Veranstaltungsbeginn "erst" um 22 Uhr und der Himmel über der Stadt schwarz wie die Wut der reichen Wohnungsbesitzer im benachbarten Hochhausquartier The Marks über den angeblichen Lärm aus der Arena, der gegen ihre Fenster dröhnt – was hat man eigentlich früher gemacht, wenn man "später" auf ein Clubbing ging und es vorher regnete? Musste man sich auch erst aus dem Bett quälen und den Regenschirm suchen?

1993 ging der erste Iceberg an den Start. 30 Jahr später hat die Veranstaltung nichts von ihrer Anziehungskraft verloren.
1993 ging der erste Iceberg an den Start. 30 Jahre später hat die Veranstaltung nichts von ihrer Anziehungskraft verloren.
Christian Fischer

Die Freude auf 30 Jahre Iceberg siegt am Ende über die müden Knochen. Von der U3 lasse ich mich nach Erdberg bringen, und den Franzosengraben entlang spaziere ich bereits neben vielen Levis 501, Cowboyboots, blonden Meschen und dem Duft von CK One – "A Citrus Aromatic fragrance for women and men launched in 1994".

In Begleitung ihrer Eltern

Ein Jahr davor, 1993, ging der erste Iceberg "an den Start", bzw. hieß das damals natürlich noch nicht so, da fing etwas einfach an. Bei 60 Schilling Eintritt war der Zulauf in die große Arena-Halle auch schon ganz gut, aber natürlich nichts verglichen mit heute, wo nach dreißig Jahren längst alle drei Hallen bespielt werden.

Gefühlt schon seit Ewigkeiten dabei: DJ Elk
Gefühlt schon seit Ewigkeiten dabei: DJ Elk.
Christian Fischer

DJ Shalom hatte die NDW-Plattensammlung seines älteren Bruders mitgebracht, und DJ Elk war wahrscheinlich auch schon dabei, aber der hat ja – gefühlt! – auch schon bei der Hochzeit zu Kanaan aufgelegt. Und heute, wo der Eintritt zehn bis 14 Euro kostet, beschallt er natürlich auch wieder die große Halle: "Ich mag dich wie am ersten Tag!", singen die Ärzte, und auch sonst hat sich seit dem ersten Tag hier nicht viel verändert. Außer vielleicht, dass auch 16-Jährige mit ihren Eltern kommen.

"Urcool, gmiatlich"

Man selbst wäre ja lieber in den Donaukanal gesprungen, als sich mit Leuten im Alter der Eltern irgendwo sehen zu lassen. Aber heute ist der Iceberg fast "family", jedoch nicht ÖVP-style, sondern auf "leiwand, urcool, gmiatlich". Das sind jedenfalls die Wörter, die am häufigsten fallen, wenn man die Gäste nach ihrer Motivation fragt, auch mit 40, 50 oder gerne auch mit 60 Jahren am Buckel zu so später Stunde noch hierherzukommen.

Die große Halle ist gut gefüllt.
Die große Halle ist gut gefüllt.
Christian Fischer

Nach wie vor am liebsten zum Elk in die große Halle, wo sie früher schon auf der Tribüne standen und entweder mit dem Fuß zur Musik wippten, wie das schwarzgekleidete Filmmuseumsbesucher machten, oder extrovertiert die Hände in die Höhe rissen, wie das die Spezialität von ganz in Orangegelb gekleideten Sozialarbeiterinnen war.

Der typische Fan

Patrick, früher die Coolness selbst hinter der legendären Blue-Box-Budel und später für ein paar Jahre auch hier Plattenaufleger, wird hingegen heute aufs Tanzen verzichten und lieber bald nach Hause gehen, der Schlaf vor Mitternacht ist ja der gesunde. Die vier Bier beim Backstage-Reunion, wo sich die Rasselbande der Icebergers zuvor getroffen hat, haben ihn in eine angenehme Bettschwere versetzt.

War beim ersten Iceberg vor 30 Jahren dabei: Georg. Und danach ein paar hundert Mal.
War beim ersten Iceberg vor 30 Jahren dabei: Georg. Und danach ein paar hundert Mal.
Christian Fischer

Müssten man "den typischen" Iceberg-Fan, den, der ganz sicher nicht vor halb fünf Uhr früh heimgehen wird, von der Tanzfläche holen, dann wäre das Georg. Der heute 46-Jährige war tatsächlich schon beim ersten Iceberg vor 30 Jahren mit dabei, als er ein Mädchen mitgenommen hat, das er küssen wollte: "Das hat aber nicht geklappt!", lacht er. Geklappt hingegen hat die Sache mit ihm und dem Iceberg.

