Harry Styles missionierte die Liebe und das Miteinander in einem von ihm entzückten Ernst-Happel-Stadion.
Harry Styles missionierte in Sachen Liebe im von ihm entzückten Ernst-Happel-Stadion. Das Foto ist bei einer früheren Show seiner Tour entstanden.
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Federn, überall Federn. So als hätte jemand einen riesigen Vogel gerupft. Den Farben zufolge muss es ein Paradiesvogel gewesen sein: Rosa, gelbe, türkise, rote, grüne. Sie stammen von tausenden Federboas aus chinesischen Edelmanufakturen oder Cowboyhüten in den John-Wayne-Farben Hellblau und Rosa. Es waren Spuren, die Harry Styles schon hinterließ, bevor er überhaupt aufgetaucht war.

Am Samstag pilgerten fast 60.000 Fans ins Wiener Ernst-Happel-Stadion, um die Weihen des britischen Popstars zu empfangen. Und der erwies sich als des Weges würdig, gab reichlich, missionierte und half als routinierter Befreiungstheologe einer fassungslosen Vicky aus dem Publikum gleich einmal bei ihrem Coming-out – ganz so, wie sie es auf dem von ihr Richtung Star gehaltenen Schild geschrieben und sich gewünscht hatte. Harry Styles, ein Gottesbeweis in grün glitzernden Fransenhosen: "Freedom for Vicky!"

Dass dieses Schilderlesen und Heilsbringerspiel fixer Bestandteil seiner aktuellen "Love on Tour"-Show ist, wurde ihm nachgesehen, auf die Wirkung kam es an – und die erzielte er, gute Güte. Teenager in glückseligen Weinkrämpfen. Selbst auf den Sitzplätzen waren fast alle durchgängig auf den Beinen. Fan-Kreischen zwei Stunden lang. Und wenn Styles die Hüften kreisen ließ, sich in einem Lied tatsächlich kurz zu vergessen schien, die Augen beim Singen schloss, dann herrschte Hyst-Harry-a im Oval.

Showstopper

Dabei hat es musikalisch betrachtet ein wenig gedauert, bis der Zuspruch berechtigt erschien, denn die erste halbe Stunde spulten die Band und der Star noch etwas knieweich und verhalten ab und bremsten das ganze noch mit der früh gegebenen Ballade Matilda, einem hübschen Kleinod seines aktuellen Albums Harry's House, das er an der Rampe eines weit ins Publikum ragenden Stegs gab. Nice, wie man sagt, von einem Cello getragen, aber zu dem Zeitpunkt schon eher ein Showstopper.

Doch Styles ist seinen Fans mehr als nur eine Jukebox voller Lieblingslieder. Er ist der niederschwellige Superstar mit den korrekten Ansichten und Botschaften. Wiederholt wies er darauf hin, dass jeder es gut haben solle in seinem Konzert, ja, abbrechen würde er, wenn es nötig sei, wenn es die Sicherheit verlange. Man möge rücksichtsvoll zueinander sein, lieb. Er und die Band würden alles geben.

Andere Acts haben Awareness-Teams im Publikum, er steht als deren Personifizierung auf der Bühne. Zu diesen Botschaften ertönte Jubel, und Luftballons in Herzform stiegen in den Sommerhimmel. 

Spontane Polonaisen

Schließlich kam die Show dann auch noch in die Gänge. Zu Cinema tänzelte er mit einem Bläsersatz im Schlepptau über den Laufsteg. Agil dehnte und streckte er sich, fing mit Superstarreflexen Superstargeschenke aus der ihn umgebenden Superstarluft und gab sie volley an glückselige neue Besitzer weiter. Music for a Sushi Restaurant intonierte er mit einem Zitat der schwulen Disco-Hymne YMCA von den Village People, Regenbogenfahnen überall, auch um Harrys Schultern. Darauf folgte der Message-Song Treat People with Kindness, der zu Spontan-Polonaisen im Publikum führte. Party!

Vollkommen aus dem Häuschen geriet das Publikum beim anschließenden What Makes You Beautiful, einem Lied aus Styles Vergangenheit bei der Boy-Group One Direction. Wie choreografiert bewegte es sich dazu bis in den letzten Rang hinauf. Die Euphorie nahm es in den nächsten Song gleich mit, in Grapejuice, einen hübschen Popsong, der an die US-Band The Flaming Lips erinnert, als diese ihr Meisterwerk The Soft Bulletin veröffentlicht hatten.

Es folgten das zweideutige, feucht-fröhliche Watermelon Sugar, ein Stück über orale Vergnügungen abseits des Süßspeisenverzehrs. Mit Fine Line an der Akustischen machte er den Sack zu. Ernsthaft ergriffene Dankesworte, ein finaler Gang an die Rampe, Bussi werfen, "Thank you!", Demut, Abgang – bevor im Zugabenblock noch der Hit Sign of the Times folgte, das sich zwischen Limahl und A-ha windende As It Was und schließlich Kiwi den Abend beendete. Leuchtende Augen, wohin man sah. "Härry!!! Schnell die 50.000 Handyfotos anschauen, weil: Es darf noch nicht vorbei sein. (Karl Fluch, 9.7.2023)