Das Foto wurde am 25. April in der Innsbrucker Messe aufgenommen, während einer Sitzung des Innsbrucker Gemeinderats. Es zeigt eine junge Frau, sie hält ein wenige Monate altes Baby auf dem Schoß. Vor ihr, auf dem Tisch, ist ein Laptop zu sehen, Papierkram – und eine Bierflasche.

Alkoholfrei, wohlgemerkt, doch das spielt keine Rolle im Facebook-Universum des Mannes, gegen den nun ein gerichtliches Verfahren anhängig ist: Gerald Depaoli. Er und die junge Frau im Bild vertreten Bürgerinnen und Bürger Innsbrucks im Gemeinderat. Janine Bex gehört den Grünen an, Depaoli der One-Man-Show "Gerechtes Innsbruck".

Eine junge Politikerin mit Baby am Schoß im Gemeinderat.
Mitte April sorgte die grüne Gemeinderätin Janine Bex für Wirbel im Innsbrucker Gemeinderat. Sie hatte ihr Baby dabei, stillte, hatte ein alkoholfreies Bier neben sich stehen und trank ohne Glas daraus. Danach sah sie sich mit Hasspostings konfrontiert. Dieses Foto wurde im Februar aufgenommen und zeigt Bex mit Baby und Stilltee.
Innsbrucker Grüne

Auf dem Profil seiner Partei und seinem eigenen postete Depaoli das Foto, umrahmte Baby und Bierflasche in Türkis. "Ein Bier im Gemeinderatssaal und ein Kleinkind, das sogar gestillt wird, hat im Gemeinderat NICHTS VERLOREN. Wo bleibt der Jugendschutz???" Auf der von ihm betriebenen Facebook-Seite von "Gerechtes Innsbruck" kündigte er an, "zum wiederholten Mal" das Jugendamt informieren zu wollen. "Ein völlig übermüdetes Kleinkind nach zwölf Stunden im Gemeinderat und daneben die zeitweise stillende Mutter und ihre Bierflasche", führte er aus. Depaoli war nicht der Einzige, der Unverständnis zeigte. Allein der Anschein von Alkohol in der Hand einer Mutter erhitzt die gemeinderätlichen Gemüter – sowohl Mandatarinnen als auch Mandatare unterschiedlicher Fraktionen wiesen Bex zurecht.

Wüste Wortmeldungen im Netz

Unterdessen stieß das Facebook-Posting auf reges Interesse. Zahlreiche Userinnen und User sahen sich dazu veranlasst, das Verhalten der Gemeinderätin zu kommentieren, teils mit Klarnamen. "Einfach nur widerlich" sei die "grüne Kommunistensippe, die verlogene", findet ein Herr. Eine Userin schreibt: "Einfach ohne Hirn, kein Respekt." Auch als "irre" und "schlampiges Weib" wurde Bex in den Kommentaren bezeichnet.

Sie beschloss, rechtlich gegen die Hassbotschaften vorzugehen, und zog die Wiener Medienanwältin Maria Windhager hinzu. Diese befand die Postings als "klar rechtswidrig". Am 2. Mai flatterte ein Abmahnschreiben samt Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung ins Haus von Depaoli. Als Medieninhaber der Facebook-Profile sei er auch für die Kommentare verantwortlich, ist dort zu lesen. Sollten die "inkriminierten Behauptungen unverzüglich gelöscht werden", sei die Mandantin aber "ungeachtet der groben Rechtsverletzungen" bereit, die Angelegenheit außergerichtlich zu regeln.

Einstweilige Verfügung bestätigt

Doch Depaoli sah nicht ein, warum er sein Posting und die Kommentare löschen sollte. Das Foto stelle nur die wahrheitsgemäße Situation dar, argumentiert er. Als das Posting über einen Monat später noch immer abrufbar war, beantragte Windhager eine einstweilige Verfügung sowohl gegen Depaoli als auch gegen seinen Verein, die auch prompt vom Landesgericht Innsbruck erlassen wurde. Die Anwältin ortete Ehrenbeleidigung und Kreditschädigung. Ferner würde durch "die farblichen Hervorhebungen des erkennbar abgebildeten Babys und einer Bierflasche mit dem Begleittext gezielt die falsche Behauptung aufgestellt und verbreitet", dass Bex in ihrer politischen Funktion und als stillende Mutter im Gemeinderat Alkohol konsumiert habe, führt Windhager in dem Schriftsatz vom 9. Juni aus, der dem STANDARD vorliegt. Es werde der Vorwurf erhoben, dass Bex das Jugendschutzgesetz verletze und das Kindeswohl gefährde.

