Der Werfer eines Iris-T-SLM-Systems
Der Werfer eines Iris-T SLM trägt bis zu acht Raketen und kann mit einem Lkw transportiert werden.
REUTERS/FABRIZIO BENSCH

Sky Shield soll Europa vor allem vor russischen Raketenangriffen schützen. Welche Abwehrwaffen dabei zum Einsatz kommen, ist noch nicht völlig klar, aber so viel ist jetzt fix: Österreich muss gewaltig aufrüsten, will es unter den Schutzschirm schlüpfen. Sky Shield dürfte nämlich im Sinne der "Layered Defense", also der gestaffelten Verteidigung, auf mehrere Systeme setzen – wie die Schalen einer Zwiebel. Doch damit hören die Gemeinsamkeiten mit dem Lauchgemüse auch schon auf, und stattdessen muss sich der Interessierte mit unverständlichem Militärsprech und absurden Abkürzungen auseinandersetzen. Ein Wegweiser durch einen Begriffsdschungel.

Iris dominiert die Kurzstrecke

Sky Shield wird voraussichtlich aus drei Systemen mit unterschiedlichen Reichweiten bestehen. Wie bei Waffen üblich, ist die Benennung voller Akronyme. So auch beim Luftverteidigungssystem für mittlere Reichweiten, das wenig eingängig für "Infra Red Imaging System Tail Surface Launched Medium Range" (Iris-T SLM) steht. Bei der sperrigen Namensgebung ist nur wichtig zu wissen: Dieses System bildet die innere Zwiebelschale der Fliegerabwehr und hat eine Reichweite von etwa 40 Kilometern – wobei aktuell eine Variante mit 80 Kilometern Reichweite entwickelt wird.

Die von der deutschen Diehl Defense gebauten Abwehrwaffen haben einen entscheidenden Vorteil: Sämtliche Komponenten sind nicht größer als standardisierte Container und passen damit auf die meisten Lastwagen und Eisenbahnwaggons. Der Werfer selbst ist innerhalb von zehn Minuten schussbereit und kann acht Raketen abfeuern, bevor er nachgeladen werden muss. Ein System bestehend aus Radar, Leitstand und Werfer kostet laut Angaben aus der Ukraine rund 140 Millionen Euro. Laut dem ukrainischen Verteidigungsministerium verfügt das System über eine Trefferquote von 90 Prozent.

Boden-Luft-Raketen kann man aber nicht einfach blind auf mögliche Ziele abfeuern, deshalb braucht man Radarstationen. Welches Modell am Ende den Zuschlag erhält, ist nicht klar. Die Hensoldt AG aus München hat aber bereits angekündigt, 30 Radargeräte für Sky Shield zu bauen. Dabei handelt es sich um TRML-4D, das wiederum für die vierte Generation der "Telefunken Radar Mobil Luftraumüberwachung" steht. Die neueste Variante gilt zwar immer noch als Nahbereichradar, kann aber Ziele auf bis zu 250 Kilometer Entfernung orten. Der Hersteller gibt an, dass 1.500 Fluggeräte gleichzeitig erfasst werden können, darunter schwebende Helikopter oder Marschflugkörper.

Patriot, der US-Exportschlager

Wenig überraschend versteckt sich auch hinter dem Raketensystem Patriot ein Akronym. Der Name der Flugabwehrrakete aus den USA steht ausgeschrieben für "Phased Array Tracking Radar to Intercept On Target". Das Konzept ist dem von Iris-T SLM nicht unähnlich: Ein Multifunktionsradar identifiziert und erfasst die Luftziele, im Feuerleitstand wird schließlich der Abschussbefehl gegeben, wonach aus dem unbemannten Werfer eine Rakete abgefeuert wird. Die Startgeräte können vier Lenkflugkörper aufnehmen, die Ziele in bis zu 70 Kilometern Entfernung und in bis zu 34 Kilometern Höhe bekämpfen können.

Zwei Patriot-Werfer der slowakischen Armee.
Die Patriots (hier Modelle der slowakischen Streitkräfte) können sogar russische Hyperschallraketen abfangen.
REUTERS/RADOVAN STOKLASA

Dafür kommt ein 73 Kilo schwerer Splittergefechtskopf zum Einsatz. Dieser verfügt über einen Näherungszünder. Das bedeutet: Die Rakete muss das Ziel nicht unbedingt treffen, schon bei einem nahen Vorbeiflug werden feindliche Ziele zerstört. Die modernste Form der Rakete erreicht die fünffache Schallgeschwindigkeit. Patriot-Raketen kommen, wie Iris-T SLM auch, erfolgreich in der Ukraine zum Einsatz. Laut einer von US-Geheimdiensten bestätigten Meldung ukrainischer Streitkräfte können Patriot-Raketen auch die Hyperschallrakete Kinschal der russischen Streitkräfte vernichten.

