Wenn es nach den Offiziellen im US-Bundesstaat und Gouverneur Greg Gianforte geht, dann wird sich das umstrittene Netzwerk Tiktok mit 1. Jänner 2024 gänzlich aus dem Bundesstaat verabschieden müssen. Der republikanische Landeschef, dessen Partei sowohl das regionale Repräsentantenhaus und den Senat mit einer Mehrheit von mehr als zwei Dritteln dominiert, hat im Mai ein entsprechendes Gesetz unterzeichnet. Er wirft den Betreibern von Tiktok vor, sensible Daten von Nutzern zu sammeln und an die chinesische Regierung zu übermitteln.

Auf nationaler Eben war zuvor schon die Verwendung von Tiktok auf Bundesebene untersagt worden. In Montana soll mit dem Verbot die Plattform aber auch für private Nutzer nicht mehr verwendbar sein. Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen. Wie von vielen erwartet, wird das Gesetz vor Gericht beeinsprucht. Unter anderem von fünf Creators, die sich eine Existenz auf der Plattform aufgebaut haben. Öffentlich wirkte deren Vorgehen so, als käme es aus einer Graswurzelbewegung. Nun wurde allerdings bekannt, dass Tiktok selbst finanziell involviert ist, so die "New York Times".

Tiktok zahlt Anwälte

Mehr als einen Monat lang war die Plattform Fragen in diese Richtung ausgewichen, ehe zwei der Klagsführer der "Times" über die finanzielle Beteiligung der Plattform berichteten. "Viele Creator haben uns gegenüber und öffentlich große Sorgen bezüglich der Auswirkungen des Gesetzes auf ihr Einkommen geäußert", so eine Sprecherin. "Wir unterstützen unsere Creators darin, für ihre verfassungsmäßigen Rechte zu kämpfen."

Tiktok setzt sich gegen das drohende Verbot zur Wehr – auch mit einer eigenen Klage.
AP

Die Kläger sollen allerdings nicht direkt Geld von Tiktok erhalten. Die Plattform übernimmt jedoch die Kosten für Gericht und anwaltliche Vertretung. Es ist auch nicht das erste Mal, dass das Unternehmen so vorgeht. Als Donald Trump per präsidialen Erlass 2020 den Betrieb von Tiktok in den USA untersagte, gingen ebenfalls Nutzer dagegen vor Gericht, für deren Aufwände man geradestand. Die Klage war schließlich erfolgreich damit, das Betriebsverbot abzuwehren.

Rechtlich ist Tiktok nicht verpflichtet, seinen finanziellen Support transparent zu machen. Die Geldmittel werfen freilich die Frage auf, ob die Creator ohnehin von sich aus vor Gericht gezogen wären oder nun praktisch als Proxy der Plattform fungieren, die auch in einer eigenen, separaten Klage gegen das drohende Verbot in Montana vorgeht.

Tiktok rekrutierte offenbar (zusätzliche) Kläger

Aussagen von zwei Klagenden lassen auf letztere Variante schließen. Heather DiRocco, eine 36-Jährige mit über 200.000 Followern, schilderte etwa, dass sie von Tiktok-Anwälten kontaktiert worden war. Diese erkundigten sich, ob sie bereit sei, als Klägerin gegen das neue Gesetz in Montana aufzutreten, ohne ein finanzielles Risiko einzugehen. Sie hatte zuvor schon mit Videos mehrfach Kritik am geplanten Verbot geäußert.

Heather DiRocco spricht sich auch immer wieder öffentlich gegen das Verbot aus.

Allerdings sagen die anderen drei Kläger, dass sie selbst vor Gericht gezogen seien und Tiktok erst eine Woche später seine Unterstützung zugesagt hatte. Nicht für jeden der fünf ist die Plattform eine relevante Einnahmequelle. Die Studentin Alice Held verdient nach eigenen Angaben pro Monat nicht mehr als 15 Dollar, obwohl ihr 217.000 Accounts folgen.

Gute Chancen

Stephen Gillers, Professor für Rechtsethik an der New York School of Law, sieht in dem Vorgehen einen strategisch klugen Zug von Tiktok. Für die Öffentlichkeitsarbeit dürfte es vorteilhaft sein, wenn die klagenden Nutzer als unabhängig wahrgenommen und als "kleine Leute" gesehen werden, die geschädigt werden, und nicht als "Botschafter" der Firma. Dass Tiktok als Unternehmen eine eigene Klage eingebracht hat, sei ebenfalls sinnvoll, da die Creator möglicherweise die rechtlich stärkeren Argumente für ihren Einspruch vorbringen können.

Davis Wright Tremaine, das Anwaltsbüro, das die Creator vertritt, betont, dass es für die rechtliche Bewertung des Falls irrelevant ist, wer letzten Endes die Rechnung seiner Juristen begleicht. Das Creator-Quintett beruft sich auf den ersten Zusatz der US-Verfassung. Im First Amendment ist die Presse- und Meinungsfreiheit festgeschrieben. Diese sehen sie mit einem Totalverbot des Netzwerks in Montana als verletzt an.

Jameel Jaffer, Leiter des First Amendment Institute der Columbia University, sieht gute Chancen für die Kläger. Weil Tiktok eine US-Firma sei, genieße sie ebenfalls Schutz durch den ersten Verfassungszusatz. Das werde allerdings immer wieder infrage gestellt und die Verbindungen nach China über die Mutterfirme Bytedance in der öffentlichen Rhetorik von Regierung und Gesetzgebung von Montana betont.

Daher sieht er es als schlau an, dass die Argumentation in der Klagsschrift sich vorwiegend auf die Rechte der Tiktok-Nutzer bezieht, insbesondere jener aus den USA. Das halte er für einen "wirklich wichtigen Punkt". Er rechnet damit, dass das drohende Verbot letztlich zu Fall gebracht wird. (gpi, 29.6.2023)