Geht es um gendergerechte Sprache gehen bis heute die Emotionen hoch.
Wird gegendert, ändern sich alles – zum Schlechten, sind sich Rechte einig.
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Geschlechtergerechte Sprache ist für die FPÖ Niederösterreich ein wichtiges Thema – zumindest, wenn es darum geht, sie zu vermeiden. Noch im Laufe des Sommers will die niederösterreichische Landesregierung Binnen-I, Genderstern und Doppelpunkt per Erlass aus offiziellen Dokumenten verbannen. Der "Wahnsinn des Genderns" müsse beendet werden, sagte ein FPÖ-Sprecher dem STANDARD.

Ähnlich enthusiastisch widmet sich die deutsche Schwesternpartei AfD dem "Gendern". In einer Bundestagsrede attestierte Linken-Abgeordnete Heidi Reichinnek der AfD kürzlich "Genderwahn". In den vergangenen zwei Jahren hat die AfD immerhin als einzige Fraktion Anträge zum Thema Gendern eingebracht, so Reichinnek – sechs an der Zahl.

Die AfD führt eine Scheindebatte über einen angeblichen Genderzwang
Heidi Reichinnek witzelte über den Genderzwang der AfD.
Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

"Geschlechtersensible Sprache wird in rechtskonservativen bis rechtsextremen Kreisen geradezu wahnhaft verhandelt", sagt Judith Rahner, die bei der deutschen Amadeu-Antonio-Stiftung für Rechtsextremismusprävention zuständig ist. Selten gehe es Rechten dabei tatsächlich um die Sprache: "Gender ist mittlerweile ein Kofferwort, das von ihnen gezielt politisch instrumentalisiert wird." So wettern AfD-Politiker:innen gegen den Genderstern ebenso wie gegen Gender-Mainstreaming – und landen schließlich bei vermeintlichen Umerziehungsprogrammen und einer "Frühsexualisierung" von Kindern.

Eine Strategie, auf die auch die FPÖ setzt. In einer Aussendung des freiheitlichen Parlamentsclubs gratulierte Rosa Ecker jüngst Udo Landbauer zum "Aus für Binnen-I und Co" in Niederösterreich und schlug eine Brücke zu Dragqueen-Lesungen. "Auf der Seite der Österreicher werden wir uns gemeinsam erfolgreich gegen den Gender-LGBTQI-Kult zur Wehr setzen", wird die freiheitliche Familien- und Frauensprecherin zitiert.

Anschlussfähige Polemik

Geschlechtergerechte Sprache treibt aber nicht nur das rechte Spektrum um, auch unter Konservativen sind Seitenhiebe gegen das Gendern fester Bestandteil des Repertoires.

In seiner Grundsatzrede im März kam Karl Nehammer nicht ohne eine Absage an das "richtige Gendern" aus – seine bildungspolitischen Prioritäten lägen anderswo, formulierte es der Kanzler. Auch in Berlin kündigte CDU-Bürgermeister Kai Wegner an, die Stadtverwaltung werde künftig auf gendersensible Sprache verzichten – der Verständlichkeit wegen.

"Mit geschlechtergerechter Sprache lassen sich Emotionen wecken", sagt Judith Rahner. Das Thema sei somit breit anschlussfähig. Ein Geschlecht habe schließlich jede Person, "alle können da irgendwie mitmischen". Dass eine neue "woke" Kultur rechten Parteien geradezu Wähler:innen in die Arme treiben würden, hält Rahner hingegen für "Unsinn". "Menschen, die eine in Teilen rechtsextreme Partei wählen, tun das, weil sie von den Ideologien überzeugt sind. In Deutschland sehen wir, dass das Thema Migration für AfD-Wähler:innen ganz klar entscheidend ist."

Intensive Diskussionen um geschlechtergerechte Sprache sieht Ricarda Drüeke, Kommunikationswissenschafterin an der Universität Salzburg, durchaus positiv. "Es zeigt, dass es Redebedarf gibt. Und auch das Sprechen über Sprache kann das Bewusstsein für Ungleichheiten schärfen", sagt Drüeke. Besonders viel Aufmerksamkeit würden jedoch jene Stimmen erhalten, die geschlechtergerechte Sprache vehement ablehnen, medial würde die Debatte entsprechend verkürzt transportiert. "Und dann heißt es: Du darfst heute dieses und jenes nicht mehr sagen", so Drüeke.

Vor einem Zwang zu geschlechtergerechter Sprache fürchten sich offenbar auch die Initiator:innen des Anti-Gender-Volksbegehrens, das in Österreich von 154.102 Personen unterschrieben wurde. "Gendern darf nicht verpflichtend sein. Natürliche oder juristische Personen, die nicht gendern, dürfen keine Nachteile erfahren", ist in der Begründung zu lesen.

