Sie klebt ihre Hände auf den Asphalt. Mit ihrem Körper blockiert sie Straßen. Und jedes Mal ist ihr "speiübel" dabei. Die 26-jährige Anja Windl ist Mitglied der Bewegung Letzte Generation, die mit ihren Verkehrsblockaden für Maßnahmen gegen die Klimakrise demonstriert.

Der Boulevard taufte Windl aufgrund ihrer Frisur "Klima-Shakira". Sexistische Anfeindungen und Morddrohungen gehören mittlerweile zu ihrer Realität. Und zuletzt drohte Österreich der gebürtigen Deutschen mit der Ausweisung. Doch am schwersten wiegt vielleicht die Kritik, dass ihre Klebeaktionen dem Klimaschutz mehr schaden als nutzen.

Eine Aktivistin hat sich auf Straße geklebt, ein schwarzes Auto stößt an ihre Knöchel
Windl bei einer Protestaktion auf der Wiener Aspernbrücke im April.
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STANDARD: Sie haben durch Ihren Klimaaktivismus in Österreich Bekanntheit erlangt. Zuletzt am Wochenende, als Sie beim Europaforum in Göttweig den Konvoi von Bundeskanzler Karl Nehammer blockieren wollten – und irrtümlich den bulgarischen Präsidenten erwischten.

Windl: Das stimmt so nicht ganz. Laut der Auskunft der Polizei war der Konvoi des Kanzlers von der Blockade betroffen. Ob unmittelbar in erster Position oder hinter dem bulgarischen Präsidenten, wissen wir nicht. Sein Pressesprecher hat das auf Twitter aber geschickt gedreht.

STANDARD: Laut eigenen Angaben waren Sie schon an etwa 30 Straßenblockaden beteiligt, haben Öl auf die Straße gekippt und sind auf eine Schilderbrücke über der Autobahn geklettert. Was geht bei solchen Aktionen in Ihnen vor?

Windl: Mir ist jedes Mal speiübel, ich möchte das nicht machen, und mein ganzer Körper wehrt sich dagegen. Die Aktion mit dem Öl empfand ich als besonders stressig. Es wurde mir nämlich mitgeteilt, dass es eine Strafanzeige gibt, was wir nicht erwartet haben. Da habe ich dann auch vor Polizisten geweint. Und das will ich ihnen eigentlich nicht geben. Aber gleichzeitig weiß ich: Was ist die Folge, wenn wir nichts tun? Leider sind wir auf diese Art des friedlichen, zivilen Widerstands angewiesen. Anders hat es die letzten 30 Jahre zu wenig gebracht. Meine primäre Angst ist die Untätigkeit der Regierenden.

STANDARD: In der Bevölkerung stoßen vor allem Klebeaktionen auf Straßen auf Ablehnung. Denken Sie nicht, dass Sie damit womöglich das Gegenteil Ihrer Ziele erreichen und Klimaschutz unpopulärer machen?

Windl klebte laut eigenen Angaben schon etwa 30 Mal auf diversen Straßen in Österreich.
APA/AFP/JOE KLAMAR

Windl: Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der davor von der Dringlichkeit der Klimakrise überzeugt war, sagt: "Wegen den dummen Klimaklebern lasse ich meinen Motor jetzt extra laufen." Außerdem gibt es Umfragen, dass wir, als wir in Österreich begonnen haben, bei fünf bis neun Prozent Zustimmungsrate lagen, was die Protestform betrifft. Im Frühjahr waren wir dann bei 16 Prozent, die unserer Protestform gegenüber positiv gestimmt sind, und 18 Prozent, die neutral gestimmt sind. Und die Protestform ist eigentlich eh gleichgültig. Es geht um die Zustimmung zu den Forderungen. Die ist noch deutlich höher.

STANDARD: Durch Klebeaktionen gab es bereits mehrfach Verzögerungen bei Rettungsfahrten. Auch in Wien – wobei die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen die Aktivisten einstellte. Die Blockade war nicht für den Tod eines Patienten verantwortlich. Dennoch war die Leitstelle nicht vorab über den Protest informiert worden. Was sagen Sie zu dieser Kritik an Ihren Aktionen?

Windl: Diese Diskussion ist in erster Linie politisch motiviert. Auch in Berlin gab es ja einen ähnlichen Fall, wo die Letzte Generation am Ende freigesprochen wurde. Was wir aber auch sehen: dass nur ein paar Tage zuvor in Deutschland jemand durch einen Falschparker bei einem Brand ums Leben kam. Und das hat medial zu keinem Aufschrei geführt. Hier wird an zweierlei Maß gemessen. Für den Großteil an Staus sind auch nicht wir verantwortlich, dort führt der Verkehr selbst zu Verzögerungen. Bundesrettungskommandant Gerry Foitik vom Roten Kreuz setzt sich ebenfalls dafür ein, die Rettung nicht zur Kriminalisierung von Klimaaktivistinnen zu instrumentalisieren. Und der wird es wohl am besten einschätzen können. Außerdem: Ginge es wirklich um Schutz von Menschenleben, wäre zum Beispiel die Forderung nach Tempo 100 schon lange erfüllt, etliche Verkehrstote und Verletzte wären vermieden.