Depaoli ließ sich davon nicht beeindrucken. Er setzte keine entsprechenden Handlungen. Ende Juni brachte Windhager deshalb einen Exekutionsantrag ein, dann insgesamt vier weitere Strafanträge. In dieser Zeit löschte der Gemeinderat zwar einen Teil der Postings, darunter auch das beschriebene Foto, aber nicht alle Kommentare. Depaoli habe "lange nicht reagiert" und sich "vollkommen uneinsichtig" gezeigt, sagt Windhager im Gespräch mit dem STANDARD. Windhager vertritt auch den STANDARD medienrechtlich und hat schon einige prominente Opfer von Hass im Netz vertreten, darunter die grüne Klubchefin Sigrid Maurer im über zwei Jahre dauernden sogenannten Bierwirt-Prozess. Die Causa Bex hält sie für ein "wichtiges Verfahren", mit dem ein Beispiel gesetzt werden könne. Hass im Netz werde noch immer zu wenig ernst genommen, das Bewusstsein über die negativen Auswirkungen für Betroffene sei kaum vorhanden.

Am 27. Juli bestätigte das Oberlandesgericht Innsbruck die einstweilige Verfügung, der Rekurs von Depaoli und dem Verein Gerechtes Innsbruck werde nicht Folge geleistet. Dieser Beschluss kann nun noch mit einem außerordentlichen Revisionsrekurs bekämpft werden, erklärt Windhager. Die Antragstellerin Bex sei als rücksichtslose Mutter und als politische Repräsentantin, die ihr Amt nicht ausreichend ernst nehme, dargestellt worden.

Dabei ging es ihm "rein um das Kindeswohl"

Er habe die Postings "so gut es möglich war" gelöscht, behauptet Depaoli unterdessen im Gespräch mit dem STANDARD. Auf Facebook sei das ja gar nicht immer so leicht nachvollziehbar. Das Verfahren bezeichnet er als "jedenfalls überschießend", die rechtlichen Schritte seien "im Schnelldurchlauf" gesetzt worden, er habe keine Gelegenheit gehabt, sich zu erklären. Klarstellen wolle er, dass es ihm in erster Linie um das Kindeswohl gehe. Die Gemeinderatskollegin Bex und was sie konsumiere sei ihm eigentlich ganz egal. Doch der Gemeinderat als Ort ständig heftiger Debatten sei kein geeigneter Ort für ein Kleinkind. Die Sitzungen dauerten teils 14 Stunden, sagt Depaoli. Der Ruf zu überprüfen, ob ein solcher Ort für das Kindeswohl unbedenklich sei, könne doch nicht als ehrenbeleidigend gewertet werden. Milieubedingte Unmutsäußerungen seien außerdem keine Beleidigungen im Sinne strafrechtlicher Relevanz.

Dass es ihm ums Kindeswohl gehe, belege auch ein Antrag seiner Partei vom 25. Mai. Darin fordert er die Schaffung "finanzieller wie auch organisatorischer Voraussetzungen", sodass sich Gemeinderätinnen nicht mehr gezwungen sähen, ihre Babys mit in die Sitzungen zu nehmen. Genannt wird eine Zuschaltung von zu Hause oder die Einrichtung eines Rückzugsraumes zum Stillen. Der Antrag liegt dem STANDARD vor.

Wie Bex auf Nachfrage angibt, sind insgesamt drei Anträge gegen sie beim Jugendamt eingelangt, zwei wurden von Depaoli eingebracht, ein weiterer von einem Kollegen. Alle seien fallengelassen worden.

"Die Sache ist für mich jedenfalls noch nicht erledigt", macht Depaoli klar. Er will sich kommende Woche mit seinem Anwalt beraten. Der Gemeinderat wird vom Innsbrucker Rechtsanwalt Patrick Gaulin vertreten. Dieser war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen, wie dem STANDARD auf Nachfrage in seiner Kanzlei mitgeteilt wurde. Er weile derzeit im Ausland.

Medienrechtliches Verfahren läuft

Die Kosten für das Verfahren muss letztlich die Gegenseite tragen, stellt das Oberlandesgericht in seinem Bericht fest. Bex zeigt sich im Gespräch mit dem STANDARD erleichtert. Das finanzielle Risiko würde wohl viele Opfer davon abhalten, gegen Hass im Netz vorzugehen, mutmaßt sie.

Unterdessen läuft auch ein medienrechtliches Verfahren. Demnach habe Depaoli wegen der Beschimpfungen, die er nicht gelöscht hat, eine Entschädigungszahlung zu leisten und auch die Kosten für dieses Verfahren zu tragen, bezieht sich die Privatanklägerin Bex auf das Mediengesetz. Die Gerichtsverhandlung ist für den 23. August anberaumt. (Maria Retter, 3.8.2023)