Martin Heintel, Professor am Institut für Geografie und Regionalforschung der Universität Wien, tritt in seinem Gastkommentar dafür ein, mit Grund und Boden in Österreich anders umzugehen.

Raum ist eine enden wollende Ressource. Die Bevölkerung wächst, Grund und Boden nicht. Wir alle legen uns die Inanspruchnahme von räumlichen Nutzungen zurecht. Gesetze, Leitbilder und Gewohnheiten stellen den Rahmen dafür dar. Im Widerspruch dazu stehen jedoch neue gesellschaftliche Voraussetzungen. Krisen wie Klima, Covid, Wohnen, Bodenversiegelung oder schlicht erhöhte Ansprüche an gesellschaftliche Teilhabe sind dafür bestimmend.

Welche von gegenwärtigen Nutzungsgewohnheiten sind gerecht, und wie können neue Verhältnisse ausverhandelt werden? Ist der Anspruch auf den eigenen Stellplatz vor der Tür im innerstädtischen öffentlichen Raum gerecht(fertigt), oder wäre es gerechter, den öffentlichen Raum mehr als nur dem ruhenden Verkehr, der einem Pkw-Besitzer zuordenbar ist, verfügbar zu machen?

Bild nicht mehr verfügbar.

Was ist gerecht? Der Anspruch auf einen eigenen Parkplatz im innerstädtischen öffentlichen Raum? Oder sollte man den Platz besser anders verfügbar machen?
Getty Images

Wie verhält es sich mit Schanigärten im öffentlichen Raum? Als Konsumentinnen und Konsumenten nutzen wir sie gerne, als Anwohnerinnen und Anwohner schätzen wir sie nicht immer, als Gesellschaft sollten wir uns jedoch immer mehr der Frage widmen, in welchem Verhältnis die Aufwertungen eines öffentlichen Raumes durch die öffentliche Hand, wie beispielsweise durch Begrünungen oder Begegnungszonen, zum individuellen Gewinn Einzelner beitragen? Stehen die verordneten Gebühren für Schanigärten hierbei im mitwachsenden Verhältnis?

Beobachtbar sind ebenso vergleichbare Zusammenhänge von Aufwertungen öffentlicher Räume in Städten und Gemeinden, die dann indirekt für höhere Mieten in Erdgeschoßzonen und den Stockwerken darüber sorgen. Ein Ausgleich bei Wertsteigerungen durch den Einsatz öffentlicher Mittel ist im Sinne der Orientierung am Gemeinwohl anzustreben, Eigentumsinteressen sind hierbei nicht zu priorisieren.

Sozialer Zusammenhalt

Aufs Land geblickt gilt es, Umwidmungsfragen von Grün- in Bauland stärker in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu rücken. Erzeugter Widmungsgewinn aus einem politischen Beschluss örtlicher Raumordnung sollte zukünftig deutlich gesellschaftlich abgebildet werden, indem Anteile davon auf die kommunale Ebene zurückgespielt werden und nicht nur ein Einzelner davon profitiert. Sind diese Mittel dann gemeinwohlorientiert investiert, könnte beispielsweise leistbares Wohnen auf kommunaler Ebene finanziert und damit auch eine inklusive Gesellschaft gefördert werden. All diese Maßnahmen, die auf Basis zu schaffender gesetzlicher Grundlage möglich wären, stärken letztendlich den räumlichen wie sozialen Zusammenhalt.

Wandel findet statt – dies ist das Motto des aktuellen Raumentwicklungskonzeptes 2030 der Österreichischen Raumordnungskonferenz – ein konsensuales Produkt von Bund, Ländern, Gemeinden und vielen weiteren Stakeholdern. Raumgerechtigkeit als gesamtgesellschaftliches Grundprinzip wird hierbei in Österreich erstmals leitbildgebend adressiert, die Instrumente beziehungsweise gesetzlichen Grundlagen zur Umsetzung fehlen jedoch vielfach. Räumliche Gerechtigkeit lässt sich natürlich noch deutlich weiter fassen. Sie bezieht sich ebenso auf Fragestellungen zu regionalen Ungleichheiten, zur Grunddaseinsvorsorge und Mindestausstattung, diversen Umweltqualitäten oder Verfügbarkeiten der Mobilität im öffentlichen Verkehr. In Summe geht es schlicht um die Zielsetzung, dass ein "Wohlergehen allen zugutekommen soll".

Nutzbar und klimafit

Aber wie lassen sich öffentliche Räume gegenwärtig und unter Mitberücksichtigung der angeführten Rahmenbedingungen neu organisieren? Die Bernardgasse in Wien-Neubau ist nahe daran, viele der formulierten Ansprüche zu erfüllen. Die gesamte Gasse wird vom ruhenden Verkehr ausgeräumt, nur noch Halteplätze für Blaulichtfahrzeuge, Müllabfuhr, Behindertenparkplätze sowie temporäre Haltemöglichkeiten für Anrainer und Gewerbe bleiben erhalten. Bisher 150 Stellplätze im innerstädtisch dicht verbauten Gebiet wurden neu verhandelt, öffentlicher Raum wird für alle nutzbar und klimafit gemacht. Eine Bürgerinitiative und mehrere Beteiligungsprozesse haben diesen Weg geebnet. Dieses Beispiel ist das bisher konsequenteste hinsichtlich Neugestaltung öffentlichen Raums, Klimaanpassung und Partizipation in Wien. Im oben angeführten Sinn gilt es aber auch hier, weitere Themen wie Schanigärten, Erdgeschoßzonen und Immobilienentwicklung im Blickfeld zu behalten.

Raumgerechtigkeit bedeutet somit das Integrieren neuer gesellschaftlicher Ansprüche, das Schaffen von neuen Möglichkeiten von Mehrfachnutzungen im öffentlichen Raum, genauso wie die Erhöhung der gesellschaftlichen Teilhabe. Anzustrebende Transfers zur Erhöhung dieser sozialräumlichen Qualität könnten hierzu einen substanziellen Beitrag leisten um soziale Disparitäten zu verringern. (Martin Heintel, 8.7.2023)