STANDARD: Sie riskieren Strafen und Verhaftungen mit Ihren Aktionen. Was sagt Ihre Familie zu diesem Engagement?

Windl: Ich komme aus einer sehr großen Familie, habe fünf Geschwister. Meine Eltern sind grundsätzlich sehr dagegen. Mein Vater ist eher die Fraktion, die am Stammtisch sagen würde: "Alle einsperren!" Wenn die eigene Tochter daran beteiligt ist, geht das aber nicht mehr ganz so leicht von der Lippe. Einer meiner Brüder sagt aber auch zum Beispiel, wenn seine Kinder so wären, wäre er stolz.

Anja Windl, Klimaaktivistin, mit rotem Pullover und schwarzer Jacke, steht auf einer Straße, im Hintergrund regenbogenfarbene Zebrastreifen.
"Wir sind keine beliebte Bewegung, wollen wir auch nicht sein", sagt Aktivistin Anja Windl.

STANDARD: Bekannt wurden Sie, als ein Influencer Videos von Ihnen postete. Die Gratiszeitung "Heute" taufte Sie dann "Klima-Shakira" – wegen einer angeblichen Ähnlichkeit mit der Popsängerin. Wie geht es Ihnen damit?

Windl: Ich finde es sehr absurd. Dass es eine Ähnlichkeit gibt, habe ich tatsächlich vorher schon gehört. Aber das auf dieser Ebene so groß ausgebreitet zu sehen und insbesondere auch diese sexistische und sexualisierende Diskussion, die diese Berichterstattung nach sich gezogen hat – das ist natürlich in höchstem Maße kritisch zu betrachten. Es kommt mir auch immer noch nicht real vor, und ich trenne das von mir als Person. Das ist ja nichts, was du planen kannst oder dir wünschst. Du hast dann immer eine Zielscheibe auf dem Gesicht. Wir sind keine beliebte Bewegung, wollen wir auch nicht sein.

STANDARD: Inwiefern werden Sie zur Zielscheibe?

Windl: Bei mir ist es primär online, wo ich sehr viele Gewaltandrohungen bekomme. Wenn wir wieder einmal negativ in den Schlagzeilen stehen, dann sind es am Tag um die 20 Stück. Für mich ist die Masse der Reaktionen aber tatsächlich positiv. Die erfolgreichsten Bewegungen waren nicht beliebt. Und unser Ziel ist ja durchaus auch, die Empörung auszulösen.

STANDARD: Trotzdem geben Sie weiter Interviews und äußern sich dazu. Warum?

Windl: Solange wir es opportunistisch für uns nutzen können und es einen positiven Outcome hat, kann man es durchaus hin und wieder für sich nutzen. Es ist für den Boulevard ein Vehikel, über uns zu berichten, ohne wirklich über uns zu berichten. Und am Ende des Tages, selbst wenn bloß zehn Prozent des Artikels unsere eigentliche Botschaft betreffen, dann sind es trotzdem zehn Prozent mehr, als vielleicht ursprünglich drinnen waren.

STANDARD: Sie sind gebürtige Deutsche, leben aber seit 2017 in Österreich. Im April wurde bekannt, dass ein Aufenthaltsverbot für Sie geprüft wird. Wie ist hier der Stand der Dinge?

Windl: Das war das Ärgste, das ich bisher an Repressionen erlebt habe. Da habe ich nicht schlecht geschaut, als mir im Polizeianhaltezentrum in Wien mitgeteilt wurde, dass sie mir ein mehrjähriges Aufenthaltsverbot aufhalsen möchten. Und als das Ganze dann noch ernster wurde, als ich in Leoben geladen wurde. Dort gab es ein dreistündiges Gespräch. Mir wurde eine dicke Akte über mich vorgelegt, da hat jemand wirklich Zeit investiert. Das Verfahren läuft noch, und ist auch wirklich etwas, wo ich noch immer Panik habe. Jedes Mal, wenn ich zum Postkasten gehe und ein blauer Brief drinnen liegt, rast mein Herz.

STANDARD: Haben Sie darüber nachgedacht, sich deshalb aus der ersten Reihe der Proteste zurückzuziehen?

Windl: Klar, und ich erwäge das nach wie vor. Gleichzeitig ist es auch als das zu benennen, was es ist: Repression, ein Einschüchterungsversuch. Sie möchten mich dazu bewegen, dass ich mit dem, was ich tue, aufhöre. Weil wir eben gezielt stören, um den politischen Druck zu erhöhen. Leider sehe ich, dass es manche Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft davon abhält, sich bei uns zu beteiligen, es hat seine Wirkung also nicht verfehlt. Dieses Unrecht motiviert mich aber tatsächlich mehr, als es mich abschreckt. (Antonia Rauth, 1.7.2023)