Eine künstlerische Darstellung von Gravitationswellen eines supermassiven Schwarzen Lochs.
Aurore Simonnet for the NANOGrav Collaboration

Wer eine Tonaufnahme langsamer und langsamer abspielt, kann beobachten, dass sie sich immer mehr dehnt und die Tonlage immer tiefer wird, bis sie irgendwann nicht mehr zu hören ist.

Wissenschaftliche Instrumente haben ein ähnliches Problem. Die Gravitationswellendetektoren Ligo und Virgo, die bisher als einzige in der Lage sind, die von Einstein vorhergesagten Wellen zu detektieren, sind für einen ganz bestimmten Frequenzbereich optimiert (der zufällig auch für Menschen hörbar ist). In dieser Frequenz sind sie so sensibel, dass sie winzigste Bewegungen registrieren können – genug, um die Signale kollidierender Neutronensterne und Schwarzer Löcher aufzufangen. 2016 war das eine Sensation, die inzwischen mit Nobelpreisen gewürdigt wurde und inzwischen völlig neue Einblicke in kosmische Phänomene ermöglichte.

Doch auf anderen Frequenzen sind diese Detektoren taub. Besonders Gravitationswellen mit niedrigeren Frequenzen (und großen Wellenlängen, beides ist in diesem Fall gleichbedeutend) wären für die Astronomie interessant, doch dafür bedarf es anderer Messgeräte wie des futuristischen Experiments Lisa, eines Netzwerk aus Satelliten, zwischen denen Laserstrahlen ausgetauscht werden, dessen Realisierung aber noch in den Sternen steht.

Sternenüberreste als Detektoren

Es gibt allerdings noch eine andere Möglichkeit. Nachdem durch den direkten Nachweis von Gravitationswellen durch Ligo und Virgo inzwischen etabliert ist, dass Gravitationswellen tatsächlich existieren, rücken indirekte Nachweismethoden wieder stärker in den Fokus. Gravitationswellen können bei großen kosmischen Objekten charakteristische Spuren hinterlassen, die der Wissenschaft Rückschlüsse auf ihre Natur und Intensität ermöglichen.

Eine Illustration der an der Beobachtung beteiligten Teleskope auf der Erde und in ihrer Umlaufbahn.
Olena Shmahalo

Von einem solchen Hinweis berichtet nun die Forschungskollaboration Nanograv in einer Reihe von Studien im Fachjournal "The Astrophysical Journal Letters". Dazu verwandelte man ein Netzwerk ausgebrannter Sterne in einen riesigen Gravitationswellendetektor.

Die Rede ist von Pulsaren. Das sind Neutronensterne mit starkem Magnetfeld, die äußerst schnell rotieren. Durch ihre extreme Rotation, bis zu tausend Mal pro Sekunde um ihre eigene Achse, senden sie sehr regelmäßige Signale aus. Ihre Genauigkeit ist mit jener von ihre Atomuhren vergleichbar. Die Kollaboration Nanograv ist eine von fünf internationalen Arbeitsgruppen, die die Zeitsignale von Pulsaren beobachtet und Daten von Radioteleskopen in aller Welt verwendet. Diese Genauigkeit erlaubt es, winzige Verzögerungen zu messen, wie sie Gravitationswellen durch Verzerrungen der Raumzeit auslösen.

Ein Nasa-Video erklärt Pulsare.
NASA Goddard

"Kosmische Uhren" bringen Hinweis

Diese Gravitationswellen führen dazu, dass der Raum sich extrem langsam zusammenzieht und ausdehnt. Dafür brauchte es lange Beobachtungszeiträume. Dazu nutzte das Team Daten von 67 Pulsaren in Entfernungen von bis zu 20.000 Lichtjahren, die über einen Zeitraum von 15 Jahren von den Teleskopen Arecibo Observatory in Puerto Rico, dem Green Bank Telescope in West Virginia und dem Very Large Array in New Mexico gesammelt wurden. Es zeigte sich, dass ihre Signale manchmal minimal zu früh oder zu spät auf der Erde einlangten. Der Effekt werde, so heißt es in der Publikation, von extrem langwelligen Gravitationswellen verursacht. Die Abweichungen sind astronomisch klein, vergleichbar mit einem Tausendstel Millimeter im Vergleich zu der Distanz zwischen Erde und Mond.

