Gefahr, die Angeloni sieht, ist, dass ein digitaler Euro am Markt auch abgelehnt werden könnte. Die EZB wäre hierbei durch ihre Macht als Monopolistin nicht geschützt. Gelingt es nicht, den digitalen Euro erfolgreich zu platzieren, hätte dies negative Auswirkungen auf den Ruf der EZB und die Kosten.

Einzelhändler seien es gewohnt, laufend neue Produkte einzuführen. Sie erheben den Bedarf oft im Vorfeld durch Marktanalysen. Diesen Eindruck vermittle die EZB nicht, hält Angeloni fest. Basierend auf den beiden vorliegenden Fortschrittsberichten ergebe sich der Eindruck, dass die Marktargumente für einen digitalen Euro nicht gründlich untersucht wurden. Verständlicherweise habe sich die EZB auf Aspekte im Zusammenhang mit ihrer Zentralbankfunktion konzentriert, beispielsweise darauf, wie das neue Produkt mit der Durchführung der Geldpolitik und der Finanzstabilität interagieren könnte.

Offene Fragen

Doch eine Anwendungsfallanalyse sollte versuchen zu klären, ob sich ein digitaler Euro im heute hochentwickelten Zahlungsökosystem überhaupt etablieren könnte und wie hoch der erwartete Kundenstamm ist. Wodurch genau wäre ein digitaler Euro attraktiver im Vergleich zu etablierten Produkten wie Karten, Smartphone-Apps und Online-Plattformen und warum? Würde der Großteil der Substitution gegen Bargeld, Bankeinlagen oder andere Vermögenswerte erfolgen? Und: Ist das aktuelle digitale Zahlungsökosystem gesättigt, oder lässt es Raum für weiteres Wachstum und die Einführung neuer Produkte? All diese Fragen seien durch die Marktbeobachtungen der EZB nicht geklärt worden. Angeloni rät daher zu einer umfassenden Erhebung über Marktchancen und Potenziale des digitalen Euro. 

Neue Konkurrenz

Aktuell ist das Zusammenspiel zwischen Banken und EZB klar geregelt – beide Sektoren sind über die Erbringung von Dienstleistungen und Regulierung miteinander verbunden. Die Zentralbank bietet Finanzierungen an, einschließlich Krediten als letztem Mittel, und reguliert und überwacht im Gegenzug die Banken. Diese Beziehung könnte sich mit der Einführung des digitalen Euro ändern. Denn, so ist der aktuelle Wissensstand, die EZB möchte die Front-End-Funktionen des digitalen Euro an private Institutionen auslagern – das wären wohl hauptsächlich die Kreditinstitute und in einem kleineren Umfang andere Zahlungsanbieter. Diese Vermittler hätten direkten Kontakt mit den einzelnen Kontoinhabern, würden ihre Konten eröffnen, die Zahlungsinstrumente verwalten, Transaktionen initiieren und validieren und gegebenenfalls ungültige Transaktionen rückgängig machen. Die EZB würde hinter den Kulissen agieren, zentralisierte Konten verwalten und bei der Abwicklung mit Geschäftsbanken zusammenarbeiten. 

Das Gebäude der Europäischen Zentralbank, aufgenommen bei blauem Himmel.
Die EZB bekommt mit dem digitalen Euro eine neue Rolle. Auch das Zusammenspiel mit den Banken wird mit dem neuen Zahlungsmittel verändert.
IMAGO/Political-Moments

In diesem Umfeld würden die Banken also im Auftrag der Zentralbank ein breites Spektrum operativer Aufgaben übernehmen – das kann auch Kosten verursachen. Durch die Aufgabe der Banken als Front-End-Administratoren des digitalen Euro würde zwischen den Banken und der Zentralbank ein Wettbewerb um Einlagen generiert. Banken würden in der neuen Situation mit der EZB konkurrieren (der digitale Euro ist eine Alternative zu einer Bankeinlage) und auch mit ihr kooperieren (da sie alle Front-End-Funktionen für den digitalen Euro übernehmen würden). Dies schafft laut Angeloni die Grundlage für neue Kosten – Banken könnten für die erbrachten Dienstleistungen Vergütungen fordern. 

