Ferienzeit ist Urlaubszeit. Und bestenfalls bekommen Alt und Jung nun wieder Gelegenheit, sich vom stressigen Schul- und Arbeitsalltag zu erholen und durchzuatmen. Doch das ist laut Gerhard Blasche eigentlich der falsche Denkansatz. Denn Erholung sei vor allem an Arbeitstagen wichtig, erläutert der Psychologe vom Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien.

Mann in Hängematte schaut auf alte Donau.
Die richtige Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu finden ist eine Herausforderung, die durch neue Arbeitsformen wie Homeoffice nicht unbedingt leichter geworden ist.
APA/FLORIAN WIESER

"Spätestens jenseits von zehn Arbeitsstunden pro Tag wird es zu viel. Man bekommt nicht mehr genug Freizeit und Schlaf, um sich zu erholen." Die ständige Ermüdung lasse das Risiko für physische und psychische Erkrankungen steigen.

Mehr Informationen, mehr Arbeit

Doch was bedeutet Freizeit heute überhaupt? Die Grenzen des Arbeitsplatzes verschwimmen. Digitale Technologien haben das Arbeitsleben grundlegend verändert und sind zum Segen und Fluch zugleich geworden. "Sie erleichtern und beschleunigen vieles, erhöhen aber den Erwartungsdruck, schneller zu reagieren, obwohl man mehr Informationen zu verarbeiten hat", sagt Blasche.

Aktuellen Studien zufolge arbeitet die Bevölkerung von zu Hause aus im Schnitt vier Stunden mehr pro Woche, was Erholung und Schlafverhalten negativ beeinflusst. Laut Blasche muss man hinterfragen ob das, was wir "Freizeit" nennen, auch wirklich "freie Zeit für einen selber" bedeutet. Das sei fraglich, wenn private Verpflichtungen wie Kindererziehung in diese Zeit fielen. Frauen seien davon noch stärker betroffen, da viele dieser Verpflichtungen an ihnen hängenblieben.

Die Mär des Ausgleichs

Nicht zuletzt deshalb sorgt der Begriff der Work-Life-Balance, also eine Balance von Arbeit und Leben zu finden, für Kritik. Das zeigte sich zuletzt auch im "Science Talk" des Wissenschaftsministeriums in der Aula der Wissenschaften in Wien. Arbeit und Freizeit harmonisch in Einklang zu bringen sei allein deshalb kompliziert, weil die arbeitsfreie Zeit schwer definierbar sei, sagt Wolfgang Mayrhofer von der Wirtschaftsuniversität Wien. Man spreche heute daher ja auch schon von "Familienarbeit".

Familienausflug mit dem Rad in die Berge
Freizeit und Kinderbetreuung sind nicht immer leicht unter einen Hut zu bringen.
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Wenn man eine gute Mischung aus quantitativen, qualitativen sowie situativen Arbeitsaspekten finde und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausreichend Autonomie bei der Zeiteinteilung erhielten, sei jedoch schon viel erreicht, ist der Professor für Betriebswirtschaftslehre überzeugt.

Generalisierung

Gerade diese unabhängige Gestaltung der Arbeitszeit sei aber längst nicht allen Arbeitsgruppen möglich, gab Bernhard Kittel vom Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien zu bedenken: "Wer Lagerarbeit macht oder im Supermarkt an der Kassa sitzt, hat sehr wenig Spielraum, sich die Arbeit einzuteilen." Daher ergebe es wenig Sinn, in der Arbeitszeitdebatte mit fixen und einheitlichen Zeiten zu argumentieren, weil die Bedingungen in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern völlig unterschiedlich seien.

Genau das werde aber in der Politik noch immer häufig getan und gehe dann mit einer Generalisierung der Zielsetzungen einher. "Alles zu versprechen wird nicht funktionieren", mahnte diesbezüglich auch Mayrhofer.

Wie die Bevölkerung mit dem Verhältnis von Arbeit und Freizeit zufrieden ist, weiß Bernhard Kittel. Der Sozialwissenschafter von der Universität Wien arbeitete vor einigen Jahren an einer Studie in zehn europäischen Ländern mit. Das Ergebnis: Österreich ist das Land, das der Freizeit den größten Stellenwert zuschreibt. Jedoch fanden sich hier unter den Befragten im Vergleich mit anderen Staaten gleichzeitig die meisten Menschen, die angaben, weiter arbeiten zu wollen, auch wenn sie nicht mehr müssten.

Und nach der Corona-Zeit?

Während der Pandemie haben sich in der Arbeitswelt viele Dinge verändert, aber diese Werte offenbar nicht: Im Zuge des vom Forschungsfonds FWF geförderten Austrian Corona Panel Project, das Kittel leitet, wurden der Arbeitswille und die Wertschätzung der Freizeit kontinuierlich abgefragt. Die Ergebnisse decken sich aber mit den Angaben vor der Corona-Zeit.

Doch wie hat sich die Einstellung zur Arbeitszeit über die Generationen verändert? Und ist die zwischen 1997 und 2012 geborene Generation Z tatsächlich so freizeitverliebt, wie es ihnen von der Babyboomer-Generation oft ausgerichtet wird?

Keine Generationenfrage

Kittel warnt vor dem Begriff Generation, weil er teils nicht vorhandene Gemeinsamkeiten unterstelle. Richtig sei, dass gemeinsame Erlebnisse in der Adoleszenz stark prägen. Folglich seien die 16- bis 20-Jährigen von der Corona-Zeit viel stärker beeinflusst worden als Ältere.

Dass der Stellenwert und die Wertschätzung der Arbeit mit zunehmendem Alter steigt, ist laut Kittel wenig überraschend. Wer mit 30 ein Haus baue, sei auf ein beständiges Einkommen angewiesen und habe daher ein anderes Verhältnis zur Arbeit als jemand Anfang 20, der viel ausprobiere und dabei auch Berufe und Arbeitsplätze wechsle.

Doch auch wenn die Arbeit bei Älteren im Vergleich zu Jüngeren einen leicht höheren Stellenwert hat, bleiben die Unterschiede Kittel zufolge erstaunlich gering: "Da geht es nur um wenige Prozentpunkte." Und wenn es um die größeren Ziele im Leben gehe, seien sich Junge und Ältere noch ähnlicher. (Johannes Lau, 8.7.2023)