Arielle Mermaids Don't Cry Reinsperger FIlmkomödie Wien
Stefanie Reinsperger verkörpert in "Mermaids Don’t Cry" eine Gemeindebau-Amélie und Möchtegern-Meerjungfrau.
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Annika ist ein herzensguter Mensch. Sie wäre gern eine Meerjungfrau, im Hallenbad übt sie schon mal das sogenannte "mermaiding". Mit pinken Haaren und einer Billigflosse taucht sie ins Becken und in ihre Fantasie ab. An der Oberfläche ist das Leben der 37-Jährigen weniger bunt. Die Supermarktkassiererin träumt von einem Leben jenseits des Prekariats.

Doch die Menschen um sie herum machen es ihr nicht leicht. Vater Hermann (Karl Fischer als Alter Ego des Mundl) ist ein Nichtsnutz, der vorgibt, im Rollstuhl zu sitzen, um sich Pflegestufe III zu erschleichen. Kollegin, Nachbarin und Freundin Karo (Julia Franz Richter) hat zwei Kinder, die sie bei Annika ablädt, wenn sie ein Date hat. Und die esoterische Chefin Frau Biber (René-Pollesch-Darstellerin Inga Busch) tendiert zum verschwurbelten Management-Sadismus. Sie alle nutzen Annika aus. Und sie lässt es sich gefallen – bis es ihr reicht.

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Regisseurin Franziska Pflaum erzählt in ihrem leichtfüßigen Debütfilm Mermaids Don’t Cry von einem Wiener Arbeiterinnenmilieu, das sich als eine Austro-Variante der staubtrockenen deutschen Supermarktkomödie In den Gängen präsentiert. Alle versuchen irgendwie zu überleben – auch auf Kosten anderer: "Annika ist die Letzte in der Kette, die anderen haben einen aggressiveren Egoismus, um sich durchzusetzen. Sie muss erst lernen, auf eine gesunde Art egoistisch zu sein. Es geht auch darum, die Grenzen der Gutmütigkeit aufzuzeigen."

Annikas Arbeitsplatz steht für diesen Konkurrenzkampf. Da kann die Marktleiterin noch so viele Achtsamkeitsübungen mit ihrer Belegschaft machen. Ihre Sprechweise vergleicht Franziska Pflaum mit den "Texten von chinesischen Glückskeksen".

Bei den Rationalisierungsmaßnahmen – sprich: Kündigungen – spielt sie ihre Angestellten gegeneinander aus. Die stille Frau Petra (Gerti Drassl in einer kleinen Nebenrolle) muss als Erste gehen.

Einmal im Jahr nach Jesolo

Der Kapitalismus hat das Leben und die Träume fest im Griff, sogar im Gemeindebau. Einen Mann mit Haus und einmal im Jahr nach Jesolo, lautet Karos einfaches Glücksversprechen für sich und ihre Kinder. Annikas Traum ist bescheidener und lässt sich, anders als ein Traummann, einfach im Internet bestellen: eine richtige Flosse mit Schuppen. Doch die kostet ein Vermögen von zweieinhalbtausend Euro – ein durchaus realistischer Preis, wie eine Netzrecherche in der österreichischen Mermaid-Szene beweist.

Für Ex-Buhlschaft und TV-Kommissarin Stefanie Reinsperger ist es die erste Kino-Hauptrolle. Als Gemeindebau-Amélie und Möchtegern-Arielle verkörpert sie eine mehrgewichtige Figur, bei der das Körperbild (fast) keine Rolle spielt, wie sie selbst sagt: "Gerade dass diese behaftete Märchenfigur hier komplett anders erzählt wird, finde ich toll. Vielen ist es nicht bewusst, wie sehr mehrgewichtige Frauen in der Film- und Fernsehlandschaft fehlen. Hätte ich als Kind eine solche Figur wie Annika als Meerjungfrau gesehen, hätte mir das sehr gutgetan."

Sympathisch schwimmt sie mit dem Film durch einige langsame Spannungsflauten, ohne dass ihr die Luft ausgeht. Denn Annikas Rettung ist nicht von einem Märchenprinzen abhängig, sie lernt, selbst durch ihr Leben zu schwimmen. Damit hat sie ihrer Meerjungfrauen-Cousine aus dem Hause Disney schon einiges voraus. Eine österreichische Feelgood-Tragikomödie im besten Sinn, die aber ruhig noch mehr Verrücktheit vertragen hätte. (Marian Wilhelm, 5.7.2023)