Aufreißen

Ein paar hundert Mal hat er den seither besucht, und aus den Eintrittskarten hat er sich für heute eine Kette gebastelt, die ihm aber der Regen ruiniert hat, also trägt er sie halt "als schickes Stecktuch". Georg, erzähl doch mal vom Iceberg! "Immer leiwand, immer Bombenstimmung, geile Leute, liebe Leute, alle entspannt, da gibt's keine Schlägereien!"

Das Testosteron ist hier vielleicht nicht mehr so hochdosiert wie beim Balkan-Techno, das mag eine Rolle spielen. Aber auch, dass es zwar schon ums Aufreißen auch geht (klassische Order an den DJ: "Spiel was Langsames!"), aber halt wirklich zuallererst um die Musik. Außerdem: "Man kennt viele andere, man wächst mit den Leuten mit!", beschreibt er ein Gefühl, das viele hier kennen.

Sabina und ihre Tochter, Emily, die vor ein paar Tagen maturiert hat.
Sabina und ihre Tochter Emily, die vor ein paar Tagen maturiert hat.
Christian Fischer

Und tatsächlich hört man dann ständig irgendwo irgendwen fragen: "Wo ist der Andi? Wo ist die Karin?" Oder: "I glaub, i spinn! Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen? Vor zehn Jahren?" Es werden wohl eher zwanzig gewesen sein! Dazwischen lagen Hochzeiten, Scheidungen, Häuselbauten, Überschuldungen, Einschulungen (kurz: das Leben!) und Gschrappen, die schneller aus den Windeln waren, als man es heute selbst noch auf den Dancefloor schaffen würde: Es ist Punkt 24 Uhr, und DJ Elk ruft mit Blondie: "Call me!" Den Georg wird aber auch in zehn Jahren keiner extra anrufen müssen, damit er zum 40er hierherkommt – "Ich werd' auch mit 66 noch da sein!"

Alte Hasen und Spätberufene

Dann wird er vielleicht auf Emily treffen, die vor drei Tagen maturiert hat und heute mit Mama Sabina da ist. Sie fühlt sich, obwohl gerade mit dem Zeugnis der Reife aus der Schule entlassen, "wie eine Volksschülerin" – wegen der Altersstruktur! In zwei Stunden startet vom Busbahnhof in Erdberg aus die Reise nach Kroatien zum Summer-Splash, und die beschaulichen Stunden davor, so war die Idee, wollen sie gemeinsam beim Elk verbringen.

Sabina gehört zur kleineren Gruppe der Spätberufenen, sie war letztes Jahr zum ersten Mal hier, aber dafür gleich bis zum Sonnenaufgang. Taugt mir das?, fragte sie zuvor skeptisch eine Freundin, die sie hierher mitnehmen wollte, und ja, es taugte ihr! "Es ist urleinwand, echt urleiwand! Jedes zweite Lied zum Mitsingen!", und die anderen alle zum Mittanzen. Und wie taugt es der Tochter? "Urleiwand!" Nur: Dass um 23 Uhr schon jemand auf einer Party ist, das kannte sie bisher noch nicht.

Geburtstagsparty Stefanie feiert mit Freundinnen und Freunden ihren 24er.
Geburtstagsparty: Stefanie feiert mit Freundinnen und Freunden ihren 24er.
Christian Fischer

Vereinsamen wird beim Iceberg auch in Zukunft niemand: Geburtstagskind Stefanie feiert ihren 24er mit Freund Roman, einem Schauspieler und Präparator, und Freundinnen und Freunden, und es ist "chillig, cool, super, fantastisch, immer leiwand, nie ungemütlich!"

Und Neue Deutsche Welle, die Musik der 80er-Jahre? Die kennen natürlich auch Leute ihrer Generation, wenn nur die Eltern genug CDs davon herumliegen hatten, die sich die Jungen heute auf Spotify anhören. Bettina, 47, hat noch die CDs zu Hause, sie tanzt mit ihrer Freundin Martina, 44, die sie aus den guten alten Zeiten der Sandkiste kennt, seit dreißig Jahren hier an und dann durch die Nacht.

Und das wird sie sicher auch noch die nächsten 30 Jahre tun, denn: "Du kannst hier einfach so sein, wie du willst. Jeder ist herzlich willkommen!" Auch der, der im Pinguinkostüm hier herumläuft. Er darf darauf vertrauen, dass diesen Iceberg auch der stärkste Klimawandel nicht zum Schmelzen bringen wird. (Manfred Rebhandl, 3.7.2023)