Nach mehr als fünf Jahren kommen aus dem Arbeitsministerium wieder langfristige Zielvorgaben für das AMS. Ein Überblick zu den Änderungen.

Frage: Welche Bedeutung haben diese Ziele? Ändert sich dadurch etwas für AMS-Kunden?

Antwort: Gesetzlich ist vorgeschrieben, dass der Arbeitsminister dem AMS zur Durchführung seiner Aufgaben Zielvorgaben gibt. Die bisher jüngsten dieser Vorgaben stammen von 2018 und wurden von Ex-Ministerin Beate Hartinger-Klein erlassen. Dazu muss man wissen, dass das zentrale Steuerungsgremium beim AMS der sogenannte Verwaltungsrat ist: In diesem sitzen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Regierungsvertreter. Dieses legt jedes Jahr auf Vorschlag des AMS-Vorstands die konkreten Zielvorgaben fürs Arbeitsmarktservice fest, also konkrete Zahlen dazu, welche Beratungs- und Qualifizierungsmaßnahmen forciert werden sollen. Diese Ziele werden dann auf jeden AMS-Standort und letztlich jeden Berater, jede Beraterin runtergebrochen. Darüber gestreut als allgemeinere Schwerpunktsetzung gibt es die Zielvorgaben aus dem Ministerium, die meist weniger konkret sind, also zunächst weniger direkte Auswirkungen haben. Vorstand und Verwaltungsrat müssen ihre Vorgaben mit jenen aus dem Ministerium abstimmen.

Frage: Welche Vorgaben hat Arbeitsminister Kocher gemacht?

Antwort: Ein stärkerer Fokus als bisher soll auf die Vermittlung in Vollzeitstellen gelegt werden. Die überregionale Vermittlung von Ost nach West soll ebenso gestärkt werden, zudem soll das AMS im EU-Raum aktiver werden und Personen aus anderen Mitgliedsländern für offene Stellen in Österreich vermitteln. Dazu kommen Zielgruppen für spezifische Förderung, dazu gehören Langzeitarbeitslose, Jugendliche, Frauen und Asylberechtigte und Menschen mit Behinderung. Daneben wird betont, dass das AMS generell vor allem Vermittlung forcieren soll. Ein Fokus soll auch darauf liegen, Leistungsbezug und geringfügige Beschäftigung zurückzudrängen.

Nicht nur der Tourismus im Westen sucht Arbeitskräfte: In Tirol und Salzburg liegt die Arbeitslosenquote bei unter fünf Prozent. In Wien sind es zehn Prozent.
Nicht nur der Tourismus im Westen sucht Arbeitskräfte: In Tirol und Salzburg liegt die Arbeitslosenquote bei unter fünf Prozent. In Wien sind es zehn Prozent.
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Frage: Ist das alles neu?

Antwort: Nein. Die Vorgabe, bestimmte Gruppen wie Langzeitarbeitslose, Menschen mit Behinderung und anerkannte Geflüchtete gezielt zu fördern, gab es schon bisher. Auch Jugendliche und junge Erwachsene sind Schwerpunkt des AMS. So gilt in Österreich bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres eine Ausbildungspflicht, die auch durch den Besuch von Qualifizierungsmaßnahmen beim AMS erfüllt werden kann. Bis zum 25. Lebensjahr gilt die Jobgarantie: Wer keine Arbeit findet und auch sonst keinen passenden Ausbildungsplatz, muss vom AMS einen Ausbildungsplatz bekommen. Ein Unterschied betrifft Teilzeit: In den bisherigen Zielvorgaben von Hartinger-Klein wurde betont, dass Frauen die Wahl gelassen werden soll, ob sie zu Hause Kinder erziehen, Teilzeit oder Vollzeit arbeiten. In den neuen Vorgaben wird der Fokus stärker darauf gelegt, arbeitsmarktpolitische Gleichsetzung zu schaffen. So sollen Frauen auf die negativen Auswirkungen von Teilzeit, etwa bei Pensionen, hingewiesen werden. Auch der Fokus auf Vollzeit ist ein neuer Akzent, wobei das AMS natürlich schon bisher in Vollzeit vermittelt hat und weiter in Teilzeit vermitteln wird.

Frage: Was hat es mit der Vermittlung aus anderen EU-Ländern auf sich?

Antwort: Laut Vorgaben soll das AMS über das europäische Netzwerk an Arbeitsmarktagenturen pro Jahr 2000 Personen für Jobs in Österreich gewinnen. Auch das ist in dieser Form eine neue Vorgabe.

Frage: Was sagen die Sozialpartner?

Antwort: Kritik kommt von Arbeitnehmerseite. Die Expertin der Arbeiterkammer, Silvia Hofbauer, sagt, dass einerseits der Fokus wieder darauf liege, zusätzlich Druck auf Jobsuchende aufzubauen. So sollen etwa fachliche Kontrollen forciert werden, ob überregionale Vermittlungen auch tatsächlich stattfinden. Ein anderer Kritikpunkt: Hofbauer vermisst konkrete Vorgaben zum Klimaschutz, etwa um den Wandel arbeitsmarktpolitisch durch Vorgaben zu gestalten. Das Thema kommt in den neuen Zielsetzungen Kochers zwar vor, aber sehr allgemein. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Grünen, Markus Koza, sieht wenig Neues in Kochers Ausführungen. Druck auf Jobsuchende auszuüben, die geringfügig jobben, hält er für falsch. Sehr allgemein findet er die Vorgaben zu überregionaler Mobilität. Zufrieden zeigte sich die Industrie, weil die Vermittlung gestärkt werden soll – im Verhältnis zu Qualifizierungsangeboten für Jobsuchende durch das AMS.

Frage: Warum soll die überregionale Vermittlung gefördert werden?

Antwort: Das Thema ist älter als das AMS selbst. Traditionell gibt es im Osten mehr Arbeitslose als im Westen: Aktuell sind 140.000 Menschen in Wien auf Jobsuche, das sind fast 43 Prozent aller beim AMS gemeldeten Personen. Und: Arbeitslose müssen in Österreich auch die Vermittlung in andere Bundesländer akzeptieren, wenn dem keine Betreuungspflichten entgegenstehen und den Jobsuchenden am Arbeitsplatz eine "angemessene" Unterkunft angeboten wird. In der Praxis klappen überregionale Vermittlungen fast gar nicht. Denn kaum jemand zieht um, selbst Förderprogramme für Jobsuchende, die das forcieren sollen, wurden in der Vergangenheit mangels Erfolges eingestellt. Wenige Dutzend Personen werden von Wien in andere Bundesländer via AMS vermittelt. Der Soziologe August Gächter, der sich viel mit Arbeitsmarktmobilität beschäftigt, sieht eine Ursache darin, dass der ländliche Raum für jüngere Menschen wenig zu bieten habe. Für Menschen mit Kindern ist die Situation kompliziert, wenn auch die Schule gewechselt werden muss. Wer in Wien Wohnung oder Haustier hat, will sowieso nicht weg. (András Szigetvari, 29.6.2023)