Generisches Maskulinum: Nicht mitgemeint

Abwehrreaktionen kennt auch Sprachwissenschafterin Karoline Irschara allzu gut. Geschlechtergerechte Sprache übe schließlich Machtkritik an einer männlichen Sprache – und eröffne so neue gesellschaftliche Perspektiven. Dass das generische Maskulinum keineswegs alle miteinschließt, würden inzwischen zahlreiche Studien aus der Psycholinguistik belegen, so Irschara. Wenn beispielsweise Kinder in Experimenten dazu aufgefordert wurden, Sänger zu zeichnen, brachten sie durchwegs Männer aufs Papier. Erst bei der zusätzlichen Nennung von Sängerinnen zeichneten sie auch Frauen.

Irschara selbst verwendet in ihren Texten unterschiedliche Formen, um sowohl den Genannten als auch den Adressierten gerecht zu werden. Ob der Genderstern auch dazu führt, dass wir uns nichtbinäre Personen vorstellen, sei bislang noch nicht erforscht. "Aber ich verwende ihn, um aktiv ein Symbol zu setzen", sagt die Wissenschafterin. Wurden in Studien hingegen nur Männer und Frauen erhoben, greift die Lehrbeauftragte an der Universität Innsbruck auf das Binnen-I zurück.

Dass es manche Menschen überfordert, sich mit den unterschiedlichen Formen auseinanderzusetzen, kann Irschara durchaus nachvollziehen. Mit etwas Übung könnten jedoch auch eingefahrene Sprachgewohnheiten durchbrochen werden. "Geschlechtergerechte Sprache macht letztendlich Texte präziser. Das generische Maskulinum hingegen blendet mehr als die Hälfte der Menschheit einfach aus."

ORF: Aus für den Glottisschlag

Auch Medienhäuser ringen mit Regelungen zu geschlechtergerechter Sprache. Der ORF verordnete sich vor kurzem neue Richtlinien, der Glottisschlag, also die kurze Sprechpause vor der weiblichen Endung, soll von Journalist:innen nun nicht mehr verwendet werden.
Eine Entscheidung, die "ZiB 1"-Moderatorin Nadja Bernhard begrüßt, wie sie dem STANDARD mitteilte. So hätte sie ausschließlich negative Reaktionen aus dem Publikum erhalten.

Kommunikationswissenschafterin Ricarda Drüeke ortet in Redaktionen zunehmend ein Bemühen, geschlechtergerechte Sprache zu verwenden. "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat sicher eine besondere Verantwortung", sagt Drüeke. Das bedeute auch, dem Druck jener Stimmen standzuhalten, die jede Form der geschlechtergerechten Sprache als "Verhunzung" oder als Angriff auf ihr Wertesystem deuten.

Auch immer mehr Unternehmen und Organisationen setzen in ihrer Kommunikation auf geschlechtergerechte Sprache. Die Wiener Volkshochschulen etwa haben sich klare Richtlinien verordnet, erzählt Claudia Lo Hufnagl, zuständig für Gender und Diversity, im STANDARD-Gespräch. Geschlechtervielfalt werde dem Leitbild entsprechend in allen Texten berücksichtigt. "Das generische Maskulinum ist also keine Option", sagt Hufnagl. Wenn Personen direkt angesprochen werden, soll der Asterisk, also das Sternchen, verwendet werden. Spielt das Geschlecht keine Rolle, kommen neutralisierende Formen zum Einsatz – zum Beispiel bei Teilnahmelisten. Durchschnittlich 125.000 Kursteilnahmen zählen die Wiener Volkshochschulen pro Jahr, Beschwerden wegen der geschlechtersensiblen Sprache sind Hufnagl keine bekannt. "In internen Weiterbildungen gibt es immer wieder Diskussionen, auch über die unterschiedlichen Formen. Dafür soll es auch Raum geben." Hufnagl sieht es als ihre Aufgabe, Kolleg:innen Mut zu machen, neue Formen auszuprobieren. "Dass die Organisation eine klare Haltung hat, entlastet durchaus im beruflichen Alltag", sagt Hufnagl.

Auch an den Universitäten sieht Kommunikationswissenschafterin Drüeke geschlechtergerechte Sprache endgültig angekommen. "Vor zehn Jahren war die Diskussion, ob die männliche Form nicht doch alle miteinschließt, viel stärker." Besonders jungen Studierenden sei gendersensible Sprache zunehmend wichtig – dazu gehöre auch, nichtbinäre Personen sichtbar zu machen. "Da gibt es eine neue Generation, die schon mit geschlechtergerechter Sprache sozialisiert wurde", sagt Drüeke.

Der rechte Kulturkampf könnte also ein Ablaufdatum haben. (Brigitte Theißl, 30.6.2023)