Avalon von Nell Zink
Nell Zink, "Avalon". Aus dem Englischen von Thomas Überhoff. €24,70 / 272 Seiten. Rowohlt, Hamburg 2023
Rowohlt-Verlag

"Ich bin schnell erwachsen geworden", sagt Bran, die Protagonistin in Nell Zinks neuem Roman, über sich selbst und gibt damit Fifi, einer aus der Clique, recht, die es auf den Punkt bringt: "Bran ist und war nie ein Kind." Ein paar jugendliche Außenseiter haben sich rund um ein Highschool-Literaturmagazin zusammengefunden, irgendwo in L.A. County, Kalifornien. Willkommen in Avalon!

In Zinks fulminanter Coming-of-Age-Geschichte hat die junge Ich-Erzählerin damit schon einen ersten, sehr entscheidenden Schritt gesetzt, ihrer eigenen Kindheit, die, sagen wir, nicht ganz einfach war, zu entfliehen. Von der Mutter verlassen, weil die sich in einem buddhistischen Kloster selbst finden will, wächst Bran beim Freund, besser gesagt Ex-Freund, der Mutter und dessen Familie, den Hendersons, auf der Bourdon Farm auf, eine US-White-Trash-Sippe mit Faible für Bikes und Barbecue, die ihre windigen Geschäfte mit einer Baumschule macht, für die auch Bran, schon als Kind und vor allem nach dem frühen Krebstod ihrer Mutter, schuften muss. Wieder Fifi aus der Clique auf die Frage nach Brans Familie: "Sie hat keine Familie. Sie ist ein Waisenkind in der Gefangenschaft von Sklavenhaltern."

Was hier vielleicht nach schwermütiger Story klingt, beschert als überaus zeitgemäßer Entwicklungsroman großes Lesevergnügen. Trotz schwerster Startbedingungen ist Bran nämlich verdammt schlau, unglaublich eigensinnig in ihren Beobachtungen und nebenbei auch noch lustig: "Ich konnte schwimmen, solang meine Zehen auf den Grund kamen. (Das heißt, ich konnte nicht schwimmen.)" So oder so ähnlich stellen wir uns ihre Erschafferin Nell Zink mit um die zwanzig vor.

Mythischer Ort

Schlau gewählt ist auch der Romantitel, denn Avalon ist nicht nur ein Kaff auf Catalina Island, einer Insel vor L.A., und damit eine Kindheitserinnerung von Bran an ihre Mutter. Avalon ist bekanntlich auch der mythische Ort, an dem sich König Artus von seinen Wunden erholt hat. Und spätestens mit dem Auftauchen von Peter, einem Ivy-League-Überflieger von der Ostküste in der kalifornischen Clique, geht es in Zinks Werk um ritterliche (und unritterliche) Tugenden, und Avalon wird zum Liebesroman. Bran verliebt sich in Peter und vor allem in dessen Intellekt.

Es geht für die junge, missbrauchte Frau von nun an nicht mehr ums nackte Überleben, sondern mit Peter gemeinsam um den Homo sacer von Giorgio Agamben, Virginia Woolfs Zimmer für sich allein, Gedichte von Paul Celan und einen ersten, intensiven Zungenkuss, der es allerdings in sich hat, nicht nur erotisch, sondern auch wegen Peters trockener Zusatzinfo: "Du solltest wissen, dass ich verlobt bin." Okay!

Brans innerer Entwicklungsreise aus miesesten Umständen hinein in ein selbstbestimmtes Leben (zum Beispiel als Drehbuchschreiberin) folgt im Roman auch noch eine äußere: Nach längerer, krisenhafter Fernbeziehung mit Peter (wieder an der Ostküste) zuckelt Bran am Ende von Avalon allein in ihrem maroden Mazda die California State Route 1 ("nicht jede Straße hat ihre Coffeetable-Books") nach Santa Cruz, in Richtung Schriftstellerparty und Liebesglück. Auf jeden Fall in Richtung eigenen Lebens. (Mia Eidlhuber, 30.6.2023)