Die "Anti-Raketen-Rakete"

Der dritte Bewerber um den Einsatz bei Sky Shield ist die Arrow 3 aus israelischer Produktion. Ausnahmsweise verbirgt sich dahinter kein Akronym, dafür wird die Arrow 3 als "Anti-Raketen-Rakete" geführt. Ihre Aufgabe besteht darin, anfliegende Marschflugkörper auf Distanzen von bis zu 2.400 Kilometern in einer Höhe von 100 Kilometern zu bekämpfen. Die Arrow wurde bereits mehrfach erfolgreich getestet und konnte beispielsweise eine Scud aus der Sowjet-Ära zielgenau abfangen. Israelische Streitkräfte konnten im Jahr 2017 eine S-200-Luftabwehrrakete aus Syrien mit einer Arrow abwehren.

Eine Arrow 3 der israelischen Streitkräfte.
Der Start einer Arrow 3 in Israel.
APA/AFP/Israeli Ministry of Defense

Sky Shield wäre, vorausgesetzt, alle drei Systeme kommen zum Einsatz, eine Art Zwiebel mit unterschiedlichen Schalen: Arrows bilden die weitreichendste Schicht mit etwa 100 Kilometern, als zweite Abwehrschicht kommen Patriots mit einer Reichweite von 70 Kilometern zum Einsatz, während am weitesten im Landesinneren Iris-T SLM mit 40 Kilometern Reichweite stehen könnten. Diese Angaben sind ohnehin relativ, da die von Herstellern angegebenen Reichweiten in der Realität deutlich kürzer sein können. So kann man bei der Abwehr von ballistischen Zielen, also etwa russischen Kinschal-Raketen, von etwa der Hälfte der angegebenen Reichweiten ausgehen.

Österreich: Raketen und Kanonen

Zum Vergleich: Österreichs Luftverteidigung kann aktuell nur im Bereich von etwa sechs Kilometern gegen Fluggeräte in drei Kilometern Höhe wirken, was nur für den Schutz einzelner hochwertiger Ziele ausreichend ist. Dafür stehen sogenannte Manpads (ein Akronym für Man Portable Air Defense System) vom Typ Mistral (Akronym für Missile Transportable Antiaérien Léger) zur Verfügung.

Zwar kann ein einziger Schütze mit der Mistral Ziele erfassen und die Rakete abfeuern, aber das gesamte Waffensystem besteht aus Container, Stativ und Zubehör und wiegt rund 72 Kilo – von einem "tragbaren" System ist also nur die Rede, wenn mehrere Personen im Einsatz sind. In Österreich werden die Luftabwehrwaffen deshalb von fünf Soldatinnen und Soldaten bedient. Die Zielzuweisung kann auch durch ein Radar erfolgen. Dieses erzeugt ein Tonsignal im Helm des Bedienenden und leitet ihn so zum Ziel.

Österreichs zweite Waffe im Arsenal der Luftraumverteidigung wirkt auf den ersten Blick fast schon anachronistisch: Die Oerlikon-35-mm-Zwillingskanone wurde bereits in den 50er-Jahren entwickelt und kann als Anhänger von einem Lkw transportiert werden. Der etwas antiquierte Eindruck täuscht jedoch: Bei der in Österreich Zwillingsfliegerabwehrkanone 85 genannten Waffe handelt es sich um jenes Modell, das auch im Flakpanzer Gepard eingesetzt wird, wo sie sich aktuell in der Ukraine immer noch als effektiv erweist. Jedes Rohr kann 550 Schuss panzerbrechender, Brand- oder Explosivgeschoße pro Minute abgeben.

Die Zieldaten erhält die Fliegerabwehrkanone von einem relativ unscheinbar wirkenden Radarsystem, das ebenfalls mit einem Lkw transportiert werden kann. Um die Namensverwirrung komplett zu machen, wurde dieses Sky Guard getauft. Um Verwechslungen mit dem aktuell diskutierten Sky Shield auszuschließen, wäre noch der alte Name des Radars verfügbar: Die Vorgängerversion hörte nämlich noch auf "Superfledermaus". (Peter Zellinger, 4.7.2023)