Tiroler Gletscher
Die Tiroler Gletscher als Sinnbild des Erhabenen begeisterten schon vor Jahrhunderten die Maler.
Ötztaler Museen

Dutzende Bagger und schwere Baustellenfahrzeuge tummeln sich auf einer Mondlandschaft. Lange, weiße Bahnen verhüllen, was vom ewigen Eis noch übrig ist. Der Anblick des Rettenbachferner oberhalb von Sölden ist nichts für schwache Nerven, man befindet sich dort in einem intensiv bewirtschafteten Gletschergebiet, dem die eigene wirtschaftliche Grundlage allmählich unter den Liftstützen wegschmilzt. Ein Umstand, den das sogenannte Gletschervlies zwar bremsen, aber nicht aufhalten kann. Sei’s drum: Den Sommer über wird dort die Ski-Weltcup-Strecke saniert – einmal geht noch. Und vielleicht noch ein paarmal mehr.

Rund dreißig Kilometer talauswärts, in der Gemeinde Oetz, erhält das große Schmelzen einen konkreten zeitlichen Horizont: "Kinder, die heute geboren werden, werden mit großer Wahrscheinlichkeit nahezu eisfreie Ostalpen erleben."

Dieser Aussage der Glaziologin Andrea Fischer begegnet man selbstredend nicht im örtlichen Tourismusverband, sondern im Museum. Also dort, wo sich künftige Generationen ein Bild davon werden machen können, was ein Gletscher ist – oder einmal war.

In freier Natur wird es diesbezüglich eher schlecht aussehen. Und es ist kaum zu übersehen, dass das Turmmuseum Oetz mit der Schau Ötztaler Gletscher. Katastrophen, Klimawandel, Kunst mit für ein Regionalmuseum ziemlich beachtlichem Aufwand und kritischem Anspruch einen wunden Punkt des vom Tourismus geprägten Tales berührt. Nicht umsonst hat man ein Gletschervlies ins Treppenhaus gehängt.

Angst vor Gletscherausbrüchen

Allein um eine Anklage anlässlich des Gletschersterbens geht es aber keineswegs. Sondern darum, "was der Blick des Menschen auf die Gletscher über die Jahrhunderte hinweg über uns selbst erzählt", sagt Edith Hessenberger.

Seit 2018 leitet die Kulturwissenschafterin und Ethnologin die Ötztaler Museen, zu deren Verbund das Turmmuseum gehört. Das Gebäude, in dem es untergebracht ist, ist eine Attraktion für sich, handelt es sich doch um einen mittelalterlichen Wohnturm aus dem 14. Jahrhundert und damit um das älteste erhaltene Profangebäude des gesamten Ötztales. Es hat jene Zeiten miterlebt, in denen sogenannte Gletscherausbrüche die ansässige Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzten – und die in gewisser Weise den Grundstein für den Tourismus legten.

Denn als sich im 18. Jahrhundert die Kunde von einem mit riesigen Eisschollen durchsetzten "Polarmeer" am Gurgler Ferner verbreitete, wollten betuchte Reisende das mit eigenen Augen sehen.

Drastische Zunahme

Ab dem Beginn des 15. Jahrhunderts sorgte die Kleine Eiszeit immer wieder für eine drastische Zunahme des Eisvolumens, Gurgler Ferner und Vernagtferner verriegelten mit ihren Eismassen ganze Täler, dahinter stauten sich riesige Eisseen, die in gewissen Abständen ausbrachen und das gesamte Ötztal verwüsteten.

Dieses Phänomen hat die älteste bekannte Bilddarstellung eines Alpengletschers hervorgebracht, es handelt sich dabei um eine aquarellierte Federzeichnung von Abraham Jäger aus dem Jahr 1601, sie kam aus der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum als Leihgabe ins Ötztal. Zu den im Dienst der Wissenschaft entstandenen Darstellungen gesellten sich bald die Gletscherbilder jener Malerinnen und Maler, die auf der Suche nach dem Erhabenen um 1800 in Scharen ins Gebirge pilgerten.

Vernagtferner von Abraham Jäger
Diese Darstellung des Vernagtferner von Abraham Jäger von 1601 ist die älteste bekannte Bilddarstellung eines Alpengletschers.
Tiroler Landesmuseum Ferdina

Der Geist der Romantik und naturalistische Darstellungen dominieren das Genre bis ins beginnende 20. Jahrhundert, für die künstlerischen Avantgarden der Zeit schien die Höhenluft dagegen zu dünn, eine der wenigen Ausnahmen bildet Emilie Mediz-Pelikan.

Man spannt den Bogen aber auch bis zur Gegenwartskunst, in der das Gletschersterben bisweilen zum Pathos verführt, wie bei den in Vlies gehüllten Wolkenmenschen von ­Nicole Weniger. Ein künstlicher Eisblock von Christian Stock lässt dagegen leise erahnen, was in den Gletschern alles gespeichert ist.

"Wenn dieser Kühlschrank der Geschichte abschmilzt, verlieren wir ein unglaublich wichtiges Archiv", sagt Hessenberger. Zu Ausstellung ist im Studienverlag eine tolle Begleitpublikation erschienen. (Ivona Jelčić, 6.7.2023)