Die Temu-App auf einem Smartphone
Hinter Temu steht eine Holding, die mehr Kunden hat als Aliexpress.
REUTERS/FLORENCE LO

Schon wieder zeigt der Pfeil im Glücksrad auf den Höchstgewinn, 55 Euro geschenkt, einfach so! Der Zeiger hätte auch auf zehn oder 20 Euro stehen bleiben können, was für ein Glück! Da, schon wieder: 90 Prozent Rabatt und einen garantiert wasserdichten Rucksack gibt es statt um 40 Euro um nur 2,49 Euro noch dazu? Wer schon einmal die Temu-App ausprobiert hat, kennt das: Man wird förmlich mit Rabatten, Aktionen und Geschenken bombardiert. Doch woher kommt der Marktplatz, der scheinbar aus dem Nichts auf dem europäischen Markt aufgetaucht ist? DER STANDARD hat die App sowie einige Produkte getestet und erklärt, wer hinter der Billigplattform steckt.

Das Glücksschweinchen

Nach dem dritten Hauptgewinn im Glücksrad stellt sich langsam das Gefühl ein, dass wohl jeder immer den höchstmöglichen Rabatt bekommt. Was ohnehin relativ egal ist, denn wie genau der angebliche 55-Euro-Gutschein einzulösen ist, geht nirgendwo hervor. Derartige Verkaufsschmähs kennt aber vermutlich jeder, der schon einmal die Seite des Hauptkonkurrenten Aliexpress besucht hat.

Screenshots von vermeintlichen Rabattangeboten in der Temu-App
Temu wirbt vor allem mit wahnwitzigen Rabatten.
DER STANDARD, Zellinger

Die Macherinnen und Macher hinter Temu haben sich aber nicht nur die zweifelhaften Sales-Praktiken des vermeintlichen Platzhirsch abgeschaut, sondern auch das Layout der Produktseiten, die Gestaltung der Schaltflächen und die Zahlungsabwicklung könnten genauso gut von Aliexpress stammen.

Einen Vorteil hat Temu aber gegenüber Wish und Ali: Es gibt keine versteckten Versandkosten, die ein vermeintliches Schnäppchen dann am Ende doch wieder recht teuer machen. Temu schlägt nichts drauf, zumindest nicht in unserem Test.

Es gibt kein Entkommen

Die Werbekampagne für die App war in den vergangenen Wochen gefühlt überall: Im Google Discover-Feed und auf Social Media gab es so gut wie kein Entkommen vor der Marktplatz-App, die mit unglaublich günstigen Preisen wirbt. "Shopping wie ein Milliardär" wird da vollmundig versprochen. Der erste Blick ins Angebot ernüchtert dann doch wieder: Es ist das übliche Konglomerat aus Wattestäbchenhaltern, Gummifüßen für die Waschmaschine, Haushaltsgeräten und günstiger Elektronik. Doch das muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein: Die Onlinehändler aus China sind etwa bei Bastlern sehr beliebt, weil elektronische Bauteile sehr günstig zu haben sind. So manches Leben eines alten Geschirrspülers wurde dank eines wenige Cent teuren Kondensators schon um Jahre verlängert.

Das ist auch der Grund, warum der Lieferstopp von Aliexpress nach Österreich Anfang des Jahres für einen derartigen Aufschrei sorgte. Plötzlich versiegte der Nachschub an günstigen Ersatzteilen.

Undurchsichtige Rabatte und Fantasiezahlen

Temu hat aber eine Einschränkung: Es gibt einen Mindestbestellwert von zehn Euro. Für den Test bestellen wir einen "High Speed USB-Hub" mit sieben einzeln schaltbaren Ports um 3,88 Euro. Zwar ist in der Produktbeschreibung nicht ersichtlich, um welchen USB-Standard es sich handelt, die blaue Farbcodierung legt aber nahe, dass das Gerät den 3.0-Standard beherrscht. Außerdem landen ein Zylinder aus Metallgitter für Grillgemüse um 5,49 Euro sowie ein Paar Earbuds von Lenovo, also ein Markenprodukt, im Einkaufskorb. Dazu noch einige Magnete für Warhammer-Miniaturen und für die Metalltafel im Büro.

Vor dem Bezahlen wird noch großzügig ein zweistelliger Rabatt abgezogen, dessen Ursprung nicht ganz einleuchtet. Insgesamt hätten wir 57,75 Euro bezahlen sollen, so sind es aber nur 24,32 Euro mit Gratisversand – der Verdacht, dass hier einfach Fantasiesummen genannt werden, drängt sich auf.

Ein Müllberg

Eine Woche später liegt ein in eine knallige orange Plastikfolie verpacktes Paket vor der Haustür. Das ging tatsächlich erstaunlich schnell, die Wartezeiten bei der Konkurrenz sind tatsächlich oft um ein Vielfaches länger. Dem Preis entsprechend fällt aber auch die Qualität der Waren aus: Der Metallzylinder ist verbogen – gut, den Zucchini auf dem Griller wird das herzlich egal sein. Der "High Speed USB-Hub" entpuppt sich als USB-2.0-Gerät, was eigentlich erwartbar war. Die uneinheitlichen Spaltmaße und das billige Plastik lassen aber den inneren Drang nach einem Upgrade der Feuerversicherung steigen. Fairerweise muss gesagt werden, dass die Lenovo-Earbuds tatsächlich Originale sind und auch einwandfrei funktionieren, ebenso wie die Magnete, aber da ist der Spielraum für Fehler auch eher gering.

