Wenn es ums Essen geht, sind die Gemüter leicht aus der Fassung zu bringen. Gentechnik ist dabei für viele Menschen ein besonderes Reizthema. Dennoch spricht sich die EU-Kommission nun für einen liberaleren Umgang mit gentechnisch veränderten Pflanzen aus. Sympathiepunkte lassen sich damit in weiten Teilen der Bevölkerung wohl kaum holen, insbesondere nicht in Österreich. Der Vorstoß der Kommission geht aber zweifellos in die richtige Richtung.

Die EU-Kommission folgt in ihrer Entscheidung langjährigen wissenschaftlichen Empfehlungen. Auch die öffentliche Debatte muss faktenbasierter geführt werden.
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Die aktuellen sehr strengen Regeln für Gentechnik bei Pflanzen stammen aus dem Jahr 2001. Seit damals ist in der Molekularbiologie enorm viel passiert: Neue Werkzeuge wie die Gen-Schere Crispr bringen ganz andere Möglichkeiten als die klassische Gentechnik mit sich. Mit ihrer Hilfe lassen sich Pflanzen schneller, präziser und ohne Einfügung fremder Gene genetisch verändern. Das Anwendungspotenzial für die Pflanzenzucht und Landwirtschaft in Zeiten der Klimakrise ist enorm, auch mit Blick auf die schnell wachsende Weltbevölkerung.

Auf die Chancen dieses neuen Werkzeugs zu verzichten wäre ein schwerer Fehler. Der Vorschlag der EU-Kommission ist ein wichtiger Schritt, um gegenzusteuern: Wissenschafterinnen und Wissenschafter fordern seit langem, nicht die Herstellungsweise einer Pflanze zu beurteilen, sondern das Endprodukt. So wird das auch seit vielen Jahrzehnten bei Pflanzen gemacht, die durch chemische Behandlung oder radioaktive Bestrahlung gezüchtet worden sind. Das ist übrigens auch Gentechnik und längst auf unseren Tellern, wird aber nicht so klassifiziert.

Jetzt ist es aber auch wichtig, endlich eine breite und faktenbasierte Debatte über Gentechnik zu führen. Wenn es um die Sicherheit von Gesundheit und Umwelt geht, ist keine Sorge unberechtigt. Doch im jahrzehntealten hitzigen Diskurs über Gentechnik haben sich viele Halb- und Unwahrheiten festgesetzt, die die Wissenschaft längst glaubwürdig entkräften kann. Dass viele Vorbehalte gegen Gentechnik nicht auf wissenschaftlicher Evidenz beruhen, muss aber auch verständlicher kommuniziert werden. Das betrifft auch die Politik, die in Österreich in Sachen Gentechnik weitgehend auf die Wissenschaftsskepsis ihrer Wählerinnen und Wähler setzt.

Ideologiefreier Blick

Ein wissenschaftsgeleiteter Blick auf Gentechnik jenseits ideologischer Standpunkte lohnt sich aber auch für Kritikerinnen und Kritiker aus dem Umweltschutzbereich. Die Gen-Schere könnte auch ein wirkungsvolles Werkzeug dafür sein, die Landwirtschaft umweltfreundlicher zu machen und besser an lokale Gegebenheiten anzupassen.

Das hilft nicht nur großen Konzernen: Ein leichterer, günstigerer Zugang zu Technologie für angepasste Sorten nützt gerade auch kleineren Betrieben. Bisher konnten sich nur finanzstarke Agrarriesen die aufwendige und teure Zulassung leisten und setzten dann auf Gewinnbringendes, nicht unbedingt auf ökologisch Sinnvolles.

Der neue Vorschlag sieht keinen generellen Freibrief für alle gentechnisch veränderte Pflanzen vor, sondern legt ein einheitliches Maß an: Wenn eine Pflanze auch natürlich entstanden oder mit herkömmlichen Methoden erzeugt worden sein könnte, dann soll sie auch nicht anders behandelt werden. Dieser evidenzbasierte Schritt ist längst überfällig.

Bis zur Abstimmung über die neue Richtlinie im EU-Parlament und der Verhandlung mit den Mitgliedsstaaten sollten Fachleute ihr Wissen möglichst breit in die Öffentlichkeit tragen. Es geht schließlich um unsere Zukunft. (David Rennert, 5.7.2023)