Ausstellung Ambras
Das "Tödlein", einem Landshuter Bildschnitzer zugeschrieben und aus einem einzigen Stück Birnbaumholz geschnitzt: Hier geht's, oh Vanitas, ans Eingemachte.
KHM

Je realer das Grauen, desto größer die Faszination: Davon lebt nicht nur ein Genre namens True Crime, das galt auch schon vor Jahrhunderten. Freilich gab es da noch weit weniger Kanäle für die quotenträchtige Zweitverwertung bestialischer Mordtaten, dafür hatten auch andere Grauslichkeiten das Potenzial, beim Publikum "Angstlust" zu wecken. Man kann sich jedenfalls lebhaft vorstellen, welch genussvolles Schaudern die Ambraser Schlossgäste vor dem Porträt des Gregor Baci erfasst hat.

Ein unbekannter Maler schuf damit im 16. Jahrhundert einen veritablen Rittersplatter, bohrt sich doch eine Lanze durch die rechte Augenhöhle des dargestellten ungarischen Edelmanns und tritt im Nacken wieder aus. Der Mann soll mit dieser Verletzung noch ein Jahr lang gelebt haben, man stelle sich vor.

Der Gruselfaktor kam in den Ambraser Sammlungen des kunstsinnigen Renaissancefürsten Ferdinand II. auch sonst nicht zu kurz. Grund genug, dem Ungeheuerlichen in der Kunst eine Sonderschau zu widmen, zumal ein ähnliches Projekt bereits 2011 im Mutterhaus KHM (Kunsthistorisches Museum) in Wien erfolgreich war.

Medusen, Schlangen, Dracula

"Schaurig schön 2.0" titelt in Anlehnung daran nun die Innsbrucker Schau, aus Wien kommen unter anderem Carlo Saracenis Darstellung der Judith mit dem Haupt des Holofernes und ein Tongefäß in Form eines Medusenhauptes aus dem fünften Jahrhundert v. Chr. Ihren hochkarätigsten Auftritt hat die mythologische Schreckensgestalt mit dem Schlangenhaar auf Rubens’ Haupt der Medusa, einer Leihgabe aus Brünn.

In sechs Kapiteln wird von wundersamen Geschöpfen, Teufeln und Dämonen oder den erwähnten "wahren Geschichte(n)" erzählt. Doch niemand tänzelt so leichtfüßig auf dem schmalen Grat zwischen morbider Lust und Schrecken wie das berühmte Ambraser Tödlein, das dem Landshuter Bildschnitzer Hans Leinberger zugeschrieben wird und aus einem einzigen Stück Birnbaumholz geschnitzt ist. Angesichts solcher Schätze hätte man sich manch anderen Aufwand sparen können – wer braucht schon Lichteffekte oder am Boden kreuchende Schlangenprojektionen, wo es vor fein ziselierten Hydren, kunstvoll gemalten Drachen, abgeschlagenen Häuptern und furchterregenden Fratzen nur so wimmelt? Eben.

Dass der Bogen des Schreckens bis zu den Tiroler Fasnachtsfiguren gespannt wird, ergibt dafür Sinn, und mit dem einzig erhaltenen Porträt Draculas (Vlad III. Tzepesch, der Pfähler) hat man in Ambras auch einen "Bösewicht" von Weltformat zu bieten. Das Schicksal des Gregor Baci beschäftigte wiederum auch die medizinische Forschung, wie ein 3D-Modell seines Schädels zeigt. Schauerlich auch das. (Ivona Jelcic, 4.7.2023)