Ein USB Hub mit zu großen Spaltmaßen
Diese Spaltmaße des USB-Hubs wecken wenig Vertrauen.
DER STANDARD, Zellinger

Beachtlich ist hingegen der Müllberg: Alle Artikel kommen noch einmal extra in Plastik verpackt, selbst jene, die ohnehin in einer Schachtel geliefert werden.

Versand aus Wien

Warum das Paket so schnell vor der Haustür landete, lässt sich mit einem Blick auf den Absender erklären: Der lautet nämlich nicht auf Temu, sondern auf Yunexpress aus der Molostraße im elften Bezirk in Wien. Dabei handelt es sich nicht nur um einen Lieferdienst, sondern auch um einen Lagerdienstleister. Ob die bestellten Waren direkt von Wien ausgeliefert wurden oder aus einem anderen Versandlager in Europa stammen und von Yunexpress lediglich weitergeschickt wurden, ließ sich nicht ermitteln. Das Unternehmen hat nur eine Handynummer als Kontakt hinterlegt, die aber nicht erreichbar ist, wie eine Tonbandstimme mitteilt. Temu selbst hüllt sich in Schweigen, was die Versandlogistik betrifft: Man verfüge über ein globales Netzwerk von Lieferanten und Herstellern, teilt das Unternehmen etwas kryptisch mit.

Wer steckt dahinter?

Hinter Temu steckt ein chinesisches Unternehmen, das auf den Cayman Islands registriert ist und den Namen PDD Holdings trägt. Dieses Dachunternehmen wurde vom chinesischen Milliardär Colin Huang, eigentlich Huang Zheng, im Jahr 2015 gegründet. Huang studierte Informatik an der University of Wisconsin und war beruflich zuerst bei Microsoft, dann als Techniker bei Google tätig. Huang kehrte nach China zurück und gründete dort den Internetversandhandel Pinduoduo, der sich ursprünglich vor allem auf landwirtschaftliche Produkte spezialisiert hat.

Ein Haufen Müll
Bei Temu sind alle Artikel einzeln verpackt. Der Müllberg ist beeindruckend, und da ist die Umverpackung gar nicht dabei.
DER STANDARD, Zellinger

Damit verdiente Huang Milliarden. Heute sind Pinduoduo und die Muttergesellschaft PDD Holdings über 97 Milliarden Dollar wert, Pinduoduo umfasst einen 24-Stunden-Lieferdienst für Lebensmittel und bietet eine Online-Großhandelsplattform, auf der Landwirtinnen und Landwirte ihre Produkte verkaufen können. Mittlerweile ist Pinduoduo auch zur Konkurrenz für Aliexpress geworden, da man sich nicht mehr nur auf landwirtschaftliche Produkte beschränkt und die Kundschaft dazu animiert, sich zu Einkäufergruppen zusammenzuschließen. Pinduoduo gehört zu den am schnellsten wachsenden E-Commerce-Plattformen Chinas.

Mehr Kundschaft als Aliexpress

Huangs Vermögen wird auf etwa 25 Milliarden Dollar geschätzt, was ihm Platz 60 auf der Liste der reichsten Menschen der Welt einbringt. Huang musste sich von seinem Posten als CEO von Pinduoduo zurückziehen, als bekannt wurde, dass auf der Plattform vermehrt gefälschte Waren angeboten wurden. Das Ruder übernahm der 42-jährige Informatiker Chen Lei und enge Vertraute Huangs, zu dessen ersten Erfolgsmeldungen die Nachricht gehörte, dass man mit 788 Millionen mehr zahlende Kundinnen und Kunden hat als der Hauptkonkurrent Aliexpress mit "nur" 779 Millionen.

Die Plattform der Schwesterfirma Temu wurde im September 2022 in den USA gelauncht, im Februar 2023 folgte der Startschuss in Kanada. Im März ging Temu in Neuseeland und Australien sowie in weiten Teilen Europas an den Start. Seit Ende 2022 ist Temu in den USA eine der am häufigsten heruntergeladenen Shopping-Apps nach Amazon und Walmart. In Deutschland ist Temu laut Similarweb sogar auf Platz eins der beliebtesten Apps und lässt damit sogar Whatsapp, Instagram und Tiktok weit hinter sich. Für Österreich liegen keine derartigen Daten vor. Im ersten Quartal 2023 machte die gesamte Holding 5,48 Milliarden Dollar Umsatz.

Es gibt aber noch eine dritte Shoppingplattform aus China, die gerade dabei ist, in Europa Fuß zu fassen: Die Fast-Fashion-Plattform Shein operiert seit April in Europa und liegt nur knapp hinter Temu, was die Downloadzahlen der App betrifft. (Peter Zellinger, 8.7.2023)