Welche Obergrenze?

Ein entscheidender Faktor wird laut Angeloni die Gestaltung einer Obergrenze sein – also der Festlegung, wie viel pro Monat oder pro Transaktion mit dem digitalen Euro beglichen werden kann. Dazu haben EZB und EU-Kommission bei ihren bisherigen Ankündigungen noch keine klaren Angaben gemacht. Erwartet wird, dass es eine Obergrenze geben wird. Werte zwischen 500 und 3.000 Euro schwirren als Gerüchte herum. 

Eine Obergrenze würde laut dem Finanzexperten sicherstellen, dass der Gesamteffekt des digitalen Euro ein im Voraus bekanntes Niveau nicht überschreitet und somit die maximalen Auswirkungen auf den Finanzsektor begrenzen wären. Die Auswirkungen würden unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob Einzelpersonen und Unternehmen hauptsächlich Papiergeld oder Bankeinlagen durch den digitalen Euro ersetzen würden. Wenn die Substitution (hauptsächlich) durch Bargeld erfolgt, wäre es ein Ersatz in der Form von Zentralbankgeld mit minimalen oder gar keinen Auswirkungen auf das Finanzsystem. Dies gilt für Angeloni jedoch als unwahrscheinlich.

Einfluss auf das Finanzsystem

Die bisher vorliegenden Informationen würden nämlich darauf hindeuten, dass die Euroraum-Bürger ihre Bargeldbestände behalten möchten – viele befürchten, dass ein digitaler Euro ein verdeckter Weg zur Bargeldabschaffung sein könnte. Wahrscheinlicher sei daher, dass die Substitution hauptsächlich durch Bankeinlagen erfolgen wird. Die eigentliche Unbekannte ist das Ausmaß einer solchen Umschichtung. Wenn die EZB die Obergrenze bei 3.000 Euro festlegt, läge die maximale Menge an digitalen Euros unter Berücksichtigung einer Einlage für jede Einzelperson (Bevölkerung in der Eurozone über 15 Jahre) und für jedes Unternehmen bei knapp unter einer Billion Euro, also etwa zehn Prozent der gesamten täglich fälligen Bankeinlagen bei Banken im Euroraum.

Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass jeder Bürger gleich das Maximum an Geld in den digitalen Euro tauschen würde, könnten Finanzbewegungen dieser Art ausreichen, um einzelnen Banken, insbesondere den schwächsten, Probleme zu bereiten.

Christine Lagarde, Chefin der Europäischen Zentralbank. Sie steht hinter einem Podium und beantwortet Fragen während einer Pressekonferenz.
Sie muss zum digitalen Euro wohl noch viele Fragen beantworten: EZB-Chefin Christine Lagarde.
IMAGO/Hannelore Förster

Offen sind auch noch Fragen zum Datenschutz. Der digitale Euro soll ja Anonymität bei Zahlungen sichern. Auch im Fall einer Bankenkrise ist noch nicht klar, wie ein digitaler Euro die Situation verändern würde. EZB-Experte Angeloni geht davon aus, dass das Vorhandensein eines digitalen Euro bei Bankenkrise einen Bank-Run beschleunigen würde, da es mit der digitalen Einheit einen einfachen Zugang zu einer risikolosen Alternative zu Bankeinlagen gäbe. In so einem Fall könnte eine Obergrenze zur Herausforderung werden. Dieses Risiko werde, so Angeloni, durch die Unvollständigkeit der Bankenunion noch verstärkt – insbesondere durch das Fehlen einer europaweiten Einlagensicherung. Zusammenfassend hält der Experte fest: Derzeit sind die Risiken und Unwägbarkeiten des digitalen Euro stärker als die Argumente, die dafür sprechen. (Bettina Pfluger, 5.7.2023)