Thea Ehre Transgender Film
Thea Ehre wurde in Berlin geehrt: Es gelingt ihr wie nie zuvor im deutschen Kino, Transidentität nicht als Stereotyp darzustellen.
Lieske Hochzeitsfotografie

Wohlklingend wie der Titel Bis ans Ende der Nacht sind auch die deutschen Schlager, die in einen in Christoph Hochhäuslers jüngstem Film sanft umgarnen. Nach fast zehnjähriger Pause hat der Neue-Berliner-Schule-Regisseur sich musikalisch Verstärkung aus den 1960ern geholt: Esther Ofarim, Klaus Löwitsch oder Heidi Brühl. Brühls Eine Liebe so wie du umspült auch den Filmbeginn. In Zeitlupe wird man Zeuge davon, wie sich eine karge Wohnung mit Leben füllt. Dann kommt Leni (Thea Ehre) nach Hause, das Licht geht an, eine Überraschungsfeier ist im Gange – organisiert von Lenis neuem Freund Robert, den ihre alten Bekannten kritisch beäugen.

Ein Cop, eine Transfrau, ein Drogenbaron

Robert (Timocin Ziegler) gehört zu der Art von Kerl in Jeans und Lederjacke, die man aus Fatih-Akin-Filmen oder TV-Krimis kennt. Verlebt, unberechenbar, unfähig, Emotionen angemessen zu zeigen. Er ist außerdem verdeckter Ermittler und Leni eine Gefängnisinsassin, die nur draußen ist, um den Kontakt zum Onlinedrogenhändler Viktor Arth (Michael Sideris) herzustellen.

Leni kennt Viktor aus ihrem früheren Leben als schwuler Mann, Tontechniker und Drogenverticker. Aus diesem Leben kennt Leni auch Robert, damals waren beide ein Paar. Dass Leni nun als Frau lebt, geht Robert gegen den Strich – auch dass da noch ein Funken Liebe zwischen ihnen ist. Das Leben als Fake-Paar macht es nicht leichter, als verdeckte Ermittler müssen sie ein Team und vor dem misstrauischen Viktor ständig auf der Hut sein.

GRANDFILM

Paartanz und Geschlechterrollen

Kontakt wird über einen Paartanzkurs hergestellt. Im Paartanz geht es nicht zufällig um Geschlechterrollen, um Bewegung und darum, wie man sich gegenseitig berührt und führt. Ebendas haben Leni und Robert neu zu lernen. Auch der Drogenbaron hat Eheprobleme, die er mit Cha-Cha-Cha zu kitten versucht – und der Funke zwischen den beiden aus dem spießigen Rahmen fallenden Paaren springt schnell über.

Hochhäusler, der bis 2021 Filmdozent an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin war, ist ein Filmnarr. Das merkt man Bis ansEnde der Nacht an, wenn er TV-Krimi-Atmosphären mit einer Idee vom BRD-Kino und der Liebe zu New-Hollywood-Thrillern verschwimmen lässt. Und auch wenn man sich bruchstückartig an einen Tatort erinnert fühlt, werten die Darstellerinnen (neben Ehre etwa Polizeichefin Rosa Enskat), das ebenso geradlinige wie verrätselte Drehbuch und vor allem die immer bewegte Kamera den Film auf. Auch die Lichtsetzung ist Kino pur.

Die Kamera schwebt, Leni trägt Fußfessel

Wo die Kamera schwenkt und gleitet, ist Leni in ihrer Bewegungsfreiheit von einer Fußfessel eingeschränkt. Das Bemerkenswerte an Hochhäuslers Film, dessen Drehbuch mit Transberatung entstand, ist, dass Lenis Rolle kein Resultat simpler Repräsentation ist. Ihre nicht lange zurückliegende Transition wird thematisiert und von Robert sogar vulgär angefochten. Bis zum Schluss sieht er Lenis Weiblichkeit mehr als versponnene Verkleidung denn als Lebensentscheidung.

Gleichzeitig wird Leni nicht auf ihr Transsein reduziert. Der Österreicherin Thea Ehre gelingt es wie nie zuvor im deutschen Kino, Transidentität nicht als Stereotyp darzustellen. Dafür gewann Ehre auf der Berlinale den Preis als beste Nebendarstellerin. Lenis Leben, so der Eindruck, ist eine Momentaufnahme, die Zukunft steht ihr offen.

Dass Robert nicht der Typ für Happy Ends ist, erkennt man schnell. Und wenn Leni schließlich in die Kamera sagt: "Ich schon", dann erinnert das an eine moderne Version von Godards Außer Atem – einem Film, in dem auch die Frau besser wusste, was sie vom Leben wollte. (Valerie Dirk, 29.6.2023)