Diese Gravitationswellen entstehen auf sehr ähnliche Weise wie jene, die von Ligo und Virgo beobachtet werden. Auch hier umkreisen einander Schwarze Löcher sehr eng. Doch die Dimensionen sind hier völlig andere, es handelt sich um supermassive Schwarze Löcher, die kurz vor der Kollision stehen. Die Schwingungsdauer kann dabei Jahrzehnte betragen. Viele dieser Signale haben sich über lange Zeiträume zu einer Art kosmischem Hintergrund-Summton überlagert, vergleichbar mit der bekannten kosmischen Hintergrundstrahlung, die aus Mikrowellenstrahlung besteht.

Der nun gemessene Effekt mag winzig sein, ist aber größer, als das erwartet worden war. Dafür gibt es mehrere mögliche Erklärungen. Es könnte bedeuten, dass es mehr und größere supermassive Schwarze Löcher gibt, als angenommen. Das könnte eine erst jüngst vom James-Webb-Weltraumteleskop gemachte Beobachtung untermauern, dass Galaxien im frühen Universum schneller wuchsen, als das bislang angenommen wurde.

"Dies ist ein Schlüsselnachweis für Gravitationswellen bei sehr niedrigen Frequenzen", sagt Stephen Taylor von der US-amerikanischen Vanderbilt University, einer der Leiter der Studie, der derzeit den Vorsitz der Kollaboration innehat. "Nach jahrelanger Arbeit öffnet Nanograv ein völlig neues Fenster zum Gravitationswellen-Universum."

Starker Hinweis, aber keine "Entdeckung"

Von einer "Entdeckung" sprechen Beteiligte bewusst noch nicht. Man vermeide das "D"-Wort, eine Anspielung auf das englische Wort "Discovery". Bei derart großen naturwissenschaftlichen Umwälzungen ist eigentlich eine geringe Fehlerwahrscheinlichkeit von etwa eins zu drei Millionen (5 Sigma, wie es im Fachjargon heißt) Standard. Derzeit beträgt die Verlässlichkeit aber nur etwas mehr als 99 Prozent.

Sollte sich die Entdeckung aber bestätigen lassen, könnte das eine Tür zu einer Zeit in der Frühgeschichte des Universums öffnen, zu der die Wissenschaft bisher kaum Zugang hatte. Bevor das Universum für Licht durchsichtig wurde, gab es eine Phase, in der es von trübem Gas erfüllt war. Herkömmliche Teleskope können diese Nebelwand nicht durchdringen. Die Hoffnung liegt in sogenannten primordialen Gravitationswellen, die vor dieser Phase entstanden und Information darüber enthalten könnten. Sie könnten, so die Hoffnung, auch Aufschluss über die sogenannte Inflationsphase geben, in der sich das Universum extrem schnell ausgedehnt hat. Diese Gravitationswellen würden zu dem nun gemessenen Effekt beitragen.

Doch auch bestimmte Modelle zu Dunkler Energie prognostizieren langwellige Gravitationswellen, die Teil des nun gemessenen Signals sein könnten. Dunkle Energie verursacht jene mysteriöse Kraft, die für eine immer schnellere Ausdehnung des Universums sorgt.

Lisa Pathfinder war eine 2017 abgeschlossene Vorbereitungsmission für das ambitionierte Lisa-Experiment.
European Space Agency, ESA

Klarheit womöglich in zwei Jahren

Um mehr zu erfahren, braucht es Beobachtungen von Pulsaren. Hier könnte eine Zusammenarbeit der fünf Kollaborationen helfen, die sich mit der Überwachung von Pulsaren beschäftigen. Die Astrophysikerin Priyamvada Natarajan von der Universität Yale vermutet gegenüber dem Wissenschaftsjournal "Science", dass so die Menge der Pulsare auf hundert erhöht und so auch die 5-Sigma-Schranke erreicht werden könnte. Sie vermutet, dass die Zeit in ein, zwei Jahren reif sein könnte, um tatsächlich von einer Entdeckung zu sprechen. Auf diese Weise wäre es vielleicht sogar möglich, einzelne Gravitationswellensignale von bestimmten Paaren supermassiver Schwarzer Löcher zu identifizieren.

Wenn das eingangs erwähnte, von der europäischen Weltraumagentur Esa geplante Lisa-Experiment dann irgendwann noch die Beobachtungslücke zwischen hochfrequenten und den nun gemessenen extrem niedrigfrequenten Gravitationswellen schließt, könnte ein goldenes Zeitalter für die Gravitationswellenastronomie anbrechen und wir endlich genauer erfahren, was unmittelbar nach dem Urknall passierte. (Reinhard Kleindl, 